Hamburg. Forschende befürchten Zunahme von Impfdurchbrüchen. Was daraus folgt und wie wir uns trotzdem schützen können.
Vor Kurzem meldete Südafrika eine neue Corona-Mutante. Inzwischen ist Omikron in weiteren Ländern aufgetreten, auch in Deutschland: Bestätigte Fälle gibt es in Bayern und Nordrhein-Westfalen, hinzukommen Verdachtsfälle etwa in Hessen und Niedersachsen. Die Weltgesundheitsorganisation stufte das von der Variante ausgehende Risiko als „sehr hoch“ ein.
Worauf müssen wir uns einstellen? Darüber sprach das Abendblatt mit den Virologen Prof. Nicole Fischer vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und Prof. Adam Grundhoff vom Hamburger Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI). Die beiden verantworten eine Überwachungsplattform, mit der frühzeitig neue Varianten von Sars-CoV-2 in Hamburg erfasst werden sollen.
Hamburger Abendblatt: Dass Viren mutieren, ist normal. Was ist so überraschend an der neuen Omikron-Variante?
Adam Grundhoff: Wir hatten angenommen, dass zunächst weitere weniger stark mutierte Sars-CoV-2-Viren auftauchen würden, etwa Untervarianten der dominierenden Delta-Variante. Aber dass so schnell schon ein sehr stark veränderter Corona-Erreger auftritt, ist bemerkenswert.
Nicole Fischer: Omikron stammt nicht von Delta ab, sondern ist unabhängig davon entstanden. Die neue Variante zeichnet sich durch 30 Mutationen im Spike-Protein aus. Davon befinden sich 15 in einer Domäne des Spike-Proteins, mit der das Virus an menschliche Zellen andockt, um in sie einzudringen. Es ist zugleich der Ort, an dem prinzipiell viele neutralisierende Antikörper gegen das Virus wirken, indem sie das Andocken des Erregers blockieren. Zum Vergleich: Delta hat acht Mutationen im Spike-Protein.
Grundhoff: Neben dieser Domäne gibt es noch weitere Stellen, die für die Funktion und Wirksamkeit des Virus besonders wichtig sind. Bei Omikron liegen auffällig viele Mutationen an solchen Stellen eng zusammen.
Erhöht Omikron das Risiko für Geimpfte?
Ist Omikron deshalb ansteckender, also leichter übertragbar als Delta?
Grundhoff: Nicht zwangsläufig. Bislang gibt es dafür keine wirklich überzeugenden Daten. Ich gehe derzeit eher nicht davon aus, dass Omikron noch einmal wesentlich leichter übertragbar sein wird als Delta. Uns macht am meisten Sorgen, dass Omikron eine Immunflucht-Variante sein könnte, die eine gegen andere Sars-CoV-2-Varianten aufgebaute Abwehr des Körpers effizient umgehen kann.
Welche Folgen könnte das haben?
Fischer: Zu befürchten ist, dass es häufiger zu Impfdurchbrüchen kommen wird als bei Delta, dass sich also mehr Menschen trotz einer zweifachen Corona-Impfung mit Omikron infizieren werden. Das können wir an dem gegenwärtigen ohnehin schon kritischen Punkt der Pandemie nicht auch noch gebrauchen.
Grundhoff: Wenn Omikron für mehr Impfdurchbrüche sorgte, würden mehr Geimpfte das Virus übertragen. Für Ungeimpfte stiege dann das Infektionsrisiko nochmals; sie müssten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, sich noch in diesem Winter anzustecken.
Fischer: Was die Geimpften betrifft, so sollten die bisher verabreichten Impfstoffe allerdings auch bei einer Ansteckung mit Omikron vor schweren Verläufen schützen. Durch die Impfung werden nicht nur Antikörper gegen das Virus aufgebaut, sondern es werden auch sogenannte T-Zellen dazu gebracht, das Virus zu erkennen und mit dem Virus befallene Zellen zu bekämpfen. Selbst wenn es zu einer Infektion kommt, kann dieses Schutzsystem das Virus in Schach halten und daran hindern, sich im Körper zu verbreiten. Auch wenn es die erste Hürde nimmt, wird es eingedämmt.
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Grundhoff: Daher kann das durch die Impfung trainierte Immunsystem meist verhindern, dass das Virus auf die Lunge übergreift und einen schweren Verlauf hervorruft – auch wenn sich das Virus anfänglich im Nasen-Rachen-Raum vermehren und nachfolgend an andere Personen weitergegeben werden kann.
Corona: Ist Omikron gar nicht so gefährlich?
Medienberichten zufolge zeigten sich bei den ersten gemeldeten Omikron-Patienten in Südafrika vergleichsweise milde Symptome wie Körperschmerzen und Müdigkeit. Ist das ein Grund zur Hoffnung, dass die neue Mutante zumindest nicht gefährlicher ist als Delta?
Fischer: Das hoffen wir natürlich. Allerdings sind die meisten in Südafrika von Omikron betroffenen Menschen sehr jung. Wir sehen auch bei uns, dass die Jüngeren milde Verläufe mit Delta haben. Ob das mit Omikron wirklich genauso ist, wird man sehen müssen. Die bisher untersuchten Fälle haben zu wenig Aussagekraft.
Wird Omikron auch bei uns in Hamburg auftreten?
Grundhoff: Davon ist auszugehen. Mit Reisebeschränkungen können wir das nur hinauszögern.
Wie wird das erfasst?
Fischer: Im Rahmen der Hamburg Surveillance Plattform untersuchen wir am UKE pro Woche etwa 200 repräsentativ ausgewählte Proben von Corona-Fällen in Hamburg mit der PCR-Methode. Wir haben die Tests angepasst, um Mutationen, die typisch für Omikron sind, nachzuweisen. Anschließend müssen die vorläufigen Befunde allerdings durch eine Sequenzierung am Hamburger Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie bestätigt werden.
Hamburger Virologen erheben Booster-Kritik
Geht es mit den Erst- und Zweitimpfungen sowie mit dem Boostern zügig genug voran, um die vierte Welle zu brechen?
Grundhoff: Nein. Es müsste viel schneller gehen. Das liegt natürlich auch daran, dass sich viele Menschen immer noch nicht impfen lassen wollen. Zumindest scheint die Bereitschaft gerade etwas zuzunehmen – Gott sei Dank. Vielleicht fühlen sich durch Omikron noch mehr Menschen dazu motiviert, sich doch noch impfen zu lassen. Wir müssen ganz dringend dafür sorgen, dass die Lücke bei den Erst- und Zweitimpfungen geschlossen und dass so viele Menschen wie möglich geboostert werden. Wir wissen zwar noch nicht, wie gut das gegen Omikron wirken wird. Dennoch ist das Impfen unser mit Abstand bestes Instrument jenseits von Kontaktbeschränkungen.
Fischer: Darüber hinaus ist jeder Einzelne gefragt, jetzt vor allem private Kontakte erheblich einzuschränken.
An etlichen Orten, wo 2G gilt, gibt es keine Maskenpflicht. Kann man sich in solchen Situationen als Genesener oder Geimpfter sicher fühlen?
Fischer: Sie werden mich selten ohne Maske finden, ob im Büro oder im Labor – dabei sind meine Kolleginnen, Kollegen und ich alle doppelt geimpft, einige sind schon geboostert. Wir gehen auf Nummer sicher.
Grundhoff: Auch mein Rat für 2G-Situationen ist: Maske tragen, insbesondere in Innenräumen. Egal; ob Omikron kommt oder nicht, die Lage ist schon mit Delta angespannt genug. Vor einigen Monaten konnte man es sich noch ohne Maske leisten – jetzt nicht mehr.