Hamburg. In Altona setzte die Stadt Hamburg ungewöhnlicherweise auf einen Investor und ging damit baden. Jetzt gibt es drei Lösungen.

Zugegeben: Wer nicht rund um die Uhr bei Twitter, Instagram & Co. unterwegs ist, lebt entspannter. Doch manchmal lohnt ein Blick auf die kleinen Botschaften, die auch Politiker dort senden. So zwitscherte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) Ende Februar stolz: „Unser Landesbetrieb LIG hat … für die Stadt von der BIMA des Bundes die Alttrasse der Wilhelmsburger Reichsstraße für 6,4 Mio gekauft – rund 163.000 qm für eine aktive Stadtentwicklung auf der Elbinsel und ein Beitrag zur nachhaltigen Flächenpolitik!“

So verquickt der Senat Flächen- und Stadtentwicklungspolitik miteinander

Wer wollte, konnte aus den wenigen Worten gut ablesen, wie dieser Senat Flächen- und Stadtentwicklungspolitik miteinander verquickt. Wo städtische Interessen tangiert sind, wird in der Regel versucht, die Flächen in den Besitz der Stadt zu bringen – wenn sie es nicht schon sind. Geht es um große Stadtentwicklungsprojekte, wird dann im zweiten Schritt meist eine städtische Gesellschaft beauftragt, die Fläche zu entwickeln und zu vermarkten. So läuft es in Oberbillwerder (7000 Wohnungen), in den Fischbeker Rethen (2300 Wohnungen), im Pergolenviertel (1700 Wohnungen), und nach diesem Muster sollen auch auf dem früheren Reichsstraßen-Areal 4800 Wohneinheiten entstehen.

Stefanie von Berg (Grüne) leitet das Bezirksamt Altona.
Stefanie von Berg (Grüne) leitet das Bezirksamt Altona. © Roland Magunia / Funke Foto Services | Roland Magunia

Prominentestes Beispiel ist sicher die HafenCity: Der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) hatte sämtliche Flächen diskret in den Besitz der Stadt gebracht, bevor er 1997 die Überlegungen für einen komplett neuen Stadtteil mit 7500 Wohnungen und 45.000 Arbeitsplätzen verkündete – ein Coup. Betreut und vermarktet wird das Areal seitdem von der heutigen HafenCity GmbH – erfolgreich, wie man im Rathaus meint, daher darf die städtische Gesellschaft nun auch den benachbarten Grasbrook in einen Stadtteil mit 3000 Wohnungen, viel Gewerbe und ein Hafenmuseum verwandeln. Die Flächen? Gehören längst der Stadt.

Holsten-Quartier läuft nach völlig anderem Muster ab

Warum das hier erzählt wird? Nun, weil es ein Großprojekt in Hamburg gibt, das nach einem völlig anderen Muster abläuft – und einfach nicht vorankommt: das Holsten-Quartier. Aktuell macht die Adler Group als Muttergesellschaft des Investors Consus Negativschlagzeilen: schwere Vorwürfe von Anlegern, ein Milliardenverlust, der Wirtschaftsprüfer KPMG versagt das Testat, die Aktie stürzt ab. Die dringend benötigten 1300 Wohnungen auf der ehemaligen Brauereifläche im Herzen Altonas sind in weiter Ferne. „Ein Desaster“, befanden nicht nur Oppositionsparteien wie CDU und Linke. Selbst der für die Grundstücksgeschäfte der Stadt zuständige Finanzsenator räumt ein: „In Wahrheit ist das Holsten-Quartier ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen sollte. Das wird auch nicht wieder vorkommen – dafür haben wir als Senat inzwischen viele wichtige Weichen gestellt.“

 Dirk Kienscherf ist SPD-Fraktionschef
Dirk Kienscherf ist SPD-Fraktionschef © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Doch wie kam es dazu? Wer nach den Gründen sucht, landet schnell bei dem ungewöhnlichen Befund, dass hier nicht die Stadt selbst am Werk ist, sondern einem Investor ein ganzes Stadtentwicklungsprojekt anvertraut wurde. Warum das so ist, beziehungsweise warum das in Abweichung vom sonstigen Senatskurs nicht verhindert wurde, ist nur im Kern klar – im Detail gehen die Darstellungen auseinander.

Holsten-Quartier: Das Gelände gehörte nie der Stadt

Tatsache ist, dass das Gelände nie der Stadt gehört hat, sondern früher der Holsten-Brauerei und ihrem Mutterkonzern Carlsberg. Als dieser 2016 das Gelände verkaufte, um einen moderneren Standort zu errichten, stieg die Stadt weder in das Bieterverfahren ein, noch ließ sie sich ein Vorkaufsrecht einräumen – das es zu dem Zeitpunkt für das Gelände nicht gab. Dass sie auf diesen wichtigen Hebel verzichtete und so das Filetgrundstück dem freien Spiel des Marktes überließ, hatte allerdings einen triftigen Grund: Der Senat hatte großes Interesse daran, die traditionsreiche Holsten-Brauerei samt der rund 200 Arbeitsplätze in Hamburg zu halten. Doch die Zusage von Carlsberg – 2019 ging die neue Brauerei in Hausbruch in Betrieb – „bezahlte“ die Stadt, die wesentlich weniger für das Grundstück gegeben hätte als ein privater Investor, mit dem Verzicht auf das Areal und das Vorkaufsrecht. Ein Entgegenkommen an Carlsberg, das die Politik heute bitter bereut.

„Sie haben uns zugesichert, dass sie das Grundstück an seriöse Investoren verkaufen werden“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Dass es nicht so geschehen ist und Carlsberg so damit umgegangen ist, haben wir uns nicht vorstellen können. Das ist nicht verantwortungsvoll gegenüber der Stadt.“ Den Zuschlag erhielt damals die Gerchgroup. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. Denn der Investor reichte das Grundstück an die Schweizer SSN Group AG weiter, die später von Consus übernommen wurde, die nun zur Adler Group gehört – eine Aneinanderreihung von Share Deals, bei denen nicht das Grundstück verkauft wird, sondern nur Anteile an Zweckgesellschaften, denen die Flächen offiziell gehören. Ein undurchsichtiges Unterfangen, bei dem der Wert des 8,6 Hektar großen Areals von ursprünglich rund 150 Millionen Euro laut Bilanz zuletzt auf rund 364 Millionen Euro gestiegen sein soll. Die Stadt guckte jeweils in die Röhre, denn bei Share Deals fällt keine Grunderwerbsteuer an. Kienscherf platzte daher bereits 2020 der Kragen: „Solche Unternehmen brauchen wir nicht in Hamburg“, wetterte er.

Holsten als Spekulationsobjekt – Grüne hatten davor gewarnt

Nun ist es nicht so, dass die Stadt sonst nie mit Investoren zusammenarbeitet, im Gegenteil. Bauen tun am Ende fast immer private Firmen, und manchmal sind sie auch von Anfang an als Grundeigentümer mit im Boot – etwa im ersten Bauabschnitt der Neuen Mitte Altona. Aber bei großen Stadtentwicklungsprojekten ist das die absolute Ausnahme. Dass der Senat sich nur noch ungern von Flächen trennt und stattdessen verstärkt auf Erbpacht-Verträge setzt (eine der von Dressel angesprochenen Weichenstellungen), stößt selbst bei den „sozialen“ Vermietern wie Genossenschaften regelmäßig auf massive Kritik.

Dass nicht absehbar war, was mit dem Holsten-Areal passieren kann, wenn die Stadt die Zügel aus der Hand gibt, sehen auch längst nicht alle so. Im Gegenteil. Die Linkspartei sah das kritisch, und auch die Grünen skizzierten etwaige Szenarien bereits 2014. Deren Stadtentwicklungsexperte Olaf Duge warnte damals explizit vor der „Gefahr von Grundstücksspekulationen“, wie aus einem Ausschussprotokoll hervorgeht. Der Vorschlag, eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme auf den Weg zu bringen, um den Einfluss der Stadt zu sichern, wurde von der damals noch allein regierenden SPD aber nicht aufgegriffen. Sie äußerte Bedenken, da es bei Carlsberg Überlegungen gegeben habe, Hamburg als Standort zu verlassen.

„Ich wollte die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme damals einleiten, weil ich befürchtet habe, dass das Holstenquartier zum Spekulationsobjekt wird“, sagte Duge dem Abendblatt. „Ich habe es vorausgeahnt und allen vor die Nase gehalten.“ Auch ein damaliger Kauf der Stadt wäre immer noch günstiger gewesen, als es heute der Fall ist, gibt er zu bedenken. Angesichts der Vorgeschichte sorgte Kienscherfs dezente Kritik, das von Stefanie von Berg (Grüne) geführte Bezirksamt Altona dürfe ruhig etwas robuster gegen den Investor vorgehen, für Unmut bei den Grünen.

Wie es nun weitergeht, ist offen

Wie es nun weitergeht, ist offen. Die Situation sei total verfahren, sagte ein Altonaer Politiker. Die offizielle Linie – Lösung eins – ist diese: Das Bezirksamt hat von Consus eine Bank-Bestätigung angefordert, das die Finanzierung des Projektes gesichert ist. Erst wenn die vorliege, würde man den städtebaulichen Vertrag mit dem Investor unterzeichnen, dann einen Bebauungsplan verabschieden, danach könnte der Bauantrag gestellt und dann vielleicht irgendwann gebaut werden. Hätte, könnte, würde – das ist viel Konjunktiv. Dass dieser Plan angesichts der Turbulenzen bei Adler noch Realität wird, gilt in der Politik als sehr unwahrscheinlich.

Doch seit Mitte der Woche kommt Bewegung in die Sache. Denn da wurde zumindest klar, dass der Senat an einer zweiten Variante arbeitet: Er will den Investor vom Hof scheuchen und die Fläche jetzt doch selbst übernehmen. Der bei der Finanzbehörde angesiedelte Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) hat Consus angeschrieben und angefragt, wie es denn um die Verkaufsbereitschaft stehe. „Dass der aktuelle Investor dieses für Hamburg wichtige Projekt umzusetzen in der Lage ist, muss bezweifelt werden“, sagte Finanzsenator Dressel dem Abendblatt. Er schränkte zwar ein, dass nun „alle Optionen“ geprüft würden, dass ein Erwerb der Flächen durch die Stadt nur eine davon sei und diese auch „nur zu einem angemessenen Preis“ erfolgen könne.

Theoretisch gibt es noch eine dritte Lösung

Doch unterschwellig wird aus Regierungskreisen deutlich signalisiert, dass sich das Unternehmen keine Hoffnung mehr zu machen braucht, dass die Stadt einen Vertrag mit ihm unterschreibt oder gar Baurecht für die Flächen schafft – offiziell ist das Holstenareal nämlich immer noch Industriegebiet. Die Hoffnung ist also, dass Consus aus Sorge, auf ein paar vergleichsweise wertlosen Hallen sitzen zu bleiben, die Fläche lieber mit Verlust an die Stadt verkauft. Allerdings beteuert das Unternehmen, dass man das Holsten-Quartier realisieren wolle und das nötige Kleingeld dafür habe.

Theoretisch gibt es noch eine dritte Lösung: Die Stadt sichert sich das Areal über das Vorkaufsrecht – das hat sie sich nämlich 2019 nachträglich eingeräumt. Allerdings kann das nur zum Tragen kommen, wenn Consus tatsächlich das Grundstück an einen Dritten weiterverkaufen will. Würde der Investor das hingegen erneut über einen Share Deal versuchen, hätte die Stadt nur eine Chance zum Eingreifen, wenn sie nachweisen könnte, dass dieser nur zur Verschleierung eines Grundstücksgeschäfts dient – das dürfte eine langwierige juristische Auseinandersetzung werden.

Wahrscheinlicher ist daher wohl, dass der Finanzsenator irgendwann twittert: „Hurra, unser LIG hat das Holstenquartier gekauft!“ Aber vermutlich nicht für 6,4 Millionen Euro ...