Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister im Gespräch. Heute über den Tod des Oppositionellen – und warum er an Dietrich Bonhoeffer erinnert.

Jede Woche stellt sich der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist tot – ein weiterer Beweis für die wachsende Repression unter Putin?

Klaus von Dohnanyi: Sicherlich. Als ich das erste Mal von Nawalny hörte, hatte er den Ruf eines entschiedenen Nationalisten. Gerade damit wurde er für Putin zum gefährlichsten Gegner, denn niemand konnte Nawalny vorwerfen, ihm liege nichts an Größe und Geschichte Russlands. Doch Nawalny wurde klar, dass auch sein Russland ohne mehr Freiheit keine Zukunft haben werde. Und so wurde er zu einem Vorkämpfer für ein freieres Russland. Ich weiß nicht, ob Nawalny seine Ideen jemals in Form eines Verfassungskonzeptes festlegte: Aber mit westeuropäischem Demokratieverständnis hätte sein Konzept wohl kaum übereingestimmt. Darin ähnelte er vermutlich eher Solschenizyn, Sacharow oder auch Gorbatschow. Der Westen sollte dieses grundsätzliche Anderssein Russlands endlich akzeptieren, damit wir in Frieden mit unserem großen Nachbarn leben können.

Dohnanyi: „Nawalnys Mut und Zuversicht haben ihn tief in das russische Geschichtsbuch eingraviert“

Iken: Nach einem Giftanschlag wurde Nawalny 2020 in Berlin behandelt. Verstehen Sie, warum er zurückgegangen ist?

Dohnanyi: Damals nicht: Wie konnte er, kaum geheilt, freiwillig in dieses tückische Regime zurückkehren? Heute ist mir klar: Es war der fast selbstverständliche Weg eines wahren Patrioten. Er wollte sein Vaterland nicht im Stich lassen. Später erinnerte ich mich dann an eine Geschichte in unserer Familie: Dietrich Bonhoeffer, jüngster Bruder meiner Mutter, befand sich 1939 in den USA. Als der Krieg drohte, entschloss er sich zur Rückkehr nach Deutschland, aller Gefahren bewusst. Natürlich rieten ihm seine Freunde, in den USA zu bleiben, er aber wies diesen Rat zurück: In der Gefahr muss ich bei meinen Leuten sein! Die Nazis konnten auch ihm das Vaterland nicht nehmen.

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Iken: Kann Nawalnys Tod dann – wie der von Dietrich Bonhoeffer – zugleich Hoffnung machen für bessere Zeiten?

Dohnanyi: Im Augenblick trauern offenbar sehr viele Menschen in Russland, sicherlich mehr, als es öffentlich wagen. Bonhoeffer war ein menschlich warm und schön schreibender Theologe, und als solcher lebt er auch in der Erinnerung der Menschen fort. Im Kreise einiger weniger erinnert heute seine Statue am Eingang der Westminster Abbey in London an zivile Helden des 20. Jahrhunderts. Ich glaube und hoffe, dass Nawalnys Mut und Zuversicht ihn tief in das russische Geschichtsbuch eingraviert haben. Putin wird das nicht ändern, denn Nawalny ist inzwischen zu einem Symbol für ein anderes Russland geworden und wird vielleicht viel länger erinnert werden als Putin.