Hamburg. Schulsenator stellt Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Lehrermangels vor. Was Gewerkschaft und Opposition dazu sagen.

Den dienstältesten Kultusminister Deutschlands mit seinen zwölf Amtsjahren kann im Bildungsbereich nicht mehr viel erschüttern. Beim Thema des sich in den kommenden Jahren verstärkenden Lehrermangels ziehen bei Schulsenator Ties Rabe (SPD) jedoch kräftige Sorgenfalten auf. „Wir brauchen jedes Jahr mindestens 900 neue Lehrkräfte. Das ist schon eine ganze Menge“, sagte Rabe mit spürbarem Stöhnen am Mittwoch im Rathaus und fügte hinzu: „Am Ende haben wir hier ein Generationenproblem, das sich auch nicht wegreden lässt.“ Mit anderen Worten: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen jetzt in Rente.

Die Lage wird in Hamburg noch dadurch verschärft, dass die Schülerzahlen seit zehn Jahren um durchschnittlich 1500 pro Jahr ansteigen. Im vergangenen Jahr waren es unter anderem infolge der Flüchtlinge aus der Ukraine sogar 7000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler.

Rabe betonte, dass der Stadtstaat nicht den Weg anderer Bundesländer gehen werde, die die Klassen vergrößern oder die Lehrkräfte zu mehr Unterrichtsstunden verpflichten, um dem Mangel an Nachwuchs so zu begegnen. „Wir haben uns entschieden zu sagen: Wenn wir mehr Schüler haben, wollen wir nicht die Klassen vergrößern. Sondern wir schaffen mehr Schulklassen, die genauso klein sind wie bisher, und brauchen deshalb mehr Lehrkräfte“, sagte Rabe.

Die Zahl der Referendariatsplätze soll auf 1350 bis 2024 erhöht werden

Mit einem Bündel von Maßnahmen, die Rabe jetzt vorstellte, will der Senat auch weiterhin dafür sorgen, dass genügend Nachwuchslehrkräfte in die Hamburger Schulen kommen.

  • Der Schulsenator kündigte an, die Zahl der Referendariatsplätze erneut zu erhöhen: von ursprünglich 810 und aktuell 1215 auf 1350 im Jahr 2024. Da die Ausbildungszeit 18 Monate beträgt, werden künftig 900 Nachwuchskräfte pro Jahr das zweite Staatsexamen ablegen.
  • Mehr Flexibilität, damit alle Plätze auch belegt werden: Falls es für ein Lehramt nicht genug Bewerbungen gibt, soll das Kontingent durch Umwidmung auf ein anderes Lehramt genutzt werden.
  • Das Referendariat soll stärker als bisher für Quereinsteiger geöffnet werden. Wer ein Masterstudium in Unterrichtsfächern ohne Erziehungswissenschaften absolviert hat, soll im Referendariat durch Ergänzungsangebote die pädagogischen Grundlagen erwerben. Bislang liegt die Quote der Quereinsteiger bei zwei bis fünf Prozent im Referendariat.
  • Viel verspricht sich Rabe davon, zusätzliches pädagogisches Personal für den Vormittag aus den rund 2300 Erzieherinnen und Erziehern zu gewinnen, die bislang im Rahmen des schulischen Ganztagsangebots bei den Trägern der Jugendhilfe am Nachmittag eingesetzt sind. Diese Pädagogen, die bislang nur einen Halbtagsjob haben, könnten vormittags bei der Betreuung und speziellen Förderung von Schülern eingesetzt werden. „Allerdings ist das nicht ganz leicht“, sagte Rabe. Es bedürfe noch der juristischen Ausarbeitung dieser Konstruktion, um Verstöße gegen das Leiharbeitsgesetz zu vermeiden.
  • Die Schulbehörde will Lehrkräften die Möglichkeit eröffnen, freiwillig über die gesetzlich vorgegebene Altersgrenze hinaus zu arbeiten. „Bislang gelten bei uns starre Regeln. Wer länger arbeiten will, muss große Hürden überwinden. Das wollen wir einfacher gestalten und auch eine bessere Form der Anrechenbarkeit auf die Pension sicherstellen“, sagte der Schulsenator. Die Möglichkeit zur Frühpensionierung soll eingeschränkt werden.
  • Die Angebote zur Gesundheitsförderung sollen verbessert werden. Hintergrund: Nach der Corona-Pandemie ist die Krankheitsquote nicht wieder auf den ursprünglichen Stand von durchschnittlich 6,6 Prozent gesunken, sondern liegt jetzt bei 8,7 Prozent. Mit Schulleitungen, Gewerkschaften und Personalräten sollen Maßnahmen erörtert werden, um die Attraktivität des Lehrerberufs zu erhöhen.
  • Zwischen 5000 und 8000 pädagogische Fachkräfte werden an Schulen befristet für Förderkurse im Rahmen der Lernferien oder die Flüchtlingsbeschulung eingesetzt. Jetzt sollen die Möglichkeiten verbessert werden, dieses Personal dauerhaft und durch zusätzliche Qualifikationen als Seiteneinsteiger an die Schulen zu binden.
  • Die Schulbehörde will eine Servicedienststelle mit einer Telefonberatung für Bewerberinnen und Bewerber für das Referendariat einrichten. Das digitale Bewerbungsportal soll benutzerfreundlich umstrukturiert werden.

Rabe wies angesichts des Wettbewerbs unter den Ländern außerdem auf den Standortvorteil hin, dass alle Lehrkräfte in Hamburg mindestens nach A13 besoldet werden. Diese jetzt abgeschlossene Aufstockung war bereits vor mehreren Jahren beschlossen und ist stufenweise umgesetzt worden. Lehrer der Grund- und Mittelstufe erhielten vorher rund 450 Euro weniger und wurden nach A12 besoldet. „Nur wenige Bundesländer gehen diesen richtigen Schritt zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Lehrämtern“, sagte Rabe.

Die GEW begrüßt die Maßnahmen, fordert aber weitere Verbesserungen

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte den Maßnahmenkatalog des Senators, monierte aber, dass es kein Konzept gebe. „Es ist richtig, dass der Schulsenator eine Einschränkung der Teilzeit, mehr Unterrichtsverpflichtung oder eine Erhöhung der Klassengröße ausschließt, denn solche Verschlechterungen schaden der Attraktivität des Berufsfeldes“, sagte der GEW-Vorsitzende Sven Quiring. „Aber wir hätten uns mehr strukturelle Tiefe gewünscht. Insbesondere bei der Bezahlung von Leitungsstellen, bei dem pädagogisch-therapeutischen Fachpersonal und den Lehrkräften der Vorschulklassen muss weiter nachgelegt werden“, sagte Quiring.

„Hamburg lebt seit Jahren auf Kosten anderer Länder, die mehr in die Lehrerausbildung investieren“, sagte die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. So seien über Jahre weniger Plätze in Studium und Referendariat vorgehalten worden, als absehbar benötigt wurden. „Die Maßnahmen kommen reichlich spät und sind unvollkommen“, sagte die Bürgerschaftsabgeordnete. Die Möglichkeit für pensionierte Lehrkräfte zu eröffnen, länger zu arbeiten, habe die CDU bereits in einem Bürgerschaftsantrag gefordert.

Laut Senat besteht bereits jetzt ein struktureller Lehrermangel von 265 Stellen

„Endlich hat auch der Senator begriffen, dass man in Hamburg handeln muss, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Leider geht er nicht die neuralgischen Punkte an, die zum Mangel führen: erhöhte Belastung, ein überholtes Arbeitszeitmodell, ungleiche Bedingungen für Schulen in ökonomisch benachteiligten Nachbarschaften“, sagte die Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.

Die Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Linken-Fraktion hatte ergeben, dass es bereits jetzt einen strukturellen Lehrermangel von 265 Stellen an den allgemeinbildenden Schulen gibt, wobei Standorte in sozial schwieriger Lage besonders betroffen sind.

In Kürze will der Senat Maßnahmen zum Ausbau der Studienkapazitäten vorstellen

Mit einem Seitenhieb auf die Wissenschaftsbehörde verwies Rabe im Rathaus darauf, dass die zweite „große Stellschraube“ zur Bekämpfung des Lehrermangels der Bereich Universität sei. „Wenn wir jährlich 900 Lehrkräfte brauchen, wäre es natürlich auch schön, wenn jedes Jahr 900 Menschen ihr Lehramtsstudium abschließen. Hier liegen wir zurzeit leider nur bei rund 550“, sagte der SPD-Politiker. Zum Bereich Studium sollen laut Rabe in Kürze weitere Maßnahmen vorgestellt werden.