Hamburg. Annette Kurschus zieht sich zurück. Die Nachricht trifft auf ein verunsichertes Kirchenvolk. Jetzt rückt Hamburgs Bischöfin nach.
Quo vadis, Kirche? Diese Frage stellten sich die evangelischen und katholischen Christen in der vergangenen Woche. Da wurden repräsentative Daten über die Mitgliederentwicklung und die Religiosität der Deutschen vorgelegt. Die Tendenz: Es geht weiter bergab, und das noch viel schneller.
Rücktritt von Kurschus: „Sehr traurig, aber getrost“
Wohin gehst du, Kirche? Diese Frage stellt sich seit diesem Montag abermals. Annette Kurschus, Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und westfälische Kirchenleiterin (Präses), tritt mit sofortiger Wirkung von ihren beiden Ämtern zurück. Damit zieht sie „sehr traurig, aber getrost und aufrecht“ die persönlichen Konsequenzen aus den Vorwürfen offenbar mangelnder Transparenz bei der Aufklärung eines mutmaßlichen Missbrauchsfalls vor 30 Jahren.
Missbrauchsfall in Ahrensburg: Rücktritt von Maria Jepsen
Während die kritische Öffentlichkeit bislang vor allem die römisch-katholische Kirche und deren Umgang mit Missbrauchsfällen ins Visier nahm, erreichen die Erschütterungen nun auch die Spitze der evangelischen Kirche. Man fühlt sich an das Jahr 2010 erinnert. Damals trat Maria Jepsen als Hamburger Bischöfin zurück, nachdem ihr vorgeworfen wurde, einen schweren Missbrauchsfall in Ahrensburg vertuscht zu haben.
Die Nachricht vom Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden und die Publikation der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung über die Zukunft der Religion in Deutschland treffen auf ein verunsichertes Kirchenvolk. In jener Institution, in der zunehmend die Controller, Statistiker und Klimaaktivisten an Einfluss gewinnen, schwindet angesichts negativer Prognosen das Vertrauen in die eigene Kraft - vom Vertrauen in den Herrn der Kirche, Jesus Christus, ganz zu schweigen.
Kirchenmitglieder müssen sich deshalb gegenüber Religionskritikern mehr den je rechtfertigen, warum sie „diesem Verein“ die Treue halten und noch nicht ausgetreten sind. Es scheint zum modernen Zeitgeist zu gehören, nicht mehr Kirchenmitglied zu sein. Das gilt vielen offenbar als antiquiert und gar nicht aufgeklärt.
Christen sind Botschafter der Hoffnung und der Nächstenliebe
Bei allen den personellen und religiösen Verwerfungen sollten die Christen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Gerade jetzt nicht. Sie sind Botschafter der Hoffnung wider den Tod, der Gottes- und Nächstenliebe. Die Musik in ihren Gotteshäusern tröstet und verzaubert. Die Gebete und die Geschichten aus der Bibel stärken die Menschen. Der christliche Glaube beflügelt, für andere Menschen da zu sein. Diakonie und Caritas, konfessionelle Krankenhäuser und Kitas, stehen auf diesem Fundament, ohne dem diese Gesellschaft nicht solidarisch wäre.
Kirche: Christen sollten ihren Glauben mutig bekennen
Für den weiteren Weg der Kirche in dieser Zeitenwende braucht es also Christinnen und Christen an der Basis, die ihren Glauben mutig bekennen und leben. Gelebtes Christsein lässt sich nicht mehr ausschließlich an Pastorinnen und Pastoren delegieren, die das schon richten werden. Jeder und jede Einzelne ist gefragt. Es braucht aber nach wie vor Menschen, die an der Spitze der Kirche stehen und sie leiten.
- Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche
- Volkskirche im Niedergang
- Michel setzt sich für Flüchtlinge ein
An der Spitze der Kirche ist wie in einem Glashaus
Wer ein solches Amt übernimmt, weiß, dass er im Glashaus sitzt. Wie Annette Kurschus. Die damalige Hamburger Pröpstin und Hauptpastorin Kirsten Fehrs trat 2011 die Nachfolge von Maria Jepsen an. Jetzt übernimmt sie als bisherige Stellvertreterin kommissarisch den EKD-Ratsvorsitz. Kirsten Fehrs ist durchsetzungsstark, kämpferisch, empathisch und hat mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle das Vertrauen der Betroffenen erworben. Der Kirche ist zu wünschen, dass sie länger im Amt bleibt als es eine kommissarische Tätigkeit vorsieht.