Hamburg. Im Januar wurden Leichenteile einer lange vermissten Frau aus der Dove Elbe geborgen. Jetzt steht der Tatverdächtige vor Gericht.
Es war ein grausiger Fang, den ein Angler Anfang des Jahres machte: ein skelettierter Fuß in einem Schuh. Als Polizeitaucher in den Tagen nach jenem 15. Januar immer wieder in das trübe Wasser der Wilhelmsburger Dove Elbe hinabstiegen, förderten sie nach und nach weitere Leichenteile zutage. Der genetische Fingerabdruck brachte schließlich den Beweis: Es waren die sterblichen Überreste der seit zehn Jahren vermissten Nargis S. Jemand hatte die Leiche der 29-Jährigen mit einer Metallplatte beschwert und im Wasser versenkt – wohl in der Hoffnung, dass die Tote nie entdeckt würde.
Mit dem Fund des Leichnams kam Bewegung in einen spektakulären Cold Case, der jetzt im Prozess vor dem Landgericht verhandelt wird. Seit Donnerstag sitzt mit Mehmet L. (Name geändert) ein Mann auf der Anklagebank, gegen den bereits nach dem Verschwinden der jungen Frau ermittelt wurde und der schon damals mehrere Monate in Untersuchungshaft gesessen hat. Angeblich war Nargis S. seine Geliebte, die ihm dann aber lästig geworden sei. Das wäre jedenfalls ein Motiv.
Angeklagtem wird Totschlag vorgeworfen
Das Problem: Es fehlte der Leichnam und damit ein entscheidender Baustein der Ermittlungen. Im Januar dieses Jahres kam der heute 44-Jährige erneut in Untersuchungshaft. Ihm wird Totschlag vorgeworfen. Selber äußert sich der blasse Mann auf der Anklagebank nur zu seinen Personalien, die er mit einsilbigen Worten bestätigt. Zu der angeklagten Tat sagt Mehmet L. nichts. An seiner Statt betont sein Verteidiger: „Dem Vorwurf wird generell entgegengetreten.“
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Nach ihren Ermittlungen hat Mehmet L. seine damalige Geliebte erwürgt. Hintergrund der Tat ist laut Anklage, dass die 29-Jährige von Mehmet L. immer wieder Geld für ihren Lebensunterhalt forderte und drohte, dass sie ihn bloßstellen würde, wenn er nicht zahlt. Konkret habe Nargis S. den Familienvater damit erpresst, dass sie seiner Familie von seinem intimen Verhältnis zu ihr erzählen werde. Außerdem soll sie gedroht haben, dass sie seine Angehörigen darüber informieren werde, wie Mehmet L., der angeblich eine Werkstatt betrieb, sein Geld wirklich verdient — nämlich als Bordellbetreiber.
In der Anklage bleibt vieles offen
Doch anderes lässt die Anklage offen, so den Zeitpunkt der mutmaßlichen Tötung. Die soll jedenfalls nach dem 8. März 2013 geschehen sein; genauer lässt sich das offenbar nicht ermitteln. Auch der Tatort wird nicht konkret benannt, „wahrscheinlich“ habe Mehmet L. seine Geliebte jedoch in seinem Auto umgebracht, trägt der Staatsanwalt vor. Als Nargis S. damals verschwand, schloss die Polizei zunächst nicht aus, dass die Frau zurück ihr Heimatland Bulgarien gefahren sein könnte, wo noch ihre Eltern lebten und wo sie häufiger Urlaub gemacht hatte.
Jedoch stellte sich heraus: Es gab gar keine Anhaltspunkte für eine neuerliche Reise nach Bulgarien. Nun wurden unter anderem Plakate aufgehängt, auf denen sich die Polizei um Hinweisgeber bemühte. Und schließlich verdichteten sich die Vermutungen, dass Nargis S. nicht mehr lebt. Nun wurde nach einem Leichnam gesucht. So durchkämmten schon im Dezember 2013 mehrere Hundert Beamte ein Gelände nahe dem Kreetsander Hauptdeich. Doch die Suche verlief ergebnislos.
Angehöriges des Opfers erhoffen sich Antworten
Dass dies wahrscheinlich ein schwieriger, langwieriger Prozess werden wird, lässt die Terminierung erahnen, die die zuständige Kammer des Landgerichts festgelegt hat. Bis Anfang September sind bislang 26 Hauptverhandlungstage geplant. Drei Angehörige von Nargis S. haben sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen. Man darf annehmen, dass sie sich Antworten erhoffen – Antworten auf quälende Fragen. Warum musste Nargis S. sterben? Hat sie gelitten? Fast zehn Jahre lang wusste die Familie der verschollenen Frau nichts Genaues über ihr Schicksal. Ist Mehmet L. der Mann, der Antworten geben könnte – weil er für den Tod der 29-Jährigen verantwortlich ist?
In Verdacht geraten war Mehmet L. seinerzeit, nachdem sich ein anderer Mann nach dem Verschwinden der jungen Frau an die Polizei gewandt und den Familienvater schwer belastet hatte. Dieser habe ein intimes Verhältnis mit Nargis S. — und damit wohl auch ein Motiv, sie zu beseitigen, erzählte der Zeuge. Auf Befragen durch Ermittler soll der nun verdächtige Mehmet L. damals bestätigt haben, dass er die 29-Jährige kenne, allerdings nicht viel mehr als vom Sehen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hatte sich indes bereits damals ein schlüssiges Bild ergeben, das Mehmet L. entscheidend belaste. Sie erhob am 14. März 2014 Anklage gegen ihn.
Schon vor neun Jahren gab es eine Anklage
Da insbesondere der Leichnam der Getöteten noch nicht gefunden worden war, eröffnete das Landgericht das Hauptverfahren allerdings zunächst nicht. Dies ist einer der Punkte, den Mehmet L.s Verteidiger Florian Melloh in seinem sogenannten „opening statement“ erheblich kritisiert. Melloh spricht von einem „besonderen“ Verfahren mit einem „ungeheuer langen Zeitablauf“.
Man frage sich, so der Anwalt, warum das Verfahren nicht gefördert, also längst zu Ende gebracht worden sei. Das Argument der damals zuständigen Kammer sei gewesen, dass vorrangig andere Prozesse, in denen sich die Angeklagten in Untersuchungshaft befinden, verhandelt werden müssten. Die lange Verfahrensdauer beeinträchtige seinen Mandanten „in seinen Rechten auf ein faires Verfahren“, bemängelt der Anwalt. Gegen Mehmet L. sei zudem einseitig ermittelt worden. Darüber hinaus sei die Beweislage „dünn“. Sie berufe sich im Kern auf einen einzigen Zeugen, ansonsten werde „viel spekuliert und fabuliert“.
Anwalt: Belastungszeuge kommt als Tatverdächtiger in Betracht
Dabei komme der Belastungszeuge unter Umständen selber als Tatverdächtiger in Betracht und hätte vielleicht ein Motiv. Es werde darüber hinaus von diesem Mann berichtet, dass er möglicherweise bereit sei, gegen Geld selber zu töten, so der Verteidiger. Dieser wichtige Zeuge soll am zweiten Verhandlungstag gehört werden.
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Am Donnerstag schildert zunächst ein Polizeitaucher, wie er und Kollegen den Leichnam aus der Dove Elbe bargen. An jenem Sonntag wurden sie alarmiert, nachdem der Angler erste Leichenteile aus dem Wasser gezogen hatte. Als er an der Stelle hinabtauchte, sei er „gleich auf den ersten Knochen gestoßen“, berichtet der 33-Jährige. Dabei habe es sich offenbar um einen linken Oberschenkelknochen gehandelt.
Polizeitaucher schildert grausige Details der Leichenbergung
Als Nächstes entdeckte der Taucher ein Konstrukt aus einer schwere Metallplatte, an der mehrere Seile befestigt waren. An einem dieser Seile baumelte ein Schuh. Wenig später habe er im Wasser, in dem nur auf etwa 30 bis 40 Zentimetern Sicht bestand, einen Oberkörper mit Kleidungsresten ausmachen können. Dann entdeckte er einen Schädel, der links von der Metallplatte lag.
Die weitere Suche glich offenbar dem Zusammentragen eines schaurigen Puzzles. Der Taucher berichtet, dass er und seine Kollegen bei Folgeterminen immer weitere Leichenteile zusammengetragen hätten, unter anderem Knochenfragmente, darunter seien auch Wirbelkörper und ein Schlüsselbein gewesen. „Wir waren eine ganze Woche da beschäftigt.“ Der Prozess wird fortgesetzt.