Hamburg. Drei Geflüchtete mit festen Jobs kämpfen in Hamburg seit Jahren um den Nachzug ihrer Familien. Auf welche absurden Hürden sie stoßen.
Um dazuzugehören in der neuen Heimat, haben sich Zia Noori und die Brüder Adil und Amer Saeed Murad mächtig angestrengt. Zia wurde für die Hamburger Arbeitsagentur sogar zu einer Art Posterboy gelungener Integration. Die drei sprechen flüssig Deutsch, haben sich hier ausbilden und nichts zuschulden kommen lassen. Jetzt arbeiten sie als Fachkräfte in Branchen mit Fachkräftemangel und zahlen Steuern. Staatliche Leistungen beziehen sie nicht. Ausländische Arbeiter wie sie sucht Deutschland gerade händeringend. Und die drei sind gekommen, um zu bleiben; nur fühlt es sich für sie bisher eher so an, als seien sie gekommen, um zu leiden.
Denn das Wichtigste bleibt ihnen auch viele Jahre nach der Ankunft in Hamburg versagt: ihre Familien, die sie bei der Flucht zurücklassen mussten. Rechtlich dürfen die Männer aus Afghanistan und dem Irak ihre Frauen und Kinder zwar zu sich holen. Alle Auflagen für den Nachzug sind seit rund zwei Jahren erfüllt. Doch ihre Familien erhalten einfach keine Termine, um ihre Visa in den zuständigen deutschen Auslandsvertretungen in Erbil und Teheran formell zu beantragen. Es seien nie Plätze frei, klagen die Männer. Werden mal welche im Internet gelistet, seien sie sofort vergriffen.
Geflüchtete in Hamburg: Drei Männer kämpfen um ihre Familien
An einem spätwinterlichen Märztag trifft das Abendblatt die drei Männer und ihren Mentor Christian Kohler. Er kämpft seit Jahren für Amer und Adil und leidet mit ihnen. Seit sie in Hamburg sind, also seit mehr als sieben Jahren, haben Zia (35) und Adil (38) ihre Familien nur einmal für wenige Wochen getroffen; Amer (37) hat seine Liebsten bisher gar nicht in die Arme schließen können. Die Männer schicken ihnen Geld, für das sie in Hamburg hart arbeiten. Sie leben, lieben und streiten mit den Ihren per Handy oder Computer.
Als Zia, der einer verfolgten Minderheit angehört, 2013 aus seiner Heimat Afghanistan flüchtete, musste er seine Frau und die zwei kleinen Söhne zurücklassen. „Ich wollte ihnen die Strapazen der Flucht ersparen und sie schnell zu mir holen“, sagt er. Zia kam als Analphabet in Deutschland an und räumte schnell alle Hürden aus dem Weg: Deutschprüfung, Praktikum, Ausbildung, Festanstellung. 2021 ist ihm die Niederlassungserlaubnis erteilt worden. Zur Eile angespornt hat ihn die Aussicht, endlich seine Familie nachholen zu können, sobald alle Auflagen erfüllt sind. Doch nun lebt er seit neun Jahren von seinen Liebsten getrennt. „Ich vermisse sie, jeden Tag“, sagt Zia traurig, müde. „Ohne sie ist meine Welt dunkel.“
Geflüchtete in Hamburg – und ihre Geschichten
Seit 2020 ist er als Geselle bei einer Firma für Sanitärtechnik in Rissen angestellt. Für seine Frau aber wurde die Lage immer aussichtsloser. 2021 musste sie mit den elf und 13 Jahre alten Jungen vor den Taliban in den Iran fliehen. Bei der deutschen Botschaft in Teheran bekamen sie im März 2022 online einen Termin. Eingeladen wurde im Juli aber nur der jüngste Sohn. Mutter und Bruder durften nicht rein. Warum es so lief? Kohler guckt nur, halb spöttisch, halb resigniert, und zuckt mit den Achseln. Eine zweite Terminbuchung im September war erfolgreich, seither wartet die Familie auf die Einladung. Doch ihr läuft die Zeit davon: Eine Abschiebung nach Afghanistan droht, weil ihre Visa ablaufen. Zia sagt, er habe große Angst.
Eine ähnliche Geschichte erzählen die Brüder Amer und Adil. Die zwei Jesiden flohen 2014 mit ihren Familien aus der irakischen Provinz Ninawa vor den Schlächtern des Islamischen Staats. Ihre Frauen und jeweils zwei Kinder kamen in einem Flüchtlingscamp im Nordirak unter, während sie den riskanten Marsch nach Deutschland antraten. Ihre Familien sollten ihnen so schnell wie möglich folgen. Adil, ein studierter Lehrer, ist seit 2018 als Koch bei der Nord Event GmbH unter Vertrag, Amer arbeitet als Fachkraft bei der Michael Kaup Systemgastronomie GmbH. Sie kommen voran, ihre Familien sitzen fest. So war das nicht geplant.
Die drei Männer erfüllen alle Voraussetzung für den Nachzug
Dabei erfüllen die drei Männer alle Voraussetzungen für den Nachzug: Sie verdienen genug Geld, um ihre Familien allein ernähren zu können, ohne Sozialleistungen beantragen zu müssen. Ihre Wohnungen sind groß genug. Zu groß für sie allein und zu teuer. Aber um die amtlichen Anforderungen zu erfüllen, mussten sie in Wedel, Rahlstedt und Niendorf XXL-Räumlichkeiten mieten. Wasela und Shireen, die Ehefrauen von Adil und Amer, lernen zudem Deutsch, wie es das Amt von ihnen verlangt. Der Lehrer, der sie im nordirakischen Camp unterrichtete, kostete jeweils fast 2500 Euro. Das Geld sammelte Kohler über Spenden ein. Jetzt wären sie so weit. Doch der Flaschenhals für die Ausreise sei der Termin im Konsulat in Erbil. Kohler sagt: „Ich gucke täglich mindestens dreimal auf die Website, wo die Termine gelistet sind.“
Die persönliche Antragsstellung sei notwendig, „da die Erfassung von biometrischen Daten (Fingerabdrücke) rechtlich vorgeschrieben ist“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Und weiter: „Die Wartezeit auf einen Termin zur Beantragung eines nationalen Visums in Erbil beträgt etwa drei Monate.“
Einmal, das war am 5. Februar, seien zehn Termine frei gewesen, sagt Kohler. Zehn! Er hatte zuvor nicht mal einen einzigen gesehen. In Windeseile tippte Kohler die Daten seiner Schützlinge ein. Doch als er fertig war, waren alle Termine vergeben. Kohler spricht von einem „kafkaesken System“. Während die Hälfte der Asylsuchenden ohne Identitätspapiere ins Land kommt, hielten sich die drei penibel an jede Regel. Und stießen doch auf absurde Hürden.
Gefühle der Männer schwanken zwischen Angst und Ohnmacht
„Es gibt kein Ankommen in diesem Land, das Fachkräfte will und braucht, aber nur die Arbeitskraft ausschlachten will“, sagt er. „Familiennachzug? Bitte warten, bis ein Termin frei wird, derweil die Kinder älter werden, den Kontakt zum Elternteil in Deutschland verlieren. Es zerreißt einem das Herz.“ Wie die Innenbehörde dem Abendblatt erklärte, war Hamburg 2022 in „3582 Fällen zum Familiennachzug von den deutschen Auslandsvertretungen beteiligt worden“. Um den Prozess für seine Schützlinge zu beschleunigen, holte Kohler Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und den Hamburger Bundestagsabgeordneten Niels Annen (SPD) mit ins Boot – bisher ohne Erfolg.
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Die Gefühle der drei Geflüchteten schwanken zwischen Angst und Ohmacht, Hilflosigkeit und Traurigkeit. Nichts bewegt sich in der Sache, doch es ist alles im Fluss; die Kinder werden groß, nur eben ohne sie. Sie sind Papa und Partner zum Nichtanfassen. Zum Leben ihrer Liebsten, dieser nicht enden wollenden Flucht, werden sie per Videokonferenz dazugeschaltet. So bitter, so wahr.
Die Familien von Adil und Amer hausen im Camp unter leicht brennbaren Plastikzelten, wo es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt ist. Die sanitären Zustände spotten jeder Beschreibung. „Wann können wir zu dir nach Deutschland?“, fragen sie immer wieder. Die Männer antworten: „Bald, bald ...“ Amers Tochter hat zuletzt gefragt: „Papi, lügst du?“ Das habe ihm so wehgetan, sagt Amer.