Hamburg. Hamburgs Altbürgermeister über die jüngste Umfrage in Sachsen: Wie kommt es, dass die Rechtspopulisten inzwischen bei 37 Prozent stehen?

Jede Woche stellt sich der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi den Fragen des stellvertretenden Abendblatt-Chefredakteurs Matthias Iken.

Matthias Iken: In der jüngsten Umfrage liegt die AfD in Sachsen bei 37 Prozent und damit sogar vor der CDU. Müssen wir eine Machtübernahme der Rechten im Osten fürchten?

Klaus von Dohnanyi: Die Lage ist ja nicht neu; schon lange war zu erkennen, dass die AfD nicht nur in der Region der ehemaligen DDR eine starke und nicht zu übergehende politische Kraft geworden ist. Ich finde es wenig tröstlich hinzuzufügen, dass diese Tendenz nach „rechts“ in allen Staaten stattfindet. Aber haben wir in Deutschland hier vielleicht etwas besonders falsch gemacht? Die AfD wird doch in freien Wahlen gewählt. Wir aber haben den demokratischen Wunsch ihrer Wähler immer nur missachtet, abgeblockt und von jeder politischen Beteiligung ausgeschlossen. Könnte das ihre Radikalisierung betrieben haben? Wir haben der Partei nicht einmal die Chance gegeben, am demokratischen Prozess im Bundestag durch einen von der demokratischen Mehrheit mitbestimmten Abgeordneten teilzunehmen, zum Beispiel als Vizepräsidenten. Erinnere ich richtig, dass sogar Wolfgang Schäuble das kritisch kommentierte? Bekommen wir jetzt die Quittung?

Klaus von Dohnanyi: „Zweifel an den Strukturen der Demokratie“

Iken: Wie erklären Sie sich diesen Rechtsruck in Sachsen? Dem Land geht es ökonomisch doch recht gut ...

Dohnanyi: Ich glaube nicht, dass die wirtschaftliche Lage weltweit das Hauptmotiv der rechtsradikalen Parteien ist. Es geht besonders im Osten um das Vertrauen in die heutige Form der Demokratie. Die treibende Kraft hinter all diesen „rechten“ Parteien ist ein tief verankertes Gefühl, dass unsere heutigen Strukturen der Demokratie (nicht die Demokratie als solche!) den neuen Zeiten nicht mehr gewachsen seien. Dabei geht es nicht um das Recht zu wählen, in einem Parlament die Gesetze zu machen und einer unabhängigen Justiz dann die endgültige Entscheidung zu überlassen. Es geht eher darum, dass gerade in schwierigen Zeiten aus dem demokratischen Wahlprozess eine starke und entscheidungsfähige Führung hervorgehen müsste. Was könnte man da besser machen?

Iken: Die SPD liegt in Umfragen in Sachsen mit drei Prozent unter der Fünf-Prozent-Hürde. Was macht Ihre Partei besonders falsch?

Mehr zum Thema

Dohnanyi: Wenn an meiner Analyse etwas dran ist, dann wurde die SPD in eine Situation gestellt, die auch andere Parteien kaum besser gemeistert hätten. Unsere Demokratie muss die Frage beantworten: Wie könnte ein parteipolitisch zersplittertes Parlament dennoch eine starke Führung hervorbringen? Sollte ein Bundeskanzler vielleicht immer mit breiterer Mehrheit gewählt werden? Würden dann politisch stärker abgesicherte Führungskräfte zum Zuge kommen? Jedenfalls ist die Ampel für mich ein Beweis dafür, dass es mit den heutigen Verfahren und Regeln offenbar nicht mehr wirklich gut geht.