Hamburg. Der Altbürgermeister sieht das neue Bündnis als Chance: Es könnte Debattenräume öffnen, „die schon allzu lange verbarrikadiert sind“.

Jede Woche stellt sich der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: Das Bündnis Sahra Wagenknecht tritt bei den kommenden Wahlen an. Hat sie eine Chance?

Klaus von Dohnanyi: Sahra Wagenknecht hat eine Chance und könnte nach meiner Überzeugung die deutsche Politik verändern. Warum? Weil nur sie heute offenbar bereit zu sein scheint, sperrige Tabus zu sprengen und so der politischen Debatte in Deutschland die Freiräume wieder zu öffnen, die schon allzu lange verbarrikadiert sind. Zwei Beispiele: Die alte Nato-Wahrheit, es könne Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben, nimmt sie wieder ernst und will die Beziehungen zu Russland deswegen wieder aktivieren. Oder: Die EU hat aufgrund ihrer Zuständigkeiten ein Interesse an immer mehr Regulierungen. Aber Wettbewerbsfähigkeit hängt auch von den Freiräumen ab, die Unternehmer haben. Da liegt ein Vorteil der USA. Auch Krisen kann man am besten durch Initiativen und nicht durch Fesseln überwinden. Also müsste dieser Regulierungsdrang der Kommission in Brüssel gestutzt werden. Wagenknecht hat das erkannt. Ihre Chance wäre, Bundestagsdebatten über derart unbequeme Themata zu erzwingen und so der politischen „Vernunft“ wieder mehr Aufmerksamkeit einzuräumen! Ich denke, das brächte ihr weitere Zustimmung.

Klaus von Dohnanyi: „Es wird Bewegung geben, und dieses Mal in die richtige Richtung.“

Iken: Ist das neue Bündnis also eher Bereicherung? Oder doch eine Belastung für das Parteiensystem?

Dohnanyi: Das könnte davon abhängen, welche Koalitionen sich Wagenknecht öffnen werden. Noch haben wir die neue Partei nicht in ihrer täglichen Arbeit gesehen. Sahra Wagenknecht ist eine beeindruckende Person und Rednerin, aber ein Bündnis mit dem Anspruch „neuer politischer Vernunft“ wird keine „Ein-Frau-Partei“ bleiben können. Wer sonst wird noch prominenten Einfluss auf den Kurs des Wagenknecht-Bündnisses gewinnen und in welcher Richtung? Und: Welche Wirkung wird Wagenknecht auf die Wählerbewegungen in den Ländern und im Bund ausüben? Könnte endlich die AfD der Verlierer sein? Die Meinungen darüber sind geteilt, und die ersten Landtagswahlen in den „neuen“ Ländern werden keine zuverlässige Auskunft für den Bund geben. Aber wenn die AfD unter Druck käme, wäre doch das alleine schon ein Erfolg.

Iken: Wie wird das Bündnis Sahra Wagenknecht die deutsche Politik verändern?

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Dohnanyi: Ich bin überzeugt: Es wird Bewegung geben, und dieses Mal in die richtige Richtung. Wie schon gesagt: Tabus werden gebrochen werden, und neue Koalitionen könnten fruchtbar werden. Das allein scheint mir schon ein Verdienst von Sahra Wagenknechts Initiative und eine Hoffnung für neue politische Ansätze in dieser immer starreren Bundesrepublik Deutschland.