Fernverkehr, Regionalzüge, S-Bahnen – alles soll für 50 Stunden still stehen. Auch auf den Straßen wird es eng. Was Hoffnung macht.
- Gewerkschaft EVG ruft Lokführer erneut zu einem großflächigen Warnstreik auf
- Der Ausstand soll am Sonntag, 14. Mai, um 22 Uhr starten und am Dienstag, 16. Mai, um 24 Uhr enden
- Betroffen vom Streik sind Fernzüge der Deutschen Bahn, aber auch der Regionalverkehr
- In Hamburg werden damit auch die S-Bahnen größtenteils stillstehen
- In Norddeutschland wird durch den Warnstreik ein tagelanges Verkehrschaos befürchtet
- Die Bahn hat für betroffene Reisende eine kostenlose Streikhotline eingerichtet: 08000/99 66 33
Hamburg. Der von der Eisenbahner-Gewerkschaft EVG angekündigte 50-stündige Warnstreik könnte für chaotische Verhältnisse in Norddeutschland sorgen. Die Deutsche Bahn will den Fernverkehr ab Sonntagabend bundesweit komplett einstellen, auch im Regionalverkehr werde bis Dienstagabend „größtenteils kein Zug fahren“, ebenso bei der S-Bahn Hamburg. „Wir rechnen mit massiven Beeinträchtigungen“, sagte ein Bahnsprecher in der Hansestadt.
Das dürfte auch Folgen für die Straßen haben: „Voll wird es auf jeden Fall“, prognostiziert Christian Hieff, Sprecher des ADAC Hansa. Unklar sei nur, ob Hamburg aufgrund der am Montag beginnenden Mai-Ferien um das sonst bei Bahnstreiks obligatorische Chaos auf den Straßen herumkomme.
Bahnstreik könnte für Chaos in Norddeutschland sorgen
Vor der dritten Verhandlungsrunde im Tarifstreit ruft die EVG ihre Mitglieder von Sonntag, 22 Uhr, bis Dienstag, 24 Uhr, zum Arbeitskampf auf. Sie fordert 12 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro mehr im Monat und droht mit einer Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf. Die Deutsche Bahn spricht vom jetzt schon „längsten Warnstreik der DB-Geschichte“ und kritisiert diesen als „irrsinnig, völlig grundlos und restlos überzogen“. Eine Einigung sei möglich.
Die EVG vertritt allein in Hamburg etwa 8500 Mitglieder – von Lokführern über Fahrdienstleiter, Gastronomie- und Reinigungskräfte bis zu Gleisbauern. Außer bei der Deutschen Bahn und ihrer Tochter S-Bahn Hamburg sind sie auch bei der AKN, der Nordbahn und einigen anderen, kleineren Verkehrs-Unternehmen beschäftigt.
EVG-Chef: „Dass wir die Reisenden treffen, tut uns leid, ist aber unvermeidbar“
Mittelbar sind aber auch Unternehmen wie Metronom betroffen, deren Personal gar nicht von der EVG vertreten wird, da sie ebenfalls das Schienennetz und die Infrastruktur der DB nutzen. Wie stark die Beeinträchtigungen sein werden, könne man erst nach Streikbeginn sagen, so ein Bahnsprecher – denn erst dann sei klar, wer sich daran beteilige und wer zur Arbeit erscheine. Zudem verfügt die Bahn noch über verbeamtetes Personal, das nicht streiken darf.
Frank Maur, Geschäftsstellenleiter der EVG in Hamburg, warf den Arbeitgebern vor, diesen dritten Warnstreik zu provozieren. „Dass wir dadurch die Reisenden treffen, tut uns leid, ist aber unvermeidbar“, sagte Maur dem Abendblatt. „Gerade hier in Hamburg ist die finanzielle Belastung durch gestiegene Kosten wie Miete, Energie und Lebensmittel so enorm, dass die Not bei den Bahnbeschäftigten immer größer wird.“
U-Bahnen und Busse sind nicht von den Streiks betroffen
Immerhin: Die U-Bahnen und Busse, die in Hamburg überwiegend von der städtischen Hochbahn betrieben werden, sind nicht von den Streiks betroffen. Und: Am Montag beginnen in Hamburg die Maiferien, sodass eine Woche lang keine Schüler und weniger Pendler unterwegs sein werden. Viele Familien werden die Stadt schon am Wochenende verlassen und in den Urlaub fahren.
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Wie sich der Streik des Eisenbahnpersonals konkret auf die Verkehrslage im Norden auswirken wird, sei schwer vorherzusagen, heißt es bei der Bahn und beim ADAC. Denn es könne zum Beispiel sein, dass zwar genug Lokführer zum Dienst erscheinen, die Bahnen aber dennoch nicht fahren können, weil ein Stellwerk nicht besetzt sei, so ein Bahnsprecher. Allein die S-Bahn Hamburg verfüge über 16 Stellwerke.
Deutsche Bahn will erst nach Streikbeginn über Ersatzfahrplan entscheiden
Auch der umgekehrte Fall – genug Fahrdienstleiter, aber keine Lokführer – oder andere Kombinationen seien denkbar. Daher werde man wohl erst am Montagmorgen entscheiden können, ob und inwiefern es möglich sein wird, einen Ersatzfahrplan aufzustellen. Vorsorglich rate man den Fahrgästen, auf U-Bahnen und Busse umzusteigen.
Der Hamburger Verkehrsverbund HVV, unter dessen Dach außer den S-Bahnen auch die U-Bahnen, Busse und Fähren fahren, ist noch unsicher, was auf die Stadt und ihr Umland zukommt. „Das Fahrgastaufkommen lässt sich schwer abschätzen“, sagte eine Sprecherin dem Abendblatt. „Viele Fahrgäste verzichten gegebenenfalls auf nicht notwendige Fahrten, wenn sie die Möglichkeit dazu haben und zum Beispiel im Homeoffice arbeiten können.“ Zudem könnten die Ferien in Hamburg dazu beitragen, dass weniger Pendlerinnen und Pendler unterwegs sind.
ADAC: Voll wird es auf den Straßen auf jeden Fall – lieber im Homeoffice bleiben!
Auch beim ADAC tut man sich noch schwer mit einer genauen Abschätzung der Streikfolgen: „Voll wird es auf jeden Fall“, sagt Sprecher Christian Hieff. Doch der Automatismus, wonach ein Ausfall des Schienenverkehrs für Chaos auf den Straßen sorgt, funktioniere so nicht.
Denn erstens falle dieser Streik in die Ferienzeit, wo erfahrungsgemäß rund fünf Prozent weniger Verkehrsteilnehmer auf den Straßen gezählt werden. Die Bahn geht sogar von 20 Prozent weniger Fahrgästen in der Ferienzeit aus. Wobei in dieser Woche im Norden nur Hamburg Ferien hat, während in Schleswig-Holstein und Niedersachsen lediglich am „Brückentag“ nach Himmelfahrt, also Freitag, 19. Mai, unterrichtsfrei ist. Die Pendler aus diesen Ländern dürften also am Anfang der Woche überwiegend normal unterwegs sein.
Deutsche Bahn bietet Reisenden Verschiebung der geplanten Fahrt an
Zweitens sei zunehmend schwerer abzuschätzen, wie flexibel die Menschen auf solche Lagen reagieren, so Hieff – Stichwort: Homeoffice. Er rate jedenfalls allen Bürgerinnen und Bürgern im Norden, die nicht zwingend aufs Auto angewiesen sind, dieses während des Bahnstreiks lieber stehen zu lassen und, wenn möglich, von zuhause aus zu arbeiten.
„Der EVG-Streik wird leider die Reise- und Urlaubsplanung von Millionen Fahrgästen in einer der reisestärksten Wochen des Jahres massiv beeinträchtigen“, heißt es bei der Deutschen Bahn. Sie biete aus Kulanz an: Alle Fahrgäste, die ihre für den 14. bis 16. Mai geplante Reise aufgrund des Streiks verschieben möchten, können ihr bis einschließlich 11. Mai gebuchtes Ticket für den Fernverkehr ab sofort bis einschließlich Sonntagabend flexibel nutzen. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden.
Bahnstreik: Unternehmen storniert Fahrkarten kostenlos
Weitere Informationen dazu bietet das Unternehmen unter www.bahn.de/sonderkulanz. Wer seine Fahrkarte kostenlos stornieren möchte, könne dies im Rahmen der Fahrgastrechte tun: Informationen gibt es unter www.bahn.de/fahrgastrechte.
Auf der Homepage bahn.de und in der App DB Navigator informiere man so schnell wie möglich über die Auswirkungen des Streiks. Zudem bietet die DB ab sofort eine kostenlose Streikhotline unter 08000/99 66 33 an.
Laut einer Yougov-Umfrage sind in Deutschland 19 Prozent der Bürger und damit Millionen Menschen von dem geplanten Ausstand am Montag und Dienstag betroffen. Unter den 18- bis 24-Jährigen sind es demnach sogar 35 Prozent. Drei Viertel der Menschen in Deutschland betrifft der Warnstreik der Umfrage zufolge demnach nicht.
Warnstreik der EVG: Harte Kritik von GDL-Chef Weselsky
Derweil hält der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, die Einstellung des gesamten Fernverkehrs während des Bahnstreiks für unnötig. „Mit einer gewissen Anstrengung könnte die Deutsche Bahn den Netzbetrieb aufrechterhalten und viele ICE-Züge weiterfahren“, sagte Weselsky dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ (Freitag). Der DB-Vorstand verhalte sich „verantwortungslos“ und „ambitionslos“.
Auch die Konkurrenzgewerkschaft kritisierte der GDL-Chef hart: Deren Tarifstreit mit der Bahn sei „großes Kino“, die EVG setzte auf eine „Verzögerungstaktik“. Sie könne den Streit „sofort“ beenden, habe aber „kein Interesse an einer schnellen Lösung“.
Als Grund für dafür vermutet Weselsky die Konkurrenz zu seiner GDL: Bei der EVG werde befürchtet, „dass wir mit der Deutschen Bahn bessere Tarifbedingungen für unsere Mitglieder verhandeln werden“. Deshalb wolle die EVG keinen Tarifabschluss, bevor die GDL nicht die Forderungen für ihre anstehenden Verhandlungen aufgestellt habe. Diese sollen im Spätsommer stattfinden, die GDL will am 5. Juni ihre Forderungen verkünden.