Hamburg. Angst vor Narkose ist verbreitet. Ein Chefarzt erklärt, warum man vorher nichts darf und der Magen unbedingt leer sein muss.

Viele Patienten hätten immer noch große Sorge vor einer Vollnarkose, sagt Dr. Sebastian Wirtz. „Da kommt verständlicherweise offenbar so eine Urangst durch, weil man vorübergehend seine Selbstbestimmung aufgeben muss und auch nicht immer weiß, in wessen Hände man sich begibt“, sagt der Chefarzt für Anästhesiologie, Intensiv-, und Notfallmedizin sowie für Schmerztherapie von der Asklepios Klinik Barmbek.

Dabei, so betont der Mediziner in der aktuellen Podcast-Folge, die unter anderem auf abendblatt.de kostenlos anzuhören ist, seien „Narkosen noch nie so sicher gewesen wie heute“. „Die Medikamente haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt und auch die Überwachungstechnik hat sich verbessert“, sagt der Chefarzt, der allein mit seinem Team in Barmbek jedes Jahr mehr als 14.000 Narkosen durchführt.

250.000 Narkosen pro Jahr in Hamburg gezählt

In ganz Hamburg würden jedes Jahr 250.000 Narkosen gezählt und die Auswertung zeige, dass es darunter verschwindend wenige Komplikationen gebe. Wichtig sei vor allem ein ausführliches Vorgespräch mit dem jeweiligen Patienten: „Wir müssen die individuelle Belastbarkeit kennen, müssen von Vorerkrankungen oder Allergien erfahren und wissen, welche Medikamente regelmäßig eingenommen werden.“

Eine der am häufigsten gestellten Fragen sei nach wie vor, warum man vor einer Narkose weder essen noch trinken dürfe. „Der Magen muss leer sein, damit während der Entspannung unter Vollnarkose keine Flüssigkeit aus dem Magen aufsteigt – mancher kennt womöglich dieses saure Aufstoßen – und dann in die Lunge gelangt, was sehr gefährlich werden kann“, erklärt der Chefarzt. Deshalb dürften Patienten ab sechs Stunden vor einem Eingriff nichts mehr essen und ab zwei Stunden vorher auch weder Wasser noch Tee trinken, um diese Komplikation dringend auszuschließen.

Vollnarkose nicht immer nötig

Tatsächlich sei jedoch gar nicht immer eine Vollnarkose nötig, viele Eingriffe ließen sich mittlerweile auch unter lokaler oder regionaler Betäubung machen, sagt der Chefarzt, der sein ganzes Berufsleben im Norden verbracht hat und in seiner Freizeit gern auf der Nord- oder Ostsee segelt oder an der schleswig-holsteinischen Küste entlang radelt.

„Manche Frauen kommen unter der Geburt zur Schmerzbehandlung oder vor einem Kaiserschnitt in den Genuss einer PDA, einer Periduralanästhesie“, sagt der Facharzt für Anästhesie, der viele Jahre lang als Ärztlicher Leiter des Hamburger Rettungsdienstes tätig war. Diese regionale Betäubung habe sich als besonders gut und schonend für Mutter und Kind bewährt.

Viele Patienten neigen zur Vollnarkose

„Aber es gibt noch viele andere lokale und regionale Betäubungsverfahren. Das bekannteste erlebt man hin und wieder beim Zahnarzt.“ Aber auch Operationen des Unterarms oder eines Beines könnten unter regionaler Betäubung durchgeführt werden. „Wir stellen das dem Patienten dann zur Auswahl.“

Und, wie fällt die Entscheidung aus? „Erstaunlicherweise neigen die meisten dann doch zur Vollnarkose“, sagt der Mediziner lachend. „Nach dem Motto: Ist besser, wenn ich gar nichts davon mitbekomme.“ Dabei müsse man erwähnen, dass man auch bei einer Regionalanästhesie durchaus Schlafmittel bekommen könne. „In der Regel schlummert der Patient also auch während des Eingriffs.“

Sehr selten tritt Delir ein

Und wie oft tritt eigentlich das viel gefürchtete Delir, ein Verwirrtheitszustand nach der Operation, auf? „Sehr selten, schwere Ausprägungen vielleicht in einem von 100 Fällen“, sagt der Chefarzt. Leichtere Fälle machten zehn Prozent aus, dabei verschwinde die Desorientierung in der Regel nach wenigen Minuten.

„Wir wissen durch Studien mittlerweile, wer ein erhöhtes Risiko dafür hat – das sind vor allem Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen wie Parkinson oder auch ältere Menschen, bei denen auch schon der reine Ortswechsel in die Klinik zu Verwirrung führen kann.“

Nach Narkose gibt es Eis im Aufwachraum

Auch wer nach einer Narkose vermehrt zu Übelkeit neigt, ist mittlerweile erforscht. „Vor allem jüngere Frauen. Das berücksichtigen wir dann schon bei der Medikation.“ Grundsätzlich gebe es im Aufwachraum aber immer eine „feine Auswahl“ an Wassereis. „Das kennt man von früher nach Mandeloperationen, hat es jetzt aber wiederentdeckt, weil das Wassereis, wie Studien belegen, Übelkeit verhindert.“

Die Anästhesie findet der Chefarzt nach wie vor spannend. „Alle Anästhesisten sind ja auch Notärzte. Allein in Barmbek rücken die Kollegen jedes Jahr mehr als 3000 Mal aus. Und da sieht man dann das pralle Leben.“ Er selbst erinnert sich noch an einen Einsatz, an dem der Notfall nicht das aufregendste war: „Da schlich eine Schlange frei in der Wohnung rum, das fand ich skurril.“