Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi hält Aufregung um die Rechtspopulisten für übertrieben. Er will sie inhaltlich stellen.
Jede Woche stellt sich der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.
Matthias Iken: Millionen gehen in Deutschland gegen Rechtsradikalismus auf die Straße. Wie wichtig sind diese Demonstrationen?
Klaus von Dohnanyi: Sie sind sehr wichtig, denn sie unterstreichen, wie auch die Umfragen, dass über Dreiviertel der Wähler die AfD nicht wählen wollen. Warum also die ganze Aufregung? Droht unserer Demokratie von gut 20 Prozent der Wähler eine Gefahr? „Nie wieder“ ist ein schönes Schlagwort – aber wie kam es denn zu Hitlers Chance 1933? Nicht durch Wahlen: Es war die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, die im März 1930 auf Druck der Gewerkschaften ihren sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller wegen einer relativen Lappalie (ein Viertelprozent Beitrag zur Arbeitslosenversicherung) stürzte, zukünftige bürgerliche Koalitionen erschwerte und damit den Untergang einleitete. So berichtete es Friedrich Stampfer, damals Vorstandsmitglied der SPD und Herausgeber des „Vorwärts“. Der SPD-Fraktion fehlte damals der Mut zum politischen Kompromiss. Ja, das bitte nie wieder!
Klaus von Dohnanyi: „Wir brauchen mehr Mut in der Debatte mit der AfD“
Iken: Inzwischen mehren sich die Stimmen für ein AfD-Verbot.
Dohnanyi: Davon halte ich gar nichts. Parteien kann man vielleicht verbieten, aber Meinungen nicht. Würde durch ein Verbot auch der Geist der AfD ausgelöscht? Wohl kaum! Von Helmut Schmidt stammt die kluge Beobachtung: „Politik ist ein Kampfsport.“ Um Meinungen und Überzeugungen muss man in der Politik kämpfen. Diesen Mut brauchen wir heute für eine sachliche Begegnung mit der AfD, denn auch die AfD wirft gelegentlich Fragen auf, über die man ernsthafter streiten sollte: Was bedeutet zum Beispiel die von der Ampel gewährte Erleichterung beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für den Zusammenhalt des Staates? Wer hat den Mut, die AfD hier zur ernsten Debatte zu fordern? Man ist doch nicht „rechtsradikal“, wenn man selbst vorsichtiger vorangehen möchte. Und man betreibt auch keinen Demokratieverrat, wenn man die AfD ernst nimmt, um mit ihr sachlich parlamentarisch zu streiten.
Iken: Wie lassen sich die Rechtspopulisten zurückdrängen?
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Dohnanyi: Ein Verbot wäre falsch und erfolglos. Aussichtsreicher wäre es zu überlegen, wo die Populisten eventuell recht haben könnten, um dann Fehlentwicklungen zu beseitigen – und wo sie härtesten Widerstand der Demokraten erfahren müssen. Beim Migrationsproblem gibt es ja bereits erste Schritte. Die Bereitschaft zur Debatte, die Einsicht, nicht immer alleine recht zu haben, und dann der erstrittene Kompromiss: Das ist Demokratie! Wer könnte derart selbstbewusste demokratische Parteien besiegen? Angst vor Populisten ist meine Sache nicht.