Hamburg. Bertini-Preis, der „Oscar in Sachen Mut und Menschlichkeit“, zum 25. Mal verliehen. Preisträger stellen konkrete Forderungen.

Politisch wird es schnell bei der Verleihung des Bertini-Preises, geht es bei dieser Auszeichnung doch um Zivilcourage, das Eintreten gegen Unrecht, für ein gleichberechtigtes Miteinander und die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes. Aus gutem Grund wird der Preis – in diesem Jahr bereits zum 25. Mal – stets am 27. Januar verliehen, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Am Freitag wurden bei der Feier zur Verleihung im Ernst Deutsch Theater aber gleich zwei aktuelle politische Forderungen erhoben, und beide richteten sich an Schulsenator Ties Rabe (SPD), der auch ein Grußwort hielt.

Eine der Preisträgerinnen, die Altonaer Schülerin Katharina Taschinski, war der Frage nachgegangen, wie es sein konnte, dass auf dem Boden des früheren Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme erst im Jahr 2005 eine Gedenkstätte errichtet wurde, und warum Hamburgs Politik sich auch noch lange nach Kriegsende dagegen gewehrt hatte; ja, auf dem historischen Gelände zunächst eine Justizvollzugsanstalt errichtet worden war.

„Besuch im KZ Neuengamme sollte Pflicht für Schüler sein“

„Es wäre für jede Schulklasse wichtig, die Gedenkstätte zu besuchen, das sollte zur Pflicht an Hamburgs Schulen werden“, forderte sie. Die Moderatorin der Verleihung, Julia-Niharika Sen, gab die Frage gleich weiter an den Schulsenator. Der zeigte viel Sympathie für den Vorschlag.

Die Betreiber der Gedenkstätte hätten einem entsprechenden Vorstoß seinerseits aber viel Skepsis entgegengebracht. „Sie wollten keinen Zwang, nicht zwangsbeglückte Schülerinnen und Schüler durch die Ausstellung führen“, so Rabe. Er wolle das Thema aber noch einmal mitnehmen.

Bergedorfer Preisträger fordern geschlechtsneutrale Toiletten

Die zweite konkrete Forderung kam von Bergedorfer Stadtteilschülern, die sich unter dem Motto „Support your local queers“ für Vielfalt und gegen Diskriminierung einsetzen. Sie wandten sich an Rabe mit dem Wunsch, an jeder Schule zumindest eine Toilette einzurichten für all jene, die sich nicht klar als Frau oder Mann einordnen.

43 Jugendliche wurden am Freitag geehrt -- in den vergangenen 25 Jahren erhielten mehr als 2000 Jugendliche die Auszeichnung. „Ihr hinterlasst Spuren, ihr reißt Mauern ein, ihr baut Brücken in die Gegenwart – für eine gemeinsame Zukunft unserer Stadt“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz rufe immer wieder ins Gedächtnis, zu welcher Grausamkeit Menschen in der Lage sein könnten. Eine Lehre daraus sei: „Man muss Hass, Hetze und Rassismus sofort entgegentreten, wenn man auf ihn trifft, damit aus einem Schneeball keine Lawine wird“, so die SPD-Politikerin.

Ralph Giordano beschrieb in „Die Bertinis“ Schicksal seiner Familie

Der Name des Preises geht zurück auf den Roman „Die Bertinis“, in dem der Hamburger Schriftsteller Ralph Giordano das Schicksal seiner Familie während der Verfolgung in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur schildert. „Seine Haltung war für uns Orientierung“, sagte Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und Vorsitzende des Bertini-Preis e.V.

Es gebe ihm die Zuversicht, dass der Bertini-Preis seine Botschaft „Lasst euch nicht einschüchtern“ weiter verkünden werde, „auch wenn sein Ehrenvorsitzender nicht mehr da ist“, hatte Giordano einst gesagt. Das Engagement der Schülerinnen und Schüler, das durch den Preis beflügelt und ausgezeichnet wird, habe sein „Leben vergoldet“, zitierte Isabella Vértes-Schütter den Schriftsteller.

Lesung im Ernst Deutsch Theater zu Ralph Giordanos 100. Geburtstag

Giordano, der 2014 starb, wäre am 20. März 100 Jahre alt geworden – an diesem Tag gibt es im Ernst Deutsch Theater eine Lesung aus seinen Werken. Der mit insgesamt 10.000 Euro dotierte Bertini-Preis sei so etwas „wie der Oscar in Sachen Mut und Menschlichkeit, für eine kreative Erinnerungskultur und Zivilcourage“, sagte Moderatorin Julia-Niharika Sen.

Ausgrenzung beginne oftmals schon auf dem Schulhof, bei der Beteiligung an digitalen Shitstorms oder dem Mobbing von Klassenkameraden, mahnte Schulsenator Rabe. Es gehe darum, für das Richtige einzustehen und nicht wegzuschauen – auch und gerade, wenn es unbequem sei. Rabe richtete sich an die Preisträgerinnen und Preisträger: „Mit euren Projekten zeigt ihr uns, dass sich in unserer Stadt viele junge Menschen für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen und Haltung zeigen. Euer Einsatz macht einen Unterschied.“ Diese vier Projekte wurden ausgezeichnet:

Gretchen Wohlwill – Bilder der Erinnerung

19 Schülerinnen und Schüler des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums in Eimsbüttel erarbeiteten eine Theatrale Performance, in der sie sich auf zwei Gemälde der jüdischen Künstlerin Gretchen Wohlwill beziehen. Die Hamburger Malerin war als Kunstlehrerin in der früheren Mädchenschule angestellt und hatte die großflächigen Wandgemälde im Treppenhaus 1930 angefertigt. Sie zeigen junge Frauen, die sich zum einen der Natur widmen, zum anderen der Musik und der Literatur. Die Motive standen für die Förderung der Mädchenbildung. Doch 1933, als die Nazis die Macht ergriffen, wurde die jüdische Lehrerin entlassen, ihre beiden Bilder im Treppenaufgang der Schule übermalt.

Schüler des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums bei ihrer Performance „Gretchen. Bilder der Erinnerung“.
Schüler des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums bei ihrer Performance „Gretchen. Bilder der Erinnerung“. © Jonas Walzberg/Bertini

Die Schülerinnen und Schüler des Theaterprofilkurses befassten sich anlässlich des Jubiläums des Gymnasiums – es besteht seit 125 Jahren – mit diesem dunklen Kapitel ihrer Schulgeschichte. „Dass die Bilder übermalt wurden, nur weil ihre Schöpferin eine Jüdin war, hat uns am meisten berührt“, sagt Filippo Pratesi (17). Die Schüler verfassten eigene Texte, in denen sie die Perspektive der Bilder einnahmen und in poetischen Worten beschrieben, was mit ihnen geschah. Daraus entwickelten sie mit chorischen Elementen, Musik und Videoprojektionen eine rund achtminütige eindrucksvolle Thea­trale Performance. Titel: „Gretchen. Bilder der Erinnerung“.

„Die Gemälde, an denen wir als Schüler unzählige Male vorbeigelaufen sind, ohne sie zu beachten und über die wir jetzt mehr wissen, haben für uns einen neuen Stellenwert gewonnen“, sagt Chelina Kegel (17). Sie erinnerten daran, dass der Antisemitismus kein fernes Thema sei, sondern auch an dieser Schule geschah. Zugleich seien sie eine Mahnung, aus der Vergangenheit zu lernen, um auch aktuelle Diskriminierung zu erkennen und sich gegen sie zu stellen. „Dies wollten wir mit unserer Performance auch anderen Jugendlichen vermitteln“, sagt Chelina.

Rundgänge mit Licht-Installationen erinnern an Nazi-Verbrechen

Im November 2021 luden 16 Jugendliche der Theater AG des Helmut-Schmidt-Gymnasiums mit weiteren engagierten Jugendgruppen in dem Projekt „Faces and Voices for the Names“ zu Gedenkrundgängen in St. Georg ein. Auf dem ersten dieser multimedialen Performances machten die Schüler an verschiedenen Stationen einstiges jüdisches Leben in Hamburg und seine allmähliche Verdrängung durch die Verbrechen der Nationalsozialisten sichtbar. Mit Lichtprojektionen an Hauswänden und szenischen Darstellungen, mit Gedichten, Monologen und Musik wurde etwa an die Schicksale der von den Nazis ermordeten Kinder vom Bullenhuser Damm erinnert, an die Ermordung des Rabbis Joseph Carlebach sowie die Zerstörung der Bornplatzsynagoge. An der Langen Reihe verlasen die Jugendlichen Namen von deportierten Anwohnern und beleuchteten mit Projektionen ihre früheren Wohnorte.

Schüler des Helmut-Schmidt-Gymnasiums erinnern an die Verbrechen der Nazis.
Schüler des Helmut-Schmidt-Gymnasiums erinnern an die Verbrechen der Nazis. © Jonas Walzberg/Bertini

Während des Rundgangs, bei dem sich immer mehr Passanten anschlossen, bezogen die jungen Akteure auch die aktuellen Probleme der Gegenwart mit ein und thematisierten auch die rechtsextremistischen Anschläge in Halle und Hanau.

In einer zweiten Gedenkperformance wurde in Kooperation mit dem Gymnasium Klosterschule auch auf die Biografien weiterer Verfolgter wie Sinti und Roma und Menschen dunkler Hautfarbe eingegangen. Eine dritte Performance-Aktion erinnerte an die Opfer der Reichspo­gromnacht von 1938 in Wilhelmsburg. „Mit unseren Aktionen wollen wir die Empathie der Menschen wecken und sie zu eigenem Engagement ermuntern“, sagt Schülerin Yasemin Rahimi. „Rassismus und Diskriminierung sind keine einmalige Sache, sondern auch in der Gegenwart ein Problem“, so Schüler Emirhan Hosgör. Deshalb sei es wichtig, die Geschichte mit solchen Aktionen lebendig werden zu lassen, sich zu vernetzen und die Erinnerungsarbeit weiter zu führen. „Jeder kann sich engagieren, denn das ist eine Sache, die uns alle betrifft.“

„Die aufgebrochene Mauer“ am KZ Neuengamme

Die Schülerin Katharina Taschinski vom Gymnasium Altona beschäftigte sich in ihren Profilfächern Geschichte und Kunst mit der Gedenkkultur des ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme. Von 1938 bis 1945 waren in dem KZ mehr als 100.000 Menschen unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und zur Zwangsarbeit verpflichtet. 50.000 Häftlinge starben aufgrund der Haftbedingungen oder wurden ermordet. Nach Kriegsende betrieb die Stadt Hamburg auf dem Gelände zwei Gefängnisse.

„Es war schockierend, dass an diesem Ort der massenhaften NS-Verbrechen keine Aufarbeitung geschah“, sagt Katharina Taschinski. Dabei hatten sich Überlebende und Angehörige von KZ Opfern beharrlich um eine würdige Gedenkstätte bemüht. Erst 2005, also 60 Jahre nach der Räumung des Konzen­trationslagers Neuengamme, wurde die heutige Gedenkstätte eröffnet.

Katharina Taschinski vom Gymnasium Altona mit dem Entwurf eines Mahnmals für das KZ Neuengamme
Katharina Taschinski vom Gymnasium Altona mit dem Entwurf eines Mahnmals für das KZ Neuengamme © Jonas Walzberg/Bertini

Die Schülerin begann zu der Frage zu recherchieren, inwiefern die Stadt Hamburg die Entwicklung einer Gedenkstätte des KZ Neuengamme befördert oder behindert hat. Sie sammelte Fakten, führte ein Interview mit Bernhard Esser, dem Sohn eines KZ-Überlebenden und kam zu dem erschütternden Ergebnis, dass der Bau eines Gedenkortes „vier Jahrzehnte lang von der Hansestadt massiv behindert worden war“, so die Preisträgerin.

Auf Basis ihres Ergebnisses konzipierte die Schülerin ein Mahnmal mit dem Titel „Die aufgebrochene Mauer“. Ihr Model zeigt eine Mauer mit aufgerissenen Löchern, durch die blaue, mit Namen bedruckte Folien scheinen. Es sind Namen aus den Totenbüchern des Lagers. „Dank des Engagements der Überlebenden und Angehörigen für die Gedenkarbeit wurden Löcher in eine Mauer des Schweigens gerissen“, sagt Katharina Taschinski. Sie verbindet mit ihrem Mahnmal auch einen Auftrag für die Nachgeborenen, „das Geschehene nicht zu vergessen“, sagt die Altonaer Schülerin.

In der Stadtteilschule Bergedorf setzt sich die GaySB, eine AG mit queeren Jugendlichen und Lehrkräften, für mehr Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität ein. Weil sie selbst oft mit Unverständnis oder Diskriminierung konfrontiert sind, organisieren die Jugendlichen immer wieder verschiedene Aktionen, um zu zeigen, dass es sie gibt und dass sie bereit sind, andere an ihrer Schule über queere Themen zu informieren.

„Wir wollen Vorurteile abbauen und ein tolerantes Miteinander fördern“, sagt Samira Schön (17). Um ihr Anliegen auf den Punkt zu bringen, hat die AG nun ein ansprechendes und für Jugendliche gut verständliches Video gedreht. In dem etwa dreiminütigen Clip mit dem Titel „Support your local Queers“, wirbt sie um Unterstützung und Offenheit gegenüber queeren Menschen.

Zu sehen ist ein heterosexueller Schüler, der mit der Gruppe ins Gespräch kommt. Er erfährt, dass sich die Jugendlichen für genderneutrale Sprache einsetzen oder für eine geschlechterneutrale Unisex-Toilette an der Schule. Er ist willkommen mit seinen Fragen und interessiert sich auch für die Regenbogenflagge. „Sie ist das Symbol der queeren Community, aber sie steht auch für Akzeptanz unter allen Menschen“, sagt Hana Majid (13).

Ihr Video präsentierte die Gruppe im Mai 2022 an ihrer Schule. Dazu hatte sie eigens einen „Diversity Day“, einen Tag der Vielfalt für die neunten Jahrgänge organisiert. „Manchmal ist es schwer, andere Schüler für unser Thema zu interessieren, auch weil manchen Jugendlichen das Thema unangenehm ist, aber an diesem Tag kamen der Film und unser Anliegen gut an“, sagt Samira Schön. Das ermutigt die Gruppe, die nicht immer auf Zustimmung stößt, sich weiter zu engagieren für eine offene Gesellschaft und gegen Ausgrenzung.

„Support your local queers“– für ein tolerantes Miteinander

In der Stadtteilschule Bergedorf setzt sich die GaySB, eine AG mit queeren Jugendlichen und Lehrkräften, für mehr Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität ein. Weil sie selbst oft mit Unverständnis oder Diskriminierung konfrontiert sind, organisieren die Jugendlichen immer wieder verschiedene Aktionen, um zu zeigen, dass es sie gibt und dass sie bereit sind, andere an ihrer Schule über queere Themen zu informieren.

„Wir wollen Vorurteile abbauen und ein tolerantes Miteinander fördern“, sagt Samira Schön (17). Um ihr Anliegen auf den Punkt zu bringen, hat die AG nun ein ansprechendes und für Jugendliche gut verständliches Video gedreht. In dem etwa dreiminütigen Clip mit dem Titel „Support your local Queers“, wirbt sie um Unterstützung und Offenheit gegenüber queeren Menschen.

In der Stadtteilschule Bergedorf setzt sich eine AG mit queeren Jugendlichen und Lehrkräften, für mehr Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität ein.
In der Stadtteilschule Bergedorf setzt sich eine AG mit queeren Jugendlichen und Lehrkräften, für mehr Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität ein. © Jonas Walzberg/Bertini

Zu sehen ist ein heterosexueller Schüler, der mit der Gruppe ins Gespräch kommt. Er erfährt, dass sich die Jugendlichen für genderneutrale Sprache einsetzen oder für eine geschlechterneutrale Unisex-Toilette an der Schule. Er ist willkommen mit seinen Fragen und interessiert sich auch für die Regenbogenflagge. „Sie ist das Symbol der queeren Community, aber sie steht auch für Akzeptanz unter allen Menschen“, sagt Hana Majid (13).

Ihr Video präsentierte die Gruppe im Mai 2022 an ihrer Schule. Dazu hatte sie eigens einen „Diversity Day“, einen Tag der Vielfalt für die neunten Jahrgänge organisiert. „Manchmal ist es schwer, andere Schüler für unser Thema zu interessieren, auch weil manchen Jugendlichen das Thema unangenehm ist, aber an diesem Tag kamen der Film und unser Anliegen gut an“, sagt Samira Schön. Das ermutigt die Gruppe, die nicht immer auf Zustimmung stößt, sich weiter zu engagieren für eine offene Gesellschaft und gegen Ausgrenzung