Tod von elf Patienten auf der Krebsstation des UKE: Klinik sieht kein Fehlverhalten – die Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein.

Es war einer der dramatischsten Corona-Ausbrüche in Hamburg: Im Frühjahr 2020 infizierten sich auf den hochsensiblen Krebsstationen des UKE rund 60 Menschen, elf Betroffene verstarben. Das Abendblatt deckte danach die Hintergründe und das tatsächliche Ausmaß der Geschehnisse auf. Strafrechtlich bleibt die Tragödie nun definitiv ohne Konsequenzen – Angehörige der Betroffenen gehen jedoch rechtlich gegen das UKE vor und hoffen offenbar auf Schmerzensgeld.

Die Klinik-Sprecherin Saskia Lemm bestätigte auf Anfrage, dass mindestens ein Zivilverfahren anhängig ist. Deshalb könne man zu Details der Geschehnisse weiterhin keine Auskunft geben. Das UKE hatte sich „zutiefst betroffen“ von dem Ausbruch gezeigt und den Hinterbliebenen der Opfer ihr Mitgefühl ausgedrückt. Jegliche Kritik an den eigenen Sicherheitsvorkehrungen und dem Umgang mit dem Ausbruch wies das UKE aber entschieden zurück.

Corona Hamburg: Ausbruch im UKE bleibt wohl ohne strafrechtliche Folgen

Angehörige von Infizierten und Verstorbenen erhoben dagegen teils schwere Vorwürfe. Zwar sei an der Behandlung im UKE nichts auszusetzen gewesen. Das Coronavirus verbreitete sich aber in der Onkologie, als bereits ein strenger Besucherstopp galt – deshalb stehe die Frage im Raum, ob die Klinik ihre Sorgfaltspflichten verletzt habe. Über mehrere Wochen hatten demnach zudem weder die Öffentlichkeit, noch alle Onkologie-Patienten von Corona-Fällen auf den Stationen erfahren – und die Angehörigen sie in Einzelfällen ermutigt, so lange wie möglich in der Klinik zu bleiben, da sie dort am sichersten vor Corona seien.

Die Staatsanwaltschaft sieht aber keine Aussicht auf eine Anklage. Bereits im Januar stellte sie ihre strafrechtlichen Ermittlungen ein. Und wie die Sprecherin Liddy Oechtering auf Anfrage bestätigte, wies die Generalstaatsanwaltschaft nun auch mehrere Beschwerden gegen diese Entscheidung ab.

UKE lobt das eigene Krisenmanagement – trotz elf Toten in der Onkologie

Im UKE selbst arbeitet man stattdessen an einem sogenannten Weißbuch, mit Empfehlungen für die Sicherheit der Patienten und Strategien für den Krisenfall. Der Ausbruch in der Onkologie, so ist zu hören, soll zumindest in einem Kapitel behandelt werden. Die Klinik wolle aus der Tragödie lernen – für Selbstkritik aber sieht das UKE weiter keinen Anlass.

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Starben nach einer Corona-Infektion auf einer Krebsstation im UKE:  Ines Brandtjen, Niels Boldt (auf dem Bild mit seiner Enkelin) und Anne-Christa Falk (v.li.).
Von Christoph Heinemann und Jens Meyer-Wellmann

Im Gegenteil lobte die Klinikleitung bereits seit Bekanntwerden des Ausbruchs wiederholt das eigene Krisenmanagement. Und auch heute fällt die Antwort auf Fragen nach Lehren aus dem Ausbruch sehr allgemein aus. Das UKE habe „wie alle Krankenhäuser“ im Laufe der Pandemie „mit einer Vielzahl an Herausforderungen umgehen müssen und dabei immer wieder neue Erkenntnisse gewonnen“, sagt die Sprecherin Saskia Lemm. 

Angehörige der Corona-Toten fordern Aufklärung vom UKE

Den Angehörigen der Verstorbenen ist das zu wenig. Sie fordern seit Langem eine Erklärung des UKE dafür, wie sich das Virus auf den hochmodernen Stationen der Onkologie und während eines Besucherstopps möglicherweise über Wochen unbemerkt verbreiten konnte. 

„Die haben uns gesagt, da drin könnte nicht einmal ein Brot verschimmeln“, sagte etwa die Mutter der Patientin Ines Brandtjen, die mit nur 21 Jahren infolge ihrer Corona-Infektion verstarb. Ihre Familie hat sich dagegen entschieden, einen Anwalt einzuschalten. Andere Angehörige erheben zivilrechtliche Ansprüche gegen das UKE, da es aus ihrer Sicht möglicherweise Sicherheitsstandards oder die Sorgfaltspflicht vernachlässigt haben könnte. 

Corona Hamburg: UKE hatte den Ausbruch nicht selbst öffentlich gemacht

Mit Blick auf die noch laufenden rechtlichen Verfahren hat sich das UKE nie detailliert zu den Geschehnissen geäußert. Es betonte, dass alle zur jeweiligen Zeit gültigen Vorschriften eingehalten worden seien. Auch sei umfassend und schnell reagiert worden.

Starben nach einer Corona-Infektion auf einer Krebsstation im UKE:  Ines Brandtjen, Niels Boldt (auf dem Bild mit seiner Enkelin) und Anne-Christa Falk (v.li.).
Starben nach einer Corona-Infektion auf einer Krebsstation im UKE: Ines Brandtjen, Niels Boldt (auf dem Bild mit seiner Enkelin) und Anne-Christa Falk (v.li.). © Privat / HA | Unbekannt

Die Klinikleitung hatte den Ausbruch jedoch nicht selbst öffentlich gemacht. Erst auf Anfrage des Abendblattes räumte das UKE zudem ein, dass es nicht nur bereits im März 2020 die ersten Corona-Fälle in der Onkologie gegeben hatte, sondern auch bereits ein betroffener Patient in der Folge verstorben war. Bei einer Pressekonferenz im April 2020, nachdem der „Spiegel“ den Ausbruch öffentlich gemacht hätte, war davon keine Rede gewesen – und die leitenden Ärzte hatten von „positiven Entwicklungen“ bis zum damaligen Zeitpunkt gesprochen. 

Wie das Coronavirus in die Onkologie kam, ist weiter unbekannt

Zur Begründung für die lückenhafte Kommunikation hieß es, die ersten Infektionen hätten formal noch keinen Ausbruch bedeutet und man habe auch keinen sicheren Zusammenhang zu den späteren Infektionen und zehn weiteren Todesfällen gesehen.

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Dass damit aber fast ein Monat zwischen den ersten Fällen und dem Bekanntwerden des Ausbruchs lag, wirft für Hinterbliebene schwerwiegende Fragen auf. Habe das Klinikum die ersten Infektionen unterschätzt? Oder könnte das Virus möglicherweise mehrfach eingeschleppt worden sein? 

Rechtsmedizin: Corona war verantwortlich für den Tod aller elf Verstorbenen

Nach Abendblatt-Recherchen ergab die Untersuchung der Rechtsmedizin, dass die Corona-Infektion ursächlich für den Tod aller elf Verstorbenen war. Mehrere von ihnen standen kurz vor der Entlassung in eine ambulante Reha, wurden aber im März und April durchgehend stationär behandelt und verließen das Klinikum nicht.

Der Kosmetikunternehmer Niels Boldt etwa, der ebenfalls infolge des Ausbruchs verstarb, hatte in dieser Zeit nach Angaben seiner Hinterbliebenen ebenfalls noch nichts von den Corona-Infektionen erfahren. Seine Tochter sagt, sie habe damals aber gewollt, dass ihr Vater so lange wie möglich im UKE bleibe – weil er dort im Gegensatz zur Außenwelt sicherer vor Corona schien. Auch sie hat einen Anwalt eingeschaltet. Zunächst wollte sie das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen abwarten. 

Staatsanwaltschaft: "Das ist auch für uns unbefriedigend"

Die Generalstaatsanwaltschaft hat inzwischen aber Beschwerden gegen die Einstellung des Verfahrens abgelehnt. Der Grund: Laut Gutachtern des Bernhard-Nocht-Institutes sei eine sogenannte Genomsequenzanalyse nur „sehr eingeschränkt“ möglich. „Es lässt sich also nicht sagen, wer wen angesteckt hat. Deswegen sind wir auch nicht nachhaltig in tiefere Ermittlungen zu den Abläufen eingestiegen“, sagte der Oberstaatsanwalt Lars Mahnke.  

Man habe zwar geprüft, ob es ein Verschulden durch unterlassene Aufklärung gegeben haben könnte. „Es liegen aber keine konkreten Hinweise darauf vor, dass Patienten nicht allgemein über die Gefahren durch das Coronavirus aufgeklärt worden sein könnten.“

Für den Nachweis einer Kausalität müsste auch bei einer Verletzung der Aufsichtspflicht etwa ausgeschlossen werden, dass die Patienten nicht bereits infiziert in die Klinik kamen. „Auch dies ist aber nicht möglich“. Mahnke spricht von einem besonderen Fall. „Ich habe nie zuvor erlebt, dass sich die Kausalität der Ereignisse so überhaupt nicht nachvollziehen lässt. Das ist auch für uns unbefriedigend.“ 

Haben Zivilverfahren gegen das UKE Aussicht auf Erfolg?

Zu den Erfolgsaussichten einer Zivilklage wollten sich vom Abendblatt befragte Medizinrechtler nicht äußern. Nach landläufiger Meinung erleichtert es eine Zivilklage, wenn in einem Strafverfahren etwa bereits ein Fehlverhalten festgestellt wurde.

Einer der befragten Experten sagte jedoch, die Gutachter in Strafverfahren seien bei Einschätzungen zumeist vorsichtig. Und kämen nicht immer zu den gleichen Schlüssen wie Gutachter in Zivilverfahren.

Corona-Ausbruch: Eine Familie bekam Rechnung für PCR-Tests im UKE

Die Bürgerschaftsabgeordneten Deniz Celik (Linke) und Richard Seelmaecker (CDU) mahnen auch eine politische Aufarbeitung an. Celik nannte es „inakzeptabel“, dass Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) ihre Versprechen dabei nicht eingelöst habe. Seelmaecker sagte: „Wir sind den Angehörigen der Verstorbenen verpflichtet. Sie haben Antworten verdient.“

Auch der Umgang der Klinik mit ihnen nach dem Ausbruch sorgte bei Angehörigen für Unverständnis. So erhielt mindestens eine Familie eines betroffenen Patienten eine Rechnung über PCR-Tests im UKE. Erst eine Abendblatt-Anfrage führte dazu, dass der Patient die Kosten nicht begleichen musste. Es könnte sich um einen Abrechnungsfehler eines Dienstleisters gehandelt haben. Eine UKE-Sprecherin sagte, die Kosten der Corona-Tests würden regelhaft „über die Kostenträger“ – also die Krankenkassen – abgerechnet.