Hamburg. Analog statt digital: Das ist der neue Trend in der Fotografie. Anatol Kotte und Oliver Heinemann eröffnen hierzu ein Geschäft.

Endlich gibt es sie wieder: die Eröffnungen. Neue Konzepte und Angebote, die allen zugänglich sind. Dazu kommt oft auch wieder eine feine Party. So ist es am morgigen Mittwoch, wenn die Fotografen Anatol Kotte und Oliver Heinemann um 15 Uhr die Türen von Khrome öffnen, ihrem Fotografie-Concept-Store für analoge Fotografie.

Die Idee, die sich hinter der hölzernen Eingangstür in der Kaiser-Wilhelm-Straße 73 zeigt, hat etwas von einem wohlig umhüllenden Schaumbad für Fotoenthusiasten: Hier gibt es gebündelt an einem Ort einfach alles für diejenigen, die auf einen Auslöser drücken wollen. Klick. Für die, die das Analoge, sozusagen das Handwerk des Fotografierens, lieben. Denn er ist längst da, der Trend, der wegführt vom flüchtigen, ewig reproduzierbaren Handyfoto. Weg davon, Tausende von Bilddateien auf dem Telefon, gespeichert in Clouds, auf Sticks oder externen Festplatten mit sich in der Hosentasche herumzuschleppen.

Retro-Trend in Hamburg

Diese Eröffnung kann also davon handeln, was gerade en vogue ist, von einem weiteren Retro-Trend. Davon, dass hippe junge Instagramer ihre Bilder in den Netzwerken mit den Hashtags #analog oder #analogphotography versehen. „Vor fünf, sechs Jahren, da hat es angefangen, als die Digicams nicht mehr denselben Reiz hatten, da das Handy ebenso gute Fotos gemacht hat“, sagt Oliver Heinemann. Aktuell habe das Handyfoto an Bedeutung verloren, es finde eine Rückbesinnung auf die Freude an den mechanischen Einstellungen statt, die beim Fotografieren mit einer analogen Kamera notwendig sind, sagt er.

Heinemann, aus der gleichnamigen Hamburger Einzelhandelsfamilie stammend, war jahrelang als Assistent von Anatol Kotte mit diesem durch die Welt gejettet, um ihm bei der Entstehung des perfekten Bildes eines neuen SUVs, eines namhaften Parfüms, eines Til Schweigers oder Rihanna zur Seite zu stehen. Seit 40 Jahren ist Kotte in der Branche, große Teile davon selbst eine Berühmtheit. Bei Weitem nicht jeden Assistenten hat es so lange an seiner Seite gehalten wie Heinemann. Sieben Jahre, nonstop. Zeit am Set, Equipment checken und schleppen, Gespräche mit Kunden in verschiedenen Zeitzonen, Reiseplanung, das Foto machen.

Heinemann mit Familie in Hamburg sesshaft geworden

Dieser Text kann also auch die Geschichte einer Arbeitsbeziehung in einer fast unwirklichen Branche erzählen, die in einer Freundschaft mündet, einer respektvollen, frotzelnden Beziehung zweier nicht ganz gleichaltriger Männer. Gespeist aus Anekdoten. „Du hast eine ganz enge Zusammenarbeit“, so Heinemann rückblickend auf die gemeinsamen Jahre von 2002 bis 2009. Kotte sagt: „Du bist nichts, wenn du dich nicht blind auf deinen Assi verlassen kannst.“ Nach einem Jahr wisse man schlicht alles voneinander. „Man macht nicht nur ein Bild, da bist du Problemlöser, bespaßt 30 Leute am Set, bist Locationscout und Producer.“ Gestern Finnland, heute Miami, übermorgen Süddeutschland.

Foto-Star Kotte sucht immer das besondere Bild eines Prominenten, hier die Sängerin Rihanna am Steuer.
Foto-Star Kotte sucht immer das besondere Bild eines Prominenten, hier die Sängerin Rihanna am Steuer. © Unbekannt | Anatol Kotte

Die Orte werden waghalsiger, es scheint keine Grenzen dafür zu geben, was für ein Foto möglich gemacht wird: Kotte will auf der berühmten Powell Street in Nob Hill in San Francisco fotografieren – klar, dass die dann extra für das Shooting stundenlang gesperrt wird. Er braucht das perfekte Licht am Tag, die passenden Kameraeinstellungen. Klick. Kotte und Heinemann sind 300 Tage im Jahr unterwegs, in Flugzeugen, Helikoptern, auf Gletschern, in der Wüste. Selten in Hamburg. Kottes erste Ehe zerbrach. „Ich habe erst hinterher geheiratet“, sagt Heinemann weise. Zwischenzeitlich hatte er sich auf Architekturfotografie verlegt, war dafür wieder weltweit im Einsatz. Drei Kinder bekam der 41-jährige gemeinsam mit seiner Frau, die Familie lebt in Ottensen.

Kotte freut sich auf Eröffnung in Hamburg

Kotte heiratet erneut, hat nun vier Töchter im Alter von zwölf bis 33 Jahren, ist Opa und lebt – nach einem heftigen Zusammenbruch mit Halluzinationen im Tropenkrankenhaus, tagelangem Fieber und tiefstem Schlaf – in Blankenese und hat sich neben eigenen Ausstellungen der Porträtfotografie und dem Fotografieren für Zeitschriften wie dem „Stern“ zugewandt. „Ich war so durch, ich habe mich gar nicht mehr gefragt, ob ich glücklich war“, sagt Kotte. Jetzt wirkt er zumindest gelassen, nicht gehetzt, in freudiger Erwartung auf die Eröffnung.

Darauf, den „ersten Ort in Hamburg zu schaffen, bei dem es sich nur ums Analoge dreht“. Kotte wird sich vornehmlich um die angeschlossene Galerie kümmern, die im September zeitgleich mit der Fotomesse Photopia eröffnet wird. Heinemanns Schwerpunkt liegt im Führen des Ladengeschäfts. Sein Tatendrang ist spürbar, er suchte schon länger nach einem Konzept, mit dem er die Fläche, die er bereits hatte, bespielen konnte. „Der Reiz war raus“, sagt er und meint damit, dass er keine Lust mehr auf das Fotografieren von Bauwerken hat.

Für die alten Kameras fahren die beiden durchs Land

Künftig steht er dann hinter dem Tresen der 100 Jahre alten Drogerieeinrichtung, die die beiden als Zweitbesitzer im Osten Deutschlands gekauft haben. In den verspiegelten Regalen türmen sich schon alte Filme, Dosen und einige alte Kameras – die Herzstücke. „Dafür fahren wir durch die Gegend und kaufen alte Geräte auf, überholen sie komplett und checken sie durch, denn teilweise sind die ja 30, 40 Jahre alt.“

Die Nachfrage ist enorm, gerade bei der jüngeren Generation sind Modelle wie die Olympus OM 2, Pentax K 1000 oder Canon AE-1 voll im Trend. „Wir sind sicher keine Retro-Dogmatiker“, sagt Heinemann, „wir haben beide professionell digital gearbeitet, wollen aber das Analoge gern vermitteln. Wir wollen diese Fans in Hamburg für uns gewinnen, es ist definitiv eine Welle da, und wir sorgen dafür, dass es weitergeht.“

Zusammenbringen von Interessierten und Experten

Der Laden mit angeschlossener Galerie Capitis, eigenem Labor im Keller für die Entwicklung der Filme, Workshopfläche und dem ehemaligen Restaurant Lilienthal, das von Fernsehkoch und Autor Tarik Rose betrieben werden wird, sei „bei Weitem keine Spielerei“. Beiden ist das wichtig. Dennoch, bei allen betriebswirtschaftlichen Überlegungen, Kotte muss auch schwärmen: „Die alten Kameras haben eine Magie, das sind Handschmeichler.“ Gemeinsam wollen sie den Ort in der Stadt schaffen, wo sich alles bündelt, „die Dreh- und Angelscheibe“, wo Interessierte auf Experten treffen, wo ein exquisites Fachleute-Netzwerk Produkte sehr schnell heranschaffen kann.

Miss Piggy ist neben Angela Merkel, Geraldine Chaplin, Roger Moore oder Mario Draghi eine der Prominenten, die von Kotte porträtiert wurden.
Miss Piggy ist neben Angela Merkel, Geraldine Chaplin, Roger Moore oder Mario Draghi eine der Prominenten, die von Kotte porträtiert wurden. © Unbekannt | Anatol Kotte

Heinemann und Kotte stehen mit ihren Biografien selbst dafür, was der Analog-Trend bedeuten kann: Entschleunigung leben. Innehalten. Man muss über ein Bild nachdenken, bevor man es macht. Wie ist das Licht? Welche Blende? Welche Brennweite? Welcher Bildausschnitt, wie soll die Stimmung sein? Digital kann dies auch im Nachhinein passieren, in der Postproduktion, also der Bearbeitung nach dem Schuss. Legt man halt den Filter drüber, schon ist es Kunst.

Digital und analog: Hamburger Galerie setzt auf Mix

Heinemann sieht das differenzierter, für ihn dienen die unzähligen Handyfotos der Dokumentation, es gehe weniger um das Foto an sich. „Ich vergleiche es mit einem Waldspaziergang, bei dem man bewusst schaut, ruhig wird, du zu dir selbst findest“, erklärt Heinemann. „Für das analoge Foto ist das ähnlich, du suchst erst Motive, musst dich damit auseinandersetzen und bewusst gucken.“ Dann erst kommt der Klick.

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In Kirsten Roschlaubs Galerie in Rotherbaum hängen sowohl digitale als auch analoge, meist großformatige Fotografien an den Wänden. Die Galeristin, die sich seit Jahrzehnten mit Fotografie-Typen beschäftigt, setzt auf andere Kriterien und ihre Kunden auch. Viel relevanter sei die Haltbarkeit des Prints, „denn kein Käufer will, dass sein teures Bild mit der Zeit verblasst oder vergilbt“. Jedoch: Garantien auf das Fotopapier und die Art der Entwicklung könnten gar nicht immer sicher gegeben werden. Dann geht es neben der Art und Weise, wie ein Foto entstanden ist, auch darum, wie es entwickelt wurde – ein analoges Bild kann natürlich digital entwickelt und aufgezogen werden.

„Es geht im Kunstbereich auch viel um den Inhalt"

Gibt es da überhaupt ein „besser oder schlechter“? „Es ist generell im Kunstbereich eine Glaubensfrage“, sagt die Galeristin, „allerdings haben analoge Fotos teilweise einfach eine schlechtere Qualität.“ Doch auch gerade das Unperfekte kann den Charme eines Motivs ausmachen oder aber der Bildinhalt toppt alles. „Bilder von Sanford Roth, der James Dean immer fotografierte, bei banalen Sachen wie Autoputzen, sind unheimlich begehrt, sowieso kleine Auflagen von Vintage-Fotos von möglichst schon verstorbenen Prominenten.“ Marilyn Monroe mit wehendem Rock. Romy Schneider. Auch Landschaften und Tiere als Motiv – gern vom Hamburger Michael Poliza – werden erworben für die Wohnzimmerwand.

„Es geht im Kunstbereich auch viel um den Inhalt, mir persönlich um die Komposition von Schärfe, Bildaufbau und Druck“, sagt Roschlaub. Selbst fotografiere sie wenig mit dem Handy, erinnert sich aber zu gern ans Durchblättern der Fotoalben bei den Eltern zu Hause. Es sei besonders gewesen, das Foto, eine Freude, auch wenn man es schon gekannt habe.

Retro-Trend sei eine Nische, reine Nostalgie

Im Gegensatz zu heute, wo jeder eine Masse an Privatbildern hat, die in der Cloud vor sich hin schweben? „Die Flut von Fotos ist eine Tatsache“, sagt Sebastian Lux, Geschäftsführer der Stiftung F.C. Gundlach, dem Gründer des Hauses der Photographie in den Deichtorhallen. „Aber eigentlich hat sich im Vergleich zu früher nichts geändert, nur das Medium ist ein anderes.“ Viele Fotos, viel Ausschuss, wenig schafft es ins Familienalbum – heute auf Insta, ein ausgewählter Kreis bekommt es zu sehen. Voilà.

Denn auch als Generationenstück kann man diese Geschichte erzählen, doch Lux mag die Einteilung in die Rückbesinnung auf das gute Analoge, das auserwählte Analogbild im Gegensatz zum gedankenlos geschossenen Digital-Handybild nicht gelten lassen. Der Retro-Trend, der sich aktuell auch in den gestiegenen Käufen von alten Plattenspielern spiegelt, sei so etwas wie eine Sehnsucht nach dem Vergangenen. „Die Emotionen, die ich mit einer 35-Millimeter-Kamera verbinde, das ist halt wirklich Nostalgie“, sagt der Fachmann. „Das bessere und günstigere Foto machen Laien digital.“ Er hält den Trend zum Analogen vielmehr für eine Nische und „eine Rückbesinnung auf Tradition, die sich nicht wieder in der Breite durchsetzen wird.“

Begegnungsstätte für Fotografie in Hamburg geplant

Grund sei, dass die Hürde zu hoch ist. „Ich fahre in den Urlaub, in der einen Hand habe ich mein Smartphone mit integrierter Kamera, das ich sowieso dabei habe. Fürs Analoge müsste ich eine große, schwere, empfindliche und nicht wasserdichte Kamera mit Rollfilm zusätzlich mitnehmen, danach den Film abgeben und entwickeln lassen.“ Dennoch nennt er den Ort Heinemanns und Kottes ein Desiderat, plant selbst eine Begegnungsstätte, Fotokamp soll sie heißen. „Es wird eine gemeinnützige Institution für Fotografie und Medienkunst als Kulturgut.“

Eine andere Ausrichtung, aber der Fotografie in der Stadt verschrieben. Denn ob analog oder digital, nix ist egal, nichts banal. Vieles aber genial.