Hamburg. Vermögen seiner Stiftung für Wissenschaft entstand zum Teil durch Ausbeutung von Kriegsgefangenen. KZ-Häftlinge schufteten in Sonderkommando
Hinweise darauf, dass der 1976 verstorbene Hamburger Mäzen Ernst Emil Jung einen Teil seines Vermögens mit der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen begründete, gibt es schon länger; sie stehen sogar in einem Wikipedia-Eintrag über die Hamburger Mineralöl-Werke Ernst Jung. Doch erst 2021 entschied die von ihm gegründete Hamburger Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung, der Vorgeschichte ihres Kapitals „auf den Grund zu gehen“, wie die Einrichtung nun auf ihrer Internetseite erklärt.
Das „Wirken“ ihres Stifters zur Zeit des Nationalsozialismus habe sie „lange nicht hinterfragt“; persönliche Unterlagen und ein Unternehmensarchiv lagen der Stiftung zufolge nicht vor. Um diese „biografische Lücke“ zu füllen, habe sie ein „Forschungsprojekt“ in Auftrag gegeben.
Zwangsarbeit? Jung-Stiftung gab Untersuchung selbst in Auftrag
Am Mittwoch informierte die Jung-Stiftung über die Ergebnisse dieser Untersuchung – auf eine Art und Weise, die es dem Leser nicht leicht macht. Auf der ersten Seite der Pressemitteilung heißt es vage, Jung habe „auch mit dem Instrument der Zwangsarbeit“ seinen finanziellen Grundstock gelegt. Erst auf Seite drei wird es einmal konkreter: „Die Studie schätzt, dass in den Jung-Betrieben von 1939 bis 1945 insgesamt 200 bis 250 Zwangsarbeiter:innen eingesetzt wurden, 38 davon in der Betriebsanlage in Stadersand.“ Die Mitteilung schließt mit der Feststellung, die Analyse zeichne ein „ambivalentes Bild von Ernst Jung als Opportunisten des Nationalsozialismus einerseits und als späteren Philanthropen andererseits“.
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Die Rolle von KZ-Häftlingen wird in der Pressemitteilung nicht erwähnt, auch nicht in dem jüngst ergänzten, kurzen Text „Geschichte Ernst Jung“ auf der Internetseite der Stiftung. Wer am Mittwoch die gesamte, 65 Seiten umfassende Analyse bekommen wollte, musste dies erst auf der Internetseite der Stiftung beantragen.
Kein Blatt vor den Mund nimmt der Autor der Analyse, Peter Zolling. Der Historiker, der früher als Redakteur für Zeitgeschichte beim „Spiegel“ arbeitete, stützt sich nach eigenen Angaben auf Recherchen unter anderem im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, im Archiv der Handelskammer und im Hamburger Staatsarchiv. Zolling will den wahren Umfang des Einsatzes von Zwangsarbeitern in Firmen von Ernst Jung aufgedeckt haben.
Hamburger Unternehmer Jung gehörte zu den Kriegsprofiteuren
Der Unternehmer habe zu einer „den politischen Systemträgern eng verbundenen Wirtschafts-Elite von Kriegsprofiteuren“ gehört, die „den Gewaltapparat am Laufen hielten“ und mitverantwortlich gewesen seien für die „im deutschen Namen verübten Gräuel während des Zweiten Weltkriegs“, schreibt Zolling in einer Zusammenfassung seiner Analyse.
Zolling stellt die „Ausbeutung von Zwangsarbeitern“ differenziert dar. Ihm zufolge nutzte Jung in seinen Unternehmen zum einen zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, unter ihnen Polen, Ukrainer, ein Slowake, Holländer, Italiener – insgesamt 52 Männer und eine Frau. Zum anderen habe Jung von Sommer 1944 an Häftlinge aus einem Außenlager des KZ Neuengamme eingesetzt, das von der SS am Dessauer Ufer im Hamburger Hafen eingerichtet worden war.
KZ-Gefangene arbeiteten unter erbärmlichen Bedingungen
Zolling zufolge wurden die KZ-Gefangenen „unter anderem in Mineralöl-Firmen – wie dem Jung-Werk I in Wilhelmsburg – gezwungen, Blindgänger zu entschärfen, Bombenschäden zu beheben, Trümmer zu beseitigen und neue Rohre zu verlegen“. Belegt durch Zeugenaussagen sei, „dass 120 bis 170 KZ-Häftlinge vom Spätsommer 1944 bis zum Frühjahr 1945 für solche Aufgaben in Jungs Hafenbetrieb in einem Spezialkommando tätig waren“, schreibt Zolling. „Deren Arbeits- und Lebensbedingungen waren erbärmlich.“ Einer der Überlebenden im „Sonderkommando Jung“ habe später erzählt: „Unsere Spezialistengruppe, die ursprünglich 170 Mann umfasste, ist nun ziemlich zusammengeschmolzen. Viele sind bereits umgekommen.“
Irrig sei die Vorstellung, Unternehmer wie Jung seien von Staats- oder Parteistellen verpflichtet worden, Zwangsarbeiter einzusetzen, so Zolling. „Im Gegenteil: Angesichts des allgemeinen Ressourcenmangels konkurrierten kriegswichtige Firmen, zu denen Jungs Mineralöl-Betriebe zählten, im Laufe des Krieges um die immer knapper werdenden Arbeitskräfte. So mussten Unternehmen Anträge stellen, um KZ-Insassen als Zwangsarbeiter überstellt zu bekommen.“
Die Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung vergibt jedes Jahr drei renommierte Auszeichnungen für Spitzenmedizin, dotiert mit insgesamt 540.000 Euro. Auf Abendblatt-Anfrage am Mittwoch anlässlich der Analyse zu ihrem Stifter erklärte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Jochen Spethmann: „Das Ergebnis der Studie macht uns sehr betroffen. Wir sind uns bewusst, dass wir das erlittene Leid und Unrecht in den Unternehmen Ernst Jungs nicht ungeschehen machen können. Wir tun unser Bestes, im Rahmen unserer Satzungsvorgaben Verantwortung zu übernehmen, Aufarbeitung voranzutreiben und Aufklärung zu leisten.“
Namen der Stiftungspreise sollen angepasst werden
Die Stiftung plane nun, mit einer Million Euro ein Forschungsprojekt der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Medizinverbrechen zu fördern und Ärzte ohne Grenzen bei der Versorgung von Geflüchteten und Migranten in Libyen zu unterstützen. „So stellt sich die Jung-Stiftung der Geschichte ihres Stifters und hilft Menschen in Notlagen“, teilte die Stiftung mit. Rückblickend hätte sie „aufgrund der mangelnden Quellenlage schon früher Nachforschungen anstoßen können“.
Die Namen der Stiftungspreise sollen angepasst werden, „sodass sie sich auf den Namen der Stiftung und nicht mehr auf die Person Ernst Jungs berufen“. Den Familiennamen will die Jung-Stiftung beibehalten, „da ein neutraler Name die Geschichte ausklammern, das aktive Erinnern vermeiden und einen Ursprung des Stiftungsvermögens verschleiern würde“.