Karlsruhe/Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Regelung zum Einsatz einer neuen Datenanalyse für nichtig. Die Reaktionen.

Die Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das gab das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag bekannt. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Gerichtspräsident Stephan Harbarth, bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe (Az. 1 BvR 1547/19 u.a.).

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Mit der neuen Analyse-Software für riesige Datenmengen will die Polizei potenziellen Straftätern schneller auf die Spur kommen. Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden.

Bundesverfassungsgericht: Regelung zum Einsatz neuer Polizei-Software nichtig

In Hessen, wo die Polizei schon seit 2017 mit der Software arbeitet, bekommt der Gesetzgeber bis spätestens Ende September Zeit, die problematische Vorschrift neu zu regeln. Bis dahin bleibt sie mit deutlichen Einschränkungen in Kraft. In Hamburg wird die Technik noch nicht genutzt, hier erklärte das Gericht den Passus für nichtig.

Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls bereits ein. Bayern arbeitet gerade an der Einführung – als Vorreiter für andere Länder und den Bund. Der Freistaat hat mit dem US-Unternehmen Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen, damit alle anderen Polizeien dessen Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können.

Datenschützer kritisieren neue Polizei-Software

In Hessen werden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen ausgewertet. In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst – oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hatte, hält das für hochproblematisch. Das Programm mache auch vor unbescholtenen Menschen nicht halt. Außerdem sei die Verlockung groß, mit der Zeit auch externe Daten einzuspeisen – etwa aus sozialen Netzwerken.

Eingesetzt wird Hessendata – so der Name des Programms – insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. Bei rund 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System. Sie sind jeweils nur für ihren Zuständigkeitsbereich freigeschaltet.

Hamburgs Linksfraktion fordert Novelle des Polizeigesetzes

Das Urteil betrifft ausschließlich die Datenanalyse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Als Kläger waren Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten aufgetreten. Die GFF hatte im Herbst noch eine dritte Verfassungsbeschwerde wegen der NRW-Software eingereicht. Diese war in dem Verfahren aber nicht mehr berücksichtigt worden.

Die Linke fordert als Konsequenz aus dem Gerichtsurteil eine grundlegende Novelle des Hamburgischen Polizeigesetzes. „Nun müssen alle Regelungen auf den Prüfstand. Hamburg braucht ein freiheitlich orientiertes und grundrechtsfreundliches Polizeigesetz. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollte daher Anlass für eine grundlegende Evaluation und eine Überwindung des repressiven Polizeirechts in Hamburg sein“, sagte der innenpolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion, Deniz Celik.

Die FDP warf dem Senat vor, bei der Verbrechensbekämpfung „noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen“ zu sein. „Senator Grote braucht dringend eine Digitalstrategie bei der Kriminalitätsbekämpfung. Dazu gehört auf der einen Seite eine zeitgemäße Ausstattung der Polizei und auf der anderen ein sorgfältiger Umgang mit den Daten der Bürger“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Moring.

Gewerkschaft fordert datenschutzkonformes Polizeigesetz

Die Gewerkschaft der Polizei betonte, dass angesichts der Fülle an Daten eine automatisierte Auswertung unverzichtbar sei. Es sei utopisch zu glauben, Ermittlerinnen und Ermittler könnten für die Aufklärung schwerer Verbrechen relevante Zusammenhänge aus einem Wust an Informationen händisch herausdestillieren.

„Eine moderne Ausstattung, zu der auch datenschutzkompatible Software gehört, mit der effizient Massendaten ausgewertet werden können, ist heutzutage ein polizeiliches Muss“, sagte der Hamburger GdP-Landesbezirksvorsitzende Horst Niens.

Dies sei auch praktizierter Opferschutz. Gerade bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder müssten erfahrungsgemäß Unmengen an Daten ausgewertet werden.

Hamburgs Datenschutzbeauftragter begrüßt Urteil

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Thomas Fuchs, der als Sachkundiger bei der Verhandlung in Karlsruhe aufgetreten war, sieht den Datenschutz durch das Urteil gestärkt: „Das Gericht ist im Wesentlichen unserer Argumentation gefolgt, dass die durch neue Datenauswertungstechnologien möglichen schweren Grundrechtseingriffe nur aufgrund eindeutiger rechtlicher Grundlagen erfolgen können. Dies war durch das sehr unbestimmte Hamburgische Gesetz nicht gegeben.“

Nun sei die Bürgerschaft aufgefordert, den Einsatz automatisierter Systeme neu zu regeln. Fuchs: „Bei der Gelegenheit sollten auch andere polizeiliche Eingriffsnormen nachgeschärft und mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang gebracht werden“.