Hamburg. Vor 16 Jahren kam ein Junge bei einer Operation beim HNO-Arzt ums Leben. Warum der Prozess nun in die nächste Runde geht.

Der Hamburger Prozess um den Tod eines Kindes bei einer Routine-Operation vor 16 Jahren geht nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigern überraschend weiter. Das Landgericht griff am Donnerstag einen Beweisantrag auf, den ein Verteidiger von einem der beiden angeklagten HNO-Ärzte in seinem Schlussvortrag hilfsweise gestellt hatte. Die Kammer will nun eine damalige Mitarbeiterin der HNO-Praxis in Hamburg-Harburg als Zeugin hören.

Sie soll nach Angaben des Verteidigers bekunden können, dass bereits im Jahr 2007 in der Praxis mehrere Pulsoximeter vorhanden waren und sie die Geräte zum Messen des Sauerstoffs im Blut anschließen sollte.

Prozesse Hamburg: Neunjähriger starb nach Operation an der Nase

Der neunjährige Junge war am 14. März 2007 an der Nase operiert worden, um seine Atmung zu verbessern. Im Aufwachraum kam es zu einer zunächst nicht bemerkten Nachblutung, an deren Folgen der Junge eine Woche später starb. Das Kind sei nicht ausreichend überwacht worden, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Außerdem sei die Praxis nicht so ausgestattet gewesen, wie es die medizinischen Standards vorgesehen hätten. Auch die Patientenaufklärung zu den Operationsrisiken soll bewusst unzureichend erfolgt sein.

Die Staatsanwaltschaft forderte ein Jahr Haft auf Bewährung für den behandelnden Arzt. Der 65 Jahre alte Operateur habe sich der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht, hieß es. Für den 69 Jahre alten Mitinhaber der Praxis beantragte der Anklagevertreter eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 120 Euro wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge. Die Verteidiger forderten am Donnerstag Freispruch für ihre Mandanten. Ursprünglich hatte das Gericht anschließend sein Urteil verkünden wollen.

Weitere Zeugin soll zum Tod des Neunjährigen aussagen

Die Anwälte des 65 Jahre alten Arztes hatten offenbar nicht mit dem Erfolg ihres Beweisantrages gerechnet. Verteidiger Leon Kruse hatte in seinem Plädoyer erklärt, die Praxis-Mitarbeiterin habe vor der Operation die Anweisung bekommen, im Aufwachraum bei dem Patienten zu bleiben und das Pulsoximeter anzuschließen.

Diese Darstellung gehe aus Sicht der Strafkammer über das bisher im Prozess Vorgetragene hinaus, sagte die Vorsitzende Richterin Birgit Woitas. „Für uns ist das eine neue Behauptung.“ Doch auch nach einer Verhandlungspause konnten die Verteidiger nicht sagen, ob die Zeugin noch in der Praxis arbeite und wie sie geladen werden könne.

Der Prozess hatte am 4. Mai vergangenen Jahres begonnen. Der Tod des Jungen hat bereits viele Gerichte beschäftigt - zweimal auch das Bundesverfassungsgericht. 2009 wurde die an der OP beteiligte Narkoseärztin wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein Verfahren gegen den operierenden Arzt war 2008 gegen Zahlung einer Geldauflage von 5000 Euro eingestellt worden.

Die Eltern des Kindes fanden sich damit aber nicht ab. Ein Klageerzwingungsverfahren der Mutter beschäftigte sogar zweimal das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter stellten sich jeweils auf ihre Seite, zuletzt im März 2020.

Narkoseärztin hätte über die Risiken aufklären müssen

Die Verteidiger des 65-Jährigen betonten, ihr Mandant habe kein finanzielles Interesse an der Operation gehabt. „Er hat es getan, um seinem Patienten zu helfen“, betonte Kruse. Der Arzt habe kein Motiv für die angeklagte vorsätzliche Körperverletzung gehabt. Ob die Aufklärung vor dem Eingriff ausreichend gewesen sei, könne nicht mehr festgestellt werden. Der Vater des Jungen habe aber eine Erklärung über die Aufklärung unterschrieben. Es habe damals keine verpflichtenden Leitlinien für ambulante HNO-Operationen gegeben, nur Empfehlungen.

Über die Risiken im Aufwachraum hätte die Narkoseärztin aufklären müssen, sagte der zweite Verteidiger des Arztes, Ulrich Steffen. Nach der Verurteilung der Anästhesistin seien die Ermittlungen gegen seinen Mandanten ein zweites Mal eingestellt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft habe diese Entscheidung 2014 bestätigt. Seitdem hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. „Wir kauen auf demselben Sachstand herum“, beklagte Steffen.

Prozess in Hamburg soll am 4. Mai fortgesetzt werden

Der Verteidiger des Praxis-Mitinhabers, Lorenz von Geyso, kritisierte den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, wonach es in der Praxis organisatorische Mängel gegeben habe. „Das ist eine unbelegte Behauptung“, sagte der Anwalt. Jeder der beiden Ärzte habe seine Operationen selbstständig organisiert. Am Tag des Eingriffs bei dem Jungen sei sein Mandant im Urlaub gewesen.

Der Prozess soll am 4. Mai mit der Vernehmung der Praxismitarbeiterin fortgesetzt werden.