Neustadt. Der tragische Tod des Kindes wird nach 15 Jahren erneut verhandelt. Staatsanwaltschaft spricht von schweren Mängeln in HNO-Praxis.
Es sollte ein Routine-Eingriff werden. Eine Operation an der Nase, eine kurze Erholungsphase in der Praxis, und dann wieder zurück nach Hause. Faouzane hätte dann freier atmen können, das unbeschwerte Leben eines Neunjährigen führen. Das war der Plan. Doch am Ende dieses Aufenthalts in einer Hamburger HNO-Praxis war gar nichts mehr so, wie es sein sollte. Der Junge hatte einen folgenschweren Atemstillstand erlitten. Eine Woche später war der Schüler tot.
15 Jahre liegen diese tragischen Ereignisse nun zurück. Jetzt, vor dem Schwurgericht, soll geklärt werden, ob zwei Ärzte die strafrechtliche Verantwortung für den Tod des Jungen tragen. Dem damaligen Operateur, der gemeinsam mit einem Kollegen die Facharztpraxis betrieb, wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Sein Kollege muss sich wegen Beihilfe durch Unterlassen verantworten.
Prozess: Generalstaatsanwaltschaft erhob Klage
Für die Eltern von Faouzane muss die Zeit, in der ihr Sohn seinen Kampf ums Leben verlor, ein Alptraum gewesen sein. Auch die Monate und Jahre danach haben den Vater und die Mutter offenbar noch nicht zur Ruhe kommen lassen. Nebenklägerin in dem Verfahren ist die Mutter des verstorbenen Jungen. Auch der Vater wolle sich dem Prozess als Nebenkläger anschließen, heißt es. Schon früher, in einem Prozess im Jahr 2009 gegen eine an der Operation beteiligten Anästhesistin, war der Vater dabei gewesen.
Vor dem Urteil gegen die Narkose-Ärztin, gegen die seinerzeit eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 60 Euro verhängt wurde, war der Mann unter Tränen aus dem Gerichtssaal geeilt. „Ich will alles nur hinter mir lassen“, sagte Fouzanes Vater damals. Doch es kam anders. Am Ende zog die Mutter bis vor das Bundesverfassungsgericht, damit es jetzt zum Prozess gegen die Mediziner kommt. Zuvor war das Verfahren mehrfach von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Schließlich erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage.
Unbemerkte Nachblutung kostete Jungen das Leben
Laut Ermittlungen hatte Hartmut D. (Name geändert) am 14. März 2007 in seiner Praxis bei dem damals neunjährigen Jungen unter Vollnarkose einen HNO-Eingriff vorgenommen. Nach der Operation, die komplikationslos verlaufen sei, habe der Arzt den Patienten unter ungenügender Überwachung in den Aufwachraum entlassen. Den Ermittlungen zufolge kam es dort zu einer Nachblutung, die zunächst nicht bemerkt wurde. Dadurch sei es zu einem Atemstillstand gekommen, der zu schwersten Hirnschäden geführt habe. Schließlich starb der Junge, an den „vermeidbaren Folgen“ der Nachblutung, wie es in der Anklage heißt.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Praxis personell und apparativ für solche Eingriffe unzureichend ausgestattet war, so dass die Operation mit besonderen Risiken verbunden gewesen sei. Darauf hätten die Eltern bei der Patientenaufklärung hingewiesen werden müssen. Dies sei nicht der Fall gewesen. Hierbei, so die Vorwürfe weiter, sei Hartmut D. bekannt gewesen, dass die Ausstattung medizinische Standards unterschreite.
Narkose-Ärztin bereits zu fahrlässiger Tötung verurteilt
Deshalb sei ihm auch bewusst gewesen, dass die Einwilligung der Eltern zum Eingriff unwirksam gewesen sei. Konkret geht es um die Überwachung der Sauerstoffsättigung des Blutes eines Patienten, für die ein sogenannter Pulsoximeter eingesetzt wird. Mit so einem Gerät würde Gutachten zufolge sofort auffallen, wenn es Komplikationen bei der Atmung gibt. Ein Pulsoximeter sei damals in der Praxis nicht vorhanden gewesen.
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Dem Kollegen des Mediziners wirft die Staatsanwaltschaft vor, die Praxis gemeinsam mit dem Operateur unzureichend für derartige Eingriffe ausgestattet zu haben. Ferner habe Manfred F. (Name geändert) die mangelhafte Operations-Aufklärung der Patienten angesichts der mangelhaften Ausstattung gekannt und gebilligt. In dem vorangegangenen Prozess gegen die Anästhesistin hatte das Amtsgericht seinerzeit festgestellt, die Narkose-Ärztin habe sich der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen schuldig gemacht, weil sie den Jungen nicht an ein Pulsoximeter anschloss und die Überwachung des Neunjährigen unzureichend gewesen sei.
Verteidiger spricht von einem tragischen Unfall
Jetzt im Prozess vor dem Schwurgericht stellt sich die Frage, ob auch der Operateur für die Überwachung mit verantwortlich gewesen ist. Nach der Operation, so hatte es damals das Gericht festgestellt, wachte der Vater am Bett seines Sohnes. Als der Junge schnarchte, hatte sich der besorgte Vater an Arzthelferinnen gewandt, war jedoch vertröstet worden, er solle Geduld haben. Kurz danach setzte die Atmung des Kindes aus. Das Drama nahm seinen Lauf.
Beide Angeklagten äußern sich in dem auf 13 Verhandlungstage angesetzten Prozess zunächst nicht. Hartmut D. hat sich zuvor dem Blitzlichtgewitter der Fotografen gestellt. Manfred F. hat indes still auf seinem Platz gesessen, eine dunkle Sonnenbrille vor den Augen und ein Käppi tief ins Gesicht gezogen. Einer der Verteidiger von Hartmut D. erklärt in einer Stellungnahme, sein Mandant habe sich früher ausführlich als Zeuge zu dem Verfahren geäußert.
Der Anwalt kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft die Akten lange habe liegen lassen und sie dann nach Jahren „erneut aus dem Archiv geholt“ habe. Wiederholt sei entschieden worden, dass Hartmut D. nicht nachgewiesen werden könne, gewusst zu haben, dass die HNO-Praxis für solche Operationen unzureichend ausgestattet gewesen sei. Den Tod des Neunjährigen bezeichnet der Verteidiger als „tragischen Unfall“.