Hamburg. Das Hauptzollamt beschlagnahmt Waren im Wert von fast 30 Millionen Euro. Das freut den Finanzminister, der bei einer Frage einsilbig wird.
Christian Lindner sieht aus wie Christian Lindner. Selbst bei waschechtem Hamburger Schmuddelwetter. Dunkler Anzug mit feinen Nadelstreifen, eine orange-blaue Krawatte, weißes Hemd. Ein perfekt sitzender Seitenscheitel trotz Wind und Nieselregen – und ein perfekt sitzendes Kameralächeln.
„Der deutsche Zoll ist ein Partner der Wirtschaft und Garant für die Exportstärke unseres Landes“, sagt der Bundesfinanzminister bei der Bekanntgabe der Jahresbilanz des Zolls im Zollamt Hamburg – und er sagt noch viele solcher gut klingenden Sätze an diesem Morgen.
Zollbilanz in Hamburg: Auf ein Selfie mit Christian Lindner
Schnell wird hier klar, dass der Ortstermin am Dienstag im Hamburger Hafen für den Minister aus Berlin eine Art Heimspiel ist. Mit einem freundlichen „Guten Morgen zusammen“ begrüßt der FDP-Politiker um Punkt 10 Uhr die zahlreichen Medienvertreter – und lässt sich professionell durch die Abfertigung des Zollamts führen. Hier ein Lächeln, dort ein freundlicher Small Talk mit den Mitarbeitern – und immer den Blick dafür, wo gerade die Kameras stehen.
Lindner ist Profi. Mit 16 Jahren trat er der FDP bei, seit 1998 ist er Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes der FDP. Seit zehn Jahren ist er sogar Bundesvorsitzender seiner Partei, seit anderthalb Jahren Bundesfinanzminister. Im Hamburger Zollamt lässt sich der 44-Jährige überzeugend die Problematik der Unterfakturierung von einem Zollinspektor erklären, genauso wie er wenig später beim Jahresbericht mit Billionensummen jongliert.
Finanzminister wird in Hamburg auch zum umstrittenen Heizungsgesetz befragt
391 Millionen Warensendungen im Wert von mehr als 1,4 Billionen Euro habe der deutsche Zoll im vergangenen Jahr sicher und schnell abgefertigt, sagt Lindner. Lächeln. Fotos. Kameraschwenk. 8,6 Millionen Warenfälschungen habe der Zoll dabei abgefangen, davon 6,8 Millionen allein in Hamburg. „Hamburg ist eben das Tor zur Welt.“ Und wieder: Lächeln, Fotos, Kameraschwenk.
Nur einmal an diesem Vormittag wird Lindners Dauerlächeln auf eine harte Probe gestellt. Ob er denn auch etwas zum großen Streitthema Heizungsgesetz sagen könne?, fragt ihn eine Reporterin. „Das liegt jetzt beim Deutschen Bundestag“, antwortet Lindner. Eine Nachfrage – und die gleiche Antwort: „Liegt beim Deutschen Bundestag“. Und noch ein letzter Versuch – mit demselben Ergebnis: „Liegt beim Deutschen Bundestag“, sagt Lindner. Und lächelt noch einmal.
Berlin, der Deutsche Bundestag und das Heizungsgesetz sind an diesem Hamburger Vormittag weit weg. Als Lindner die Zahlen präsentiert und jede Menge netter Sätze über den Zoll gesagt hat, muss er noch einmal posieren. Nicht für die zahlreichen Journalisten, sondern für die Zollbeamten. Selfies mit einem Kuscheltier und dem obersten Chef, der genauso für die Beamten dauerlächelt wie zuvor für die Medienvertreter.
Hamburger Zoll beschlagnahmte im vergangenen Jahr 6,5 Millionen Waren
Die erfahren von den Zahlen der Hamburger Jahresbilanz erst Stunden später, nachdem der Finanzminister vom Anleger Bremer Kai mit der „Kehrwieder“ ab- und nach einer kurzen Hafenrundfahrt wieder angelegt hat. Nichts soll an diesem Vormittag vom Besuch aus der Hauptstadt ablenken. Auch nicht Steuereinnahmen von etwa 32 Milliarden Euro, wodurch das Hauptzollamt Hamburg mit einem Anteil von rund 20 Prozent weiterhin das einnahmestärkste Hauptzollamt der Bundesrepublik ist. 6,5 Millionen Waren mit einem Wert von knapp 30 Millionen Euro wurden vom Hauptzollamt Hamburg im vergangenen Jahr beschlagnahmt.
„Ein schneller Zoll ist wichtig für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit“, lobt Lindner, der auch in der dunkelblauen Zolljacke gegen die Fröster-Temperaturen und für die Fotografen eine gute Figur macht. Genauso wie auch bei schwierigen Themen wie dem Kampf gegen den Drogenschmuggel. 14,5 Tonnen Kokain wurden im vergangenen Jahr in Deutschland beschlagnahmt, also sieben Tonnen weniger als im Vorjahr, aber fünf Tonnen mehr als 2020. „Die Kriminellen schlafen nicht“, sagt Lindner.
2022 wurden zehn Tonnen Kokain in Hamburg sichergestellt
Auch nicht in Hamburg. Mehr als zehn Tonnen Kokain wurden hier sichergestellt. Das sind zwar weniger als in dem Rekordjahr 2021, als ein einmaliger Fund von 16 Tonnen die Statistik auch ein wenig verzehrt hat, aber ungefähr genauso viel wie im Jahr 2020. Dazu kommen knapp 600 Kilogramm Haschisch (2021: 157 kg), knapp 900 Kilogramm Marihuana (2021: 257 kg) und 182 Kilogramm Crystal (2021: 4 kg).
„Wir gehen nicht davon aus, dass wir bei der Einfuhr von Drogen nachlassen können“, sagt Generalzolldirektion Colette Hercher, während Lindner daneben nickt. „Es gibt keinen Anlass für Entwarnung. Der Hamburger Hafen ist hochattraktiv für derlei illegale Wareneinfuhren.“ Neben Kokain wurden insgesamt 8,3 Tonnen Marihuana, 179 Kilogramm Heroin, 1136 Kilogramm Haschisch und 281 Kilogramm Metamphetamin (Crystal) deutschlandweit beschlagnahmt.
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Doch der Zoll ist natürlich mehr als nur der Kampf gegen Drogenschmuggel. „48.000 Menschen geben dem Zoll in Deutschland ein Gesicht und engagieren sich tagtäglich für einen reibungslosen Warenverkehr über Grenzen hinweg“, sagt Lindner, der auf dem Weg zur abschließenden Hafenrundfahrt auch noch aus dem Familiennähkästchen plaudert.
Der Urururgroßvater seiner Ehefrau Franca Lehfeldt habe bereits am Hamburger Hafen gearbeitet, erzählt er einem Arbeiter in neongelber Warnweste. „Vielleicht sind wir also über ein paar Ecken verwandt.“ Der Arbeiter nickt, Lindner lacht – und verabschiedet sich.