Hamburg. Das Kunstspiel “Ich sehe was, was du nicht siehst“ zum Mitmachen. Heute: Maler Franz von Stuck mit “Haupt der Medusa“.

Wie schon im berühmten Filmdrama mit Brigitte Bardot gilt auch in der Kunst: Und immer lockt das Weib, ob sinnlich-ätherisch, erotisiert und begehrenswert oder als mythologischer Dämon. Die fatale Frau ist dabei ein Mythos, eine Projektion, konstruiert von fast ausschließlich männlichen Künstlern, die sich auf literarische oder biblische Vorlagen beriefen.

Ein lang tradiertes, vielfältig ins Bild gesetztes weibliches Stereotyp, das vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart wirkt. Und aus heutiger Sicht mit MeToo, Gender-Debatte, Identitätsfindung und weiblicher Selbstermächtigung im Rücken vollkommen anders gelesen und interpretiert wird und werden muss.

Hamburger Kunsthalle: Galerie der Gegenwart zeigt das Werk von 1892

Mit der Ausstellung „Femme fatale“. Blick – Macht – Gender“, die noch bis zum 10. April in der Galerie der Gegenwart zu sehen ist, packt Kurator Markus Bertsch ein heißes Eisen an: „Wir wollen uns von einigen Dingen verabschieden, aber auch aus ihnen lernen, den Blick nach vorne richten“, sagt der Leiter der Sammlung 19. Jahrhundert in der Hamburger Kunsthalle über sein Konzept. Das Jahrhundert sei „ein schwieriges Gelände, nicht nur was Sexualisierung von Frauen angeht, sondern etwa beim Thema Kolonialismus“.

Das hier gezeigte Bild von Franz von Stuck „Haupt der Medusa“ (um 1892, 26,5 mal 32,5 Zentimeter, Pastell auf Papier) ist eine Leihgabe aus der Privatsammlung Courtesy Kunkel Fine Art in München für diese Ausstellung. Und auch hier kommt die Referenz an die Mythologie in Verbindung mit der „fatalen Sinnlichkeit“ der Frau zum Tragen. Das gänzlich Böse scheint aus den starr blickenden Augen der Dargestellten zu strömen.

Poseidon überwältigte Medusa wohl und raubte ihr "die Unschuld"

Doch wer war diese Medusa? In der griechischen Mythologie wird sie als Ungeheuer, das statt Haaren Schlangen auf dem Kopf hat und jeden, der sie ansieht, zu Stein verwandelt, beschrieben.

Auf dem Instagram-Kanal der Kunsthalle wird Medusa zum Leben erweckt: „Einst galt ich als schöne Frau. Mein Aussehen wurde als Einladung interpretiert oder, besser gesagt, als Rechtfertigung benutzt“, beginnt sie ihre Leidensgeschichte zu erzählen. Danach soll der Meeresgott Poseidon sie überwältigt und ihre „sogenannte Unschuld geraubt“, ihre Zukunft als Priesterin verhindert haben.

Auf der Suche nach Hilfe bei der Göttin Athene habe diese ihr die Schuld für die Vergewaltigung gegeben und ihr Gesicht entstellt. Statt ihres lockigen Haares wanden sich seitdem Schlangen um ihren Kopf und flößten ihren Feinden lähmendes Entsetzen ein.

Kunst-Podcast: Dieser Maler schuf eine Art "Bild im Bild"

Nicht nur Kunst-, sondern auch biblische Geschichte

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Medusa war eigentlich Opfer, wurde ihrer Selbstbestimmung beraubt

„Die Leute sagen über mich, ich hätte meinen Prinzipien nicht standgehalten und wäre dem Charme eines Mannes verfallen, obwohl ich ewige Enthaltsamkeit geschworen hatte“. In Wahrheit beraubte man sie ihrer Selbstbestimmung „über meinen Körper und mein Leben. Seitdem kennt niemand mein wahres Gesicht.“ Medusa ist hier Opfer und nicht Personifizierung des Bösen.

Und es kommt noch schlimmer: Laut Ovids „Metamorphosen“ habe Agenors Sohn „die Gestalt der furchtbaren Medusa im Erz des Schildes, den er in der Linken trug, im Spiegelbild geschaut. Während tiefer Schlummer sie und die Schlangen gefesselt hielt, habe er ihr das Haupt vom Halse getrennt.“

Hamburger Kunsthalle: Franz von Stuck unterrichtete große Künstler wie Paul Klee

Diese Tat hat der Künstler Franz von Stuck (1863-1928) in einem seiner viel beachteten mythologischen Bilder verarbeitet. Exzellent ausgebildet an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in München, wo er später als Professor unter anderem Paul Klee und Wassily Kandin­sky unterrichtete, Mitbegründer der Münchner Secession, Maler mit internationalem Renommee, war er dabei äußerst konservativ – die „modernsten Kunstrichtungen“ lehnte er ab. Er war eben Sohn seiner Zeit.

„Auch im 19. Jahrhundert wussten die Menschen, was sie vor Augen hatten. Aber sie hatten eine andere Sprache zur Verfügung als wir heute. Durch eine veränderte Sprache können wir auch eine Veränderung des Bewusstseins erwirken“, so Markus Bertsch.