Hamburg. Interne Konflikte erschüttern immer wieder die Partei, die keine Machtoption hat. Zwei Frauen wollen Landeschefin werden.

FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki, der sonst keinem Streit aus dem Weg geht, versuchte, den parteiinternen Konflikt auf seine bekannt hemdsärmelige Art zu beenden. „Ich habe viel Verständnis für Nabelschau. Nabelschau mag intern gut sein, aber es macht die Partei nach außen nicht attraktiver. Ich gebe vier bis sechs Leuten gern pädagogische Nachhilfe. Der Wein geht dann auf meine Rechnung“, sagte Kubicki gewohnt gönnerhaft.

Das war auf dem Landesparteitag der Liberalen im September des vergangenen Jahres. Da tobte die Auseinandersetzung zwischen vier Jungliberalen (JuLis) um den Ex-JuLi-Landeschef Carl Cevin-Key Coste und dem FDP-Landesvorstand mit Parteichef Michael Kruse schon fünf Monate ungebremst und sorgte für negative Schlagzeilen über die Elbliberalen.

Der parteiinterne Schlagabtausch war eine Mischung aus Stolz, Rechthaberei und Unnachgiebigkeit: Am Anfang stand die Kritik der JuLis an dem Plan von Kruse, gegen die Hotspot-Regelung des Senats zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu klagen. Nachdem Coste den Vorstoß als „PR-Aktion“ Kruses bezeichnet hatte, berief der Landesvorstand den Ex-JuLi-Chef von seinem Posten als rechtspolitischen Sprecher ab. Daraufhin sprachen die JuLis von „politischer Säuberung“ und „inhaltlicher Gleichschaltung“. Trotz einer Entschuldigung der Nachwuchspolitiker für die Wortwahl entschied sich die Parteispitze, ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten.

Auch Wolfgang Kubicki konnte den parteiinternen Konflikt nicht lösen

Die Antwort der JuLis in der Logik der Eskalation war eine Klage vor dem Parteischiedsgericht, weil sie sich in ihren Mitwirkungsrechten schwer geschädigt sahen, obwohl der Beschluss, ein Ausschlussverfahren einzuleiten, tatsächlich nie umgesetzt wurde. Kein Geringerer als die FDP-Legende und Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum war einer der Autoren eines 180 Seiten umfassenden Schriftsatzes, den die JuLis einreichten.

Der allerdings recht späte Versuch Kruses, den Streit mit einem Handschlag zwischen Coste und ihm auf dem Landesparteitag im September zu beenden, scheiterte. Und auch Kubickis Friedensbemühungen versickerten irgendwie. Letztlich kam es nicht einmal zu einem gemeinsamen Gespräch der Kontrahenten mit ihm. Vielleicht war dem viel beschäftigten Bundestags-Vizepräsidenten auch ein wenig der Elan abhanden gekommen, sich in diesem kuriosen Streit zu engagieren.

Erst Anfang dieser Woche – fast ein Jahr nach dem Beginn des Konflikts – einigten sich Kruse und das JuLi-Quartett auf einen Vergleich vor dem Schiedsgericht, das auf eine Beendigung des Streits auf diesem Weg energisch gedrängt hatte. Der mit geradezu alttestamentarischer Unerbittlichkeit geführte Konflikt ist charakteristisch für eine Partei, in der viele meinen, immer recht zu haben. Interne Konflikte haben den Landesverband stets aufs Neue erschüttert. Die Liberalen gelten als streitlustigste der Hamburger Parteien.

Ausgesprochen turbulent ging es auch 2014 zu

Ein paar Kostproben: Mitten im Bürgerschaftswahlkampf 2008 trat der damalige Spitzenkandidat und Landesvorsitzende Wieland Schinnenburg plötzlich während einer dramatischen Vorstandssitzung von allen Ämtern zurück, packte seine Tasche und ging. Schinnenburgs Begründung: „mangelnde Unterstützung in der Führungsebene“. Es hatte es einen heftigen Streit über das Wahlkampfkonzept und dessen Finanzierung gegeben.

Ausgesprochen turbulent ging es auch 2014 zu: Ein halbes Jahr vor der Bürgerschaftswahl trat die FDP-Landesvorsitzende Sylvia Canel von ihrem Amt zurück und zugleich aus der Partei aus. Damit nicht genug: Drei Wochen später wurde sie Landesvorsitzende der von ihr mitgegründeten Neuen Liberalen, die allerdings bald untergingen.

Nachwirkungen bis auf den heutigen Tag haben die Konflikte innerhalb der Doppelspitze der Bürgerschaftsfraktion, die aus Anna von Treuenfels-Frowein und Kruse bis 2020 bestand, als die Liberalen knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Immer wieder gerieten die beiden wegen der Besetzung von Posten aneinander, etwa dem der Parlamentarischen Geschäftsführerin. Nachdem Kruse 2021 Landesvorsitzender geworden war, verhinderte er, dass Treuenfels-Frowein als einzige direkt gewählte Bürgerschaftsabgeordnete dem Präsidium des Landesvorstands angehörte. Heute bildet das Lager um Treuenfels-Frowein mit dem regionalen Schwerpunkt Altona eine Art innerparteiliche Opposition zu Kruse.

Die interne Streitlust kontrastiert auffällig zur politischen Bedeutung der FDP an Alster und Elbe

Die interne Streitlust kontrastiert auffällig zur politischen Bedeutung der FDP an Alster und Elbe. Die letzte Regierungsbeteiligung der FDP im Bündnis mit CDU und Schill-Partei endete bereits vor fast 20 Jahren und zudem blamabel im Chaos der untergehenden Rechtspopulisten.

Die beste Phase ihrer jüngeren Geschichte hatte die FDP in der zurückliegenden Dekade: Mit der beliebten und medienaffinen Spitzenkandidatin Katja Suding konnten die Liberalen mit 6,4 Prozent (2011) und 7,4 Prozent (2015) zweimal sicher in die Bürgerschaft einziehen. Suding gelang es auch seit 2014 als Landesvorsitzende, den notorisch zerstrittenen Landesverband zu befrieden.

Doch auch Sudings Erfolge konnten über einen Sachverhalt nicht hinwegtäuschen: Die FDP hat im Hamburger Parteienspektrum keine Funktion mehr bei der Frage der Senatsbildung, wenn es also um die Macht im Stadtstaat geht. Die Grünen sind als „Zünglein an der Waage“ an die Stelle der Liberalen gerückt – und inzwischen so stark, dass sie Anspruch auf den Bürgermeister-Posten erheben.

Scholz’ Worte spiegeln ein strukturelles Problem der FDP in Hamburg wider

Immerhin: Nach der Wahl 2015 bestand rechnerisch die Chance für ein sozialliberales Bündnis. Doch der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte schon im Wahlkampf gesagt: „Wenn es nötig ist, rede ich mit den Grünen.“ So kam es. Von Scholz stammt auch der schnöde Satz: „Liberal sind wir selbst.“

Scholz’ Worte spiegeln ein strukturelles Problem der FDP in Hamburg wider. Einerseits gilt die Stadt als liberal und weltoffen und wäre daher geradezu prädestiniert für eine starke FDP. Doch andererseits lassen ihr die direkten politischen Mitbewerber wenig Raum zur Entfaltung: Die SPD ist im bundesweiten Spektrum der Partei betont wirtschaftsfreundlich, die Hamburger Grünen sind seit Langem realpolitisch unterwegs und haben sich auf dem klassisch-liberalen Feld der Rechtsstaatspolitik früh profiliert. Auch die Hamburger CDU zählt immer noch zu den eher liberalen Landesverbänden.

Aktuell kommt erschwerend hinzu, dass die Beteiligung an der Berliner Ampel-Regierung und die dort mitgetragenen Kompromisse etwa in Fragen der Energie-, Wirtschafts- und Finanzpolitik mächtig auf die Stimmung auch der Hamburger Mitglieder drücken. Das spürt auch Parteichef Kruse, der als Bundestagsabgeordneter und energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion Akteur in Berlin ist.

In Schleswig-Holstein ist die FDP nach der Landtagswahl im Mai 2022 aus der Regierung geflogen, in Niedersachsen sogar aus dem Landtag. Für die Bürgerschaftswahl in Bremen am 14. Mai sehen Umfragen die FDP stabil bei unter vier Prozent. Keine günstige Ausgangslage, auch wenn es bis zur Bürgerschaftswahl in Hamburg noch zwei Jahre dauern wird.

Die Bergedorferin Sonja Jacobsen will FDP-Landesvorsitzende werden

In dieser Situation erklärte Michael Kruse vor zweieinhalb Wochen für die allermeisten Parteifreunde überraschend, dass er Anfang April nicht erneut als Landesvorsitzender kandidieren will. Der 39-Jährige begründete seinen Schritt mit der hohen zeitlichen Belastung durch sein Mandat und die Aufgabe als energiepolitischer Sprecher. Kruse versucht den Eindruck zu zerstreuen, die Konzentration auf Berlin habe etwas mit der unersprießlichen Seite der Aufgabe als Vorsitzender des streitfreudigen Landesverbands zu tun. Andererseits war der Diplom-Volkswirt nur zwei Jahre Parteichef.

Auch wenn Kruse als Bundestagsabgeordneter sichtbar bleibt, bedeutet die erforderliche Neuwahl an der Parteispitze einen Neuanfang. Und mit Kruse verlässt das derzeit neben von Treuenfels-Frowein bekannteste Gesicht der Hamburger FDP die Brücke. Am Freitagabend erklärte die Vize-Landeschefin Sonja Jacobsen ihre Kandidatur. „Meine Vorstellung von Politik beschränkt sich nicht auf die bequeme Rolle der Fundamentalopposition. Wir Liberale bieten immer Lösungen an und ich verfüge über die Erfahrung, unsere Positionen auch durchzusetzen“, schreibt die FDP-Fraktionschefin in der Bezirksversammlung Bergedorf in einem Brief an die FDP-Mitglieder.

Jacobsen setzt auf Teamarbeit. „Deshalb trete ich nicht allein an, sondern gemeinsam mit den Persönlichkeiten, die auch in den letzten Jahren Verantwortung für die FDP Hamburg übernommen haben“, sagt Jacobsen und meint damit die Freidemokraten, die wie sie bislang auch eng mit Kruse im Landesvorstand zusammengearbeitet haben.

Bereits Anfang März hatte Beate Schlüter aus dem Altonaer Umfeld Treuenfels-Froweins ihre Bewerbung um den Parteivorsitz bekannt gegeben. Die in der Partei bislang wenig bekannte Blankeneserin, die seit zwölf Jahren die Hamburger Börsenaufsicht leitet, setzt bezeichnenderweise auch auf Teamarbeit ...

Für Kruse ist die Wahl der Landesvorsitzenden zwei Jahre vor der Bürgerschaftswahl eine Richtungsentscheidung. „Wir brauchen jetzt jemanden, der etwas werden will. Wer etwas werden will, muss es jetzt zeigen“, sagte Kruse dem Abendblatt und heizt den Wettbewerb um seine Nachfolge damit an.