Hamburg. Noch liegt die „Le Commandant Charcot“ im Hafen, bald fährt sie ins Eis. Abendblatt-Reporter Edgar S. Hasse über seine Reise nach Grönland.

Eisbrecher trifft Elbphilharmonie: Bis Montagabend, 18.30 Uhr, liegt die „Le Commandant Charcot“, der erste Luxuseisbrecher der Welt, im Hamburger Hafen. Er kann mit der höchsten Eisklasse polare Regionen in der Arktis und Antarktis erkunden – es ist eine Reise in eine faszinierende Welt.

Ende Mai macht sich die Sonne in Ostgrönland auf den Weg zum Zenit. An einem strahlend hellen Frühlingstag verbreitet sich die Kunde, dass nach sieben Monaten Winterpause das erste Schiff kommen wird, wie ein Lauffeuer durch Ittoqqortoormiit.

Luxuseisbrecher: Auf dem Weg zur einsamsten Siedlung der Welt

Seit Oktober leben die 350 Inuit in einer der einsamsten Siedlungen völlig isoliert vom Rest der Welt. Nur alle paar Wochen landet, wenn das Wetter mitspielt, ein Versorgungsflugzeug auf einem entfernten Flugplatz und bringt Obst und Gemüse.

Doch die langen, bitterkalten Polarnächte an der Ostküste Grönlands haben die frischen Lebensmittelvorräte schrumpfen lassen. Ein Sack Zwiebeln, das Kilo 8 Euro, liegt in einer Palette im örtlichen Supermarkt, unter den ebenfalls feilgebotenen Gewehren. Das ist alles in der Abteilung Obst und Gemüse.

Ziel Grönland: Plötzlich taucht der Luxuseisbrecher auf

Doch die Nachricht will keiner so recht glauben. Wie soll das ein Schiff schaffen?, fragt sich Laura, eine 21-jährige Inuit, als sie das hört. Die Bucht und der ganze Fjord sind noch immer fast zwei Meter tief zugefroren, mehr als sonst. Und im Ort reicht der Schnee bis zum Kirchendach. Die kleinen Fischerboote im Hafen stecken bereits seit dem Spätherbst fest. Kein Schiff kann es schaffen, nach Ittoqqortoormiit zu fahren. Jedenfalls jetzt nicht.

Blick in eine Standardkabine mit Balkon auf dem Polar-Expeditionsschiff „Le Commandant Charcot“.
Blick in eine Standardkabine mit Balkon auf dem Polar-Expeditionsschiff „Le Commandant Charcot“. © dpa | Christian Charisius

Und doch wird sich wenig später Laura vor dem Spiegel schminken, um danach mit anderen Einheimischen in ihren schnellen Schneemobilen über das verschneite Meereis zu gleiten. Je näher sie kommen, umso deutlicher werden die Umrisse des imposanten Schiffes sichtbar: Da erhebt sich mit dunklem Rumpf neu, stolz und schön mitten im gefrorenen Meer die „Le Commandant Charcot“ – der erste Luxuseisbrecher der Welt.

Nur am Heck des Schiffes fließt funkelnd eine lange Rinne Meerwasser, als Relikt eines Kampfes zwischen Technik und Natur, den die Ingenieurskunst des Menschen gewonnen hat. An dieser offenen Wasserstelle thront bereits ein weißes Pagodenzelt für die nächste Outdoor-Aktivität.

„Le Commandant Charcot“: Manchmal ist es nachts sehr laut

Ausgerechnet ein Kreuzfahrtschiff mit etwas mehr als 100 Gästen an Bord hat es also geschafft, von Island über die meist kabbelige Dänemarkstraße bis nach Ittoqqortoormiit zu gelangen. Eine nautische Sisyphusarbeit für Kapitän Etienne Garcia (60) und seine Crew.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Zwei lautstarke und für den einen oder anderen Gast schlaflose Nächte liegen hinter der geglückten Passage. Da kämpfte sich das 156 Meter lange Schiff der französischen Reederei Compagnie du Ponant mit vibrierendem Rumpf und klirrenden Gläsern durch das im Durchschnitt drei Meter dicke Eis. Manchmal waren es sogar sechs Meter.

Mit dem Eisbrecher sind Sommerfahrten ins Eis möglich

„Eis, so stark wie Felsen, haben wir gebrochen“, freut sich der Kapitän und verweist auf das technisch ausgereifte „Double-Action-Prinzip“: Bei extremem Eis kann die „Charcot“ vor- und rückwärtsfahren, um sich eisbrechend den Weg zum Ziel zu bahnen. Der elitäre Markt der modernen internationalen Expeditionsschiffe wächst mit dem 46.227 PS-starken Eisbrecher nunmehr um weitere Polargebiete.

Während Mitbewerber wie Hapag-Lloyd Cruises aus Deutschland und Hurtigruten aus Norwegen über Schiffe der Eisklasse PC 6 (vormals E4) verfügen und damit sogenannte Sommerfahrten in mittlerem einjährigen Eis mit älteren Einschlüssen unternehmen können, konkurrieren die Franzosen aus Marseille jetzt mit der starken Polarklasse PC 2.

Das Kreuzfahrtschiff erreicht Regionen, die sonst verschlossen sind

Das bedeutet: Sie können ganzjährig Fahrten in mittlerem mehrjährigen Eis unternehmen. Und dabei routiniert bis zu etwa drei Meter dickes Eis brechen. Das weltweit erste Passagierschiff mit dieser Eisklasse wurde in Norwegen gebaut, verfügt über einen verstärkten Rumpf und einen umweltfreundlichen Hybridantrieb, der Flüssigerdgas und Elektrobatterien kombiniert.

Damit locken für die solventen Kunden neue, spektakuläre Ziele wie das Rossmeer in der Antarktis, bislang nicht erreichbare antarktische Inseln und die Kaiserpinguin-Kolonie von Snow Hill. Möglich sind nun auch Expeditionsfahrten zum Nordpol und in andere entlegene arktische Regionen wie Nordostgrönland, die sonst niemand zu dieser Jahreszeit ansteuern kann.

Das Schiff verfügt über zwei Hubschrauber zur Erkundung und im Ernstfall für Rettungszwecke.  
Das Schiff verfügt über zwei Hubschrauber zur Erkundung und im Ernstfall für Rettungszwecke.   © Edgar Hasse (FMG)

Helikopter an Bord: Erkundungsfahrten über dem Meereis

Dazu kommt der bordeigene Helikopter, der nahezu täglich auf dem Vorschiff zu Erkundungsfahrten startet und ein aktuelles Bild für die Eiskarten übermittelt. Wie von Ittoqqortoormiit im späten Monat Mai, wo die Sonne nachts um 1.07 Uhr unter- und bereits um 2.03 Uhr wieder aufgeht.

Gerade wird für die Reisenden die Gangway herunterlassen. Statt auf der blanken Erde oder einer asphaltierten Pier landet sie unter azurblauem Himmel auf einem strahlend weißen Eispanzer, der bis zu den Bergen des Scoresbysund reicht, dem größten und längsten Fjordsystem der Welt.

Wer in diesem Labyrinth unterwegs ist, muss permanent mit Ausfällen der Satellitenverbindung und damit des Internets rechnen, das für die Gäste der „Le Commandant Charcot“ im Gesamtpreis enthalten ist.

Vom Hamburger Start-up zum Expeditionsleiter

Als Erste verlassen als Mitglieder des 22-köpfigen Expeditionsteams die Scouts und Eisbärenwächter das Schiff, um mit einem Gewehr auf dem Rücken Lage und Sicherheit für die Passagiere zu erkunden. An der Gangway begrüßt Expeditionsleiter Henry Wulff, ein 40 Jahre alter Deutscher, die herabsteigenden Gäste.

Sie tragen orangenfarbene Polarjacken mit Ponant-Logo und einer schlichten, aber wirkungsvollen Innovation des Schneiderhandwerks: Auf der linken Ärmelseite befindet sich ein Einsteckfach für die Bordkarte.

Bordsprachen auf dem Luxuseisbrecher sind Französisch und Englisch

Lästiges Suchen beim obligatorischen Check-out und Check-in am Scanner entfällt, was vor allem dann hilft, wenn die Finger beim langen Aufenthalt im Freien eiskalt geworden sind.

Henry und sein internationales Team haben jeden Abend ihren Auftritt im Theater. Bei den auf Expeditionsschiffen üblichen „Recaps“ werden die Ereignisse des Tages zusammengefasst und Ausblick auf den nächsten gegeben. Weil gut 80 Prozent der Gäste Franzosen sind, gibt es Vorträge in französischer Sprache; es werden aber auch zahlreiche Veranstaltungen auf Englisch angeboten.

Polarsprung ins drei Grad kalte Wasser

Henry Wulff stammt aus Berlin, gründete in Hamburg eine Filmproduktionsfirma für Naturdokumentationen und entwickelte sich vom Travel Guide auf Island und Norwegen zum Expeditionsleiter bei der französischen Reederei.

„Ich bin ein Eis-Freak“, sagt er – und begrüßt an der Gangway den vorerst letzten Gast, der gleich in einen Hundeschlitten steigen wird. „Dogsladding“ und „Polar-Plunge“ stehen an diesem Sonnentag bei Außentemperaturen von drei Grad Celsius auf dem Programm. Mehrere Schlitten mit jeweils elf Hunden, die wie Wölfe heulen können, warten auf die Touristen, um sie in knapp 15 Minuten nach Ittoqqortoormiit zu fahren.

Grönland: Riesenspaß mit den Schlittenhunden

Die grönländischen Schlittenhunde stammen tatsächlich in direkter Linie von den Wölfen ab. Wie sie mit ihren Beinen über die Eiswüste flitzen, zeigt, dass sie Spaß an der schnellen Bewegung haben. Während die Schlitten ins Dorf fahren und im geheizten Gotteshaus Organistin Ruth auf Kirchenbesucher wartet, steht Anna unter dem Pagodenzelt am Schiffsheck. Sie ist Polar-Plunge-Meisterin und gehört zum Expeditionsteam.

Einige Gäste wagen tatsächlich den kurzen Sprung ins eiskalte Wasser. Wer diese Aktivität gebucht hat, muss ein höchstens ein Jahr altes EKG vorlegen. „Wir bieten den Sprung bis zu einer Wassertemperatur von minus 1,8 Grad Celsius an. Länger als zehn Sekunden, allerhöchstens eine Minute sollte man nicht im Wasser sein“, sagt Laura und freut sich über die vergnügt aus dem Wasser steigenden Eisbader. Am Abend sind alle Gäste wieder zurück auf dem Schiff.

Warum die Einheimischen an Bord ins Schwitzen kommen

Vor dem Dinner steht im Theater eine kulturelle Darbietung der Inuit auf dem Programm. Laura aus Ittoqqortoormiit wird ebenfalls dabei sein und Fotos für Instagram machen, Kinder und Jugendliche werden fröhlich auf der Bühne folkloristische Tänze aufführen.

Bevor der traditionelle Trommelgesang (inngerut) folgt, muss die Show allerdings plötzlich unterbrochen werden. „Den Kindern ist es hier zu heiß, sie müssen etwas trinken, sie brauchen eine Pause“, sagt die künstlerische Leiterin. Die Einheimischen sind so warme Temperaturen gar nicht gewöhnt.

Kreuzfahrtschiff: Eine Flasche Wein für 340 Euro

Später wird das Schiff wieder seine Fahrt fortsetzen und Abschied von den Inuit nehmen. Ein letzter Blick auf die Schlittenhunde, die satt und zufrieden im Eis schlummern. Neben ihnen eine blutrote Spur von der großen und noch immer nicht zugefrorenen Eisrinne bis zu den Schlitten. Die Hundeführer konnten dort eine Robbe erlegen – frisches Futter für die müden Arbeitstiere.

Jetzt, da der Eisbrecher weiter entlang der grönländischen Küste zu nördlicheren Zielen aufbricht, genießen die Gäste das Dinner. Der Sommelier empfiehlt für heute Abend einen Chateau Grillet, Jahrgang 2018, zum Preis von 340 Euro. Auf Wunsch werden Curry Thai mit Basmati Reis, Lamm oder Seeteufel-Medaillons mit Kokosnuss-Soße serviert.

Auf der Panaroma-Bar erklingt die „Musikalische Schlittenfahrt“

Andere Gäste sitzen bereits in der Panorama-Bar auf Deck 9 und genießen bei klassischer Musik – Leopold Mozarts „Musikalische Schlittenfahrt“, während die „Le Commandant Charcot“ krachend und in sicherer Entfernung an einem festgefrorenen Eisberg vorbeifährt.

Da ertönt plötzlich die Stimme von Kapitän Garcia aus den Lautsprechern. „Polarbear starboardside! Ein Eisbär auf Steuerbord!“ Jetzt gibt es auf den Sesseln und Stühlen kein Halten mehr. Binnen kurzer Zeit sind alle auf den Außendecks, zücken die Smartphones, schleppen schwere Teleobjektive.

Eisbärsichtungen an Bord des Schiffes: ungefährlich für Mensch und Tier.
Eisbärsichtungen an Bord des Schiffes: ungefährlich für Mensch und Tier. © Edgar Hasse (FMG)

Luxuseisbrecher: Eisbären von Bord aus beobachten

Da taucht hinter einem Eisberg als eine von 22 Eisbärsichtungen dieser zwölftägigen Expeditionskreuzfahrt ein gut 400 Kilogramm schweres Männchen auf. Eine Stunde lang wird er, ohne dass Mensch oder Tier eine Gefahr drohen, zu sehen sein.

Die Pressereise erfolgte auf Einladung der Compagnie du Ponant. Das Schiff hat 123 Kabinen und Suiten, alle mit Balkon oder Terrasse. Es bietet maximal 245 Gästen Platz und hat fünf Decks, zwei Restaurants, einen Spa-Bereich und Außenpools. Für mitreisende Wissenschaftler gibt es Labore und weitere Arbeitsräume. An Bord arbeiten 215 Crewmitglieder. Der Eisbrecher wurde nach Jean-Baptiste Étienne Auguste Charcot (1867-1936) benannt, einem französischen Polarforscher und Arzt.

Für eine zehntägige Reise ab 5. Mai vom isländischen Reykjavik nach Grönland und zurück nennt die Reederei Preise ab gut 15.000 Euro pro Passagier.

Mehr über die „Le Commandant Charcot“ und die übrigen Schiffe von Ponant im „Kreuzfahrt Guide 2023“ vom Hamburger Abendblatt (270 Seiten 19,50 Euro) unter abendblatt.de/shop.