Hamburg. Ein Faschingshandel in Altona verrät, wie närrisch die Hamburger wirklich sind und welches Dress auf den Umzügen der Renner wird.

Im Mercado Einkaufzentrum in Altona geht's knallbunt zu: Denn dort versucht ein Faschingshandel, den Hamburgern Narrengeist einzuhauchen. Deiters, so heißt das Geschäft, ist eine deutschlandweite Kostüm- und Karnevalskette. Wie Mitarbeiter des Ladens berichten, legen die Hamburger weitaus weniger Karnevalsmuffeligkeit an den Tag, als gemeinhin behauptet wird. Jetzt, zur fünften Jahreszeit, gehe ordentlich Ware über die Ladentheke.

Nun gut, der ein oder andere karnevalsunbedarfte Hamburger fühle sich noch etwas überrollt von der Masse an kostümierten Schaufensterpuppen und bunten Accessoires, die im Einkaufszentrum Mercado in Ottensen seit September die Blicke auf sich ziehen. „Für Leute, die das nicht kennen, wirkt der Laden vielleicht ein bisschen erschlagend“, sagt Annika Schulze-Ringebrauck. Sie ist eine von sechs Mitarbeitern, die in Altona werdende Cowboys ebenso gern wie Möchtegern-Superhelden beraten und ihnen Plastikrevolver oder wehende Capes verkaufen.

Deiters-Filialleiterin: „Fasching ist ein großes Thema in Hamburg“

Schulze-Ringebrauck wohnt seit knapp 13 Jahren in Hamburg und kommt gebürtig aus – Trommelwirbel – der Nähe von Köln. „Ich kenne Deiters schon, seitdem ich ein kleines Kind war“, sagt die Filialleiterin. Als sie, da sie eh gerade auf Jobsuche war, die Stellenanzeige des Kostümgeschäfts entdeckte, musste sie sich quasi bewerben. Ihr Job bei Deiters „ist das Stück Heimat, was ich mir zurückhole“, so Schulze-Ringebrauck, die „in den Karneval hineingeboren und mit ihm aufgewachsen“ ist.

Da ist sie übrigens nicht die einzige. Zugezogene, die Hamburg bisher womöglich nicht für närrisch genug hielten, werden von Deiters offenbar wie magisch angezogen: „Wenn man hier arbeitet, merkt man auch erstmal, wie viele Rheinländer es eigentlich in Hamburg gibt“, sagt Schulze-Ringebrauck. Einer der Standardsätze, den sie immer wieder zu hören bekommt, sei: „Deiters hat in Hamburg total gefehlt!“

Knallbunte Kleider und witzige Accessoires: Bei Deiters in Altona werden Wildwest-Fans ebenso fündig wie kleine Prinzessinnen.
Knallbunte Kleider und witzige Accessoires: Bei Deiters in Altona werden Wildwest-Fans ebenso fündig wie kleine Prinzessinnen. © Anika Würz

Von dem Vorurteil, dass der Norden Deutschlands mit Fasching und Co. nichts anfangen könne, hält die Filialleiterin aber nichts: „Es ist fast erschreckend, was für ein großes Thema das in Hamburg ist.“ Die menschenvollen aber von Kostümen teils schon leergefegten Gänge zeugen davon.

Fasching: Hamburger gehen lieber als Astronauten denn als Seeleute

Ob Steinzeitmensch oder Steampunk – Deiters habe beinahe jedes nur erdenkliche Kostüm im Angebot. Als Kassenschlager habe Schulze-Ringebrauck bislang unter anderem Astronauten-Overalls und Flieger-Jumpsuits ausgemacht. Die Hamburger wollen augenscheinlich hoch hinaus.

Dabei wäre doch zu erwarten, dass sich beispielsweise Kapitänsmützen und Matrosentücher in der Hansestadt besonders gut verkaufen, oder? Im Gegenteil, meint Deiters-Geschäftsführer Herbert Geiss: „In Hamburg gibt es ja ganz viele Seeleute. Unsere Aufgabe ist es, sie als etwas anderes zu verkleiden.“

Deiters hatte schon mal einen Pop-Up-Laden in Hamburg

Insgesamt 30 Filialen führt Geiss, Inhaber in vierter Generation, derzeit. Den Familienbetrieb hat er mit nur 20 Jahren übernommen. Das Herzstück des Unternehmens bilde sein Frechener Geschäft als größtes Karnevalskaufhaus der Welt. An einem Sonnabend im Februar würden sich gut und gerne 40.000 Kunden zwischen Augenklappen und Arztkitteln durch die Gänge stöbern.

Die Rheinländer seien in puncto Kostümkauf übrigens etwas früher dran als die Hamburger, beobachtet Filialleiterin Schulze-Ringebrauck. Während die „echten Jecken“ ihre Kostümkäufe vielfach schon mit dem Beginn der fünften Jahreszeit im November angehen würden und spätestens seit Jahresanfang Hochbetrieb bei den Faschingsausstattern herrsche, kümmerten sich die meisten Hamburger erst seit Kurzem um ihr diesjähriges Karnevalsdress. Schulze-Ringebrauck selbst weiß übrigens schon ganz genau, wo und wie sie den Rosenmontag verbringt: als Minimaus in Köln.

Mit der Hamburger Filiale hat Deiters sich übrigens weniger einen Standort neuerobert, als einen zurückgewonnen. Schon von Oktober 2015 bis März 2016 – also eine ganze fünfte Jahreszeit lang – residierte das Unternehmen in der Stadt, damals am Neuen Wall. „Das war eine Interims-Pop-Up-Lösung“, sagt Geiss und sei demnach von Anfang an nicht als dauerhaftes Ladengeschäft geplant gewesen. Der „Testballon“ flog aber offenbar erfolgreich genug, um den Schritt in das Altonaer Einkaufszentrum Mercado zu wagen.

80er, 90er und das beste aus Funk und Fernsehen: die Faschingstrends der Saison

Als „ausbaufähig“ beschreibt der Inhaber seinen bisherigen Verkaufserfolg in der Hansestadt, doch ist er zuversichtlich. Schließlich habe es bisher keine vergleichbaren Angebote in Hamburg gegeben, da bedürfe es für gewöhnlich etwas „Aufbauzeit“. Zumal die Hamburger, wenn sie auch kein Narrenvolk im rheinischen Ausmaß mehr würden, sich zum Schlagermove oder zum wachsenden Halloweengeschäft mit Partyaccessoires und Kostümen eindecken dürften.

Deiters, der Kostüm- und Karnevalshändler im Mercado Einkaufszentrum in Hamburg Altona, wartet mit bunten Verkleidungen und Accessoires auf.
Deiters, der Kostüm- und Karnevalshändler im Mercado Einkaufszentrum in Hamburg Altona, wartet mit bunten Verkleidungen und Accessoires auf. © Anika Würz

Als Trend der Saison identifiziert Geiss „alles mit Herz und rund um den Amor. Die Leute werden sich hoffentlich alle stark verlieben“, sagt er. Ansonsten würden sich 80er- und 90er-Looks gut verkaufen. Stichworte: Schweißband, Trainingsanzug, Neonfarben.

„Wir holen unsere Trends aber auch aus Funk und Fernsehen und Streamingdiensten. Einen großen Run gab es damals zum Beispiel auf ,Haus des Geldes’-Kostüme“, so Deiss. Aktuell seien dem Kinofilm „Avatar“ nachempfundene Verkleidungen ein Renner, aber relativ aufwendig umzusetzen. Schlichtere Outfits würden sich unter anderem an „Wednesday“, einer neuen Serie die in der Welt der „Addams Family“ spielt, orientieren.

Ist eine Kostümierung als „Indianer“ noch zeitgemäß?

Es kann sich aber auch lohnen, auf eine Dauerbrennerkostümierung zu setzen, statt nur kurzfristigen Trends nachzulaufen. Die taugt dann auch im nächsten Jahr. „Ein Pirat ist ein ganz starkes Kostüm, ein Evergreen“, sagt Geiss, „und bei Herren geht das das Thema Uniform immer – ob Flugbegleiter oder Kapitän.“

Übrigens bleibt Geiss zufolge auch die Kostümierung als „Indianer“ ein gern gekaufter Klassiker – trotz aller Diskussionen, die es um Karl Mays Winnetou und die generelle Darstellung Indigener zuletzt gab. Darüber, die Fake-Kriegsbeile zu begraben und den Federschmuck aus den Regalen zu nehmen, denke er nicht nach.

Fasching in Hamburg: „Die meisten sehen den Indianer als Helden"

„Die meisten sehen den Indianer als Helden. Sie verkleiden sich nicht, um Menschen zu diskriminieren“, begründet Geiss. Für ihn hingegen ein absolutes No-Go seien Kostüme politischer Ausrichtung – egal ob rechter oder linker: „So etwas werden Sie bei uns nicht finden.“ Sowieso sei der Fasching keine politische Veranstaltung. Vielmehr mache es die Festivität aus, in andere Rollen schlüpfen zu dürfen: „Wer jetzt Polizist war, der wird im nächsten Jahr Schotte – das ist doch das Schöne an Karneval!“, so Geiss.

Für den Deiters-Inhaber hat sich die diesjährige „K-Frage“ übrigens noch nicht beantwortet. Bei einem neuerlichen Fernsehauftritt sei er als weißes Kaninchen aus „Alice im Wunderland“ kostümiert gewesen, doch in welche Rolle er am Rosenmontag schlüpft, stehe noch nicht fest. Die Auswahl ist für ihn wohl groß genug.