Hamburg. Deutschland will Energiewende beschleunigen. Hamburg muss 0,5 Prozent Fläche für Windräder nutzen. Die Antworten auf wichtige Fragen.

Seit 2016 wurden in Hamburg keine neuen Windräder genehmigt – allen Reden von der Energiewende zum Trotz. Forciert durch den Ukrainekrieg will Deutschland die Energiewende nun massiv beschleunigen. Bis 2035 soll Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen künftig zwei Prozent der Landesfläche für Windenergieanlagen genutzt werden – in Stadtstaaten wie Hamburg immerhin noch 0,5 Prozent. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, denn die Flächen in Städten sind knapp.

Bisher werden in Hamburg 0,24 Prozent der Fläche für Windenergie genutzt – und dabei werden schon alte Anlagen einberechnet, die genau genommen gar nicht mehr mitzählen dürften. Nun hat Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) das Thema zur Chefsache erklärt und angekündigt, die Zahl der Anlagen in Hamburg verdoppeln zu wollen.

Energiewende: Tschentscher für Windkraft in Naturschutzgebieten

Sein Vorschlag, Windräder notfalls auch in Naturschutzgebieten aufzustellen, sorgte für hitzige Diskussionen. Wie aber steht Hamburg eigentlich da beim Thema Windkraft? Wo gibt es bisher Anlagen und wo könnten neue entstehen? Und was ist dabei zu beachten? Das Abendblatt gibt Antworten auf wichtige Fragen zum Thema.

Wie viele Windenergieanlagen gibt es derzeit in Hamburg und wo stehen sie?

Bisher gibt es in Hamburg 67 Windkraftanlagen, die in den Bezirken Bergedorf und Harburg und im Hafen stehen. Mit 14 Anlagen stehen die meisten Windräder bereits heute im Hafengebiet. Dort läuft laut Umweltbehörde derzeit ein Genehmigungsverfahren für eine weitere Anlage. 13 Windenergieanlagen gibt es in Francop, zehn in Altengamme, neun in Neuengamme, sieben in Ochsenwerder, fünf in Curslack, vier in Neuland, drei in Georgswerder und zwei in Neuenfelde.

Wie viel Strom erzeugen diese Anlagen?

Nach Angaben des Hamburger Landesverbandes des Bundesverbands Windenergie (BWE) produzierten die 67 Hamburger Windräder zuletzt 309 Millionen Kilowattstunden im Jahr. Das entspreche bisher gerade einmal etwa 2,5 Prozent des gesamten Hamburger Stromverbrauchs.

Mehr Windkraft durch mehr Windräder

Kann die Erzeugung schnell gesteigert werden, und wie könnte dies geschehen?

Um die Stromproduktion aus Windenergie zu erhöhen, gibt es zwei Wege: Zum einen können neue Anlagen an neuen Standorten gebaut werden. Zum anderen kann eine deutliche Steigerung der Erzeugung auch durch das sogenannte „Repowering“ erreicht werden. Dabei werden bestehende Anlagen an ihren Standorten durch modernere ersetzt. Neuere Anlagen sind dabei in der Regel deutlich höher, bis zu 250 Meter hoch, und laufen langsamer. Sie arbeiten weitaus effizienter und können deutlich mehr Strom erzeugen.

Allerdings gilt in Hamburg laut dem 2013 geänderten Flächennutzungsplan in den Außengebieten (bis auf Curslack und Hafen) eine Höhenbegrenzung von 150 Metern – auch als Reaktion auf einen Bürgerentscheid in Bergedorf. Wie schnell die Erzeugung gesteigert werden kann, hängt also auch von der Änderung des Flächennutzungsplans ab. Laut Jens Heidorn vom BWE ist eine Verdopplung der Stromproduktion aus Wind von zuletzt 309 auf rund 600 Millionen Kilowattstunden in Hamburg möglich. Die eine Hälfte des Zuwachses würde danach aus dem Repowering bestehender Anlagen kommen, die andere Hälfte aus dem Bau neuer Anlagen an neuen Standorten.

Welche Gebiete kommen für neue Windkraftanlagen infrage?

Am unkompliziertesten ist der Ausbau im Hafen, da hier keine Anwohnerinteressen zu berücksichtigen sind, die Flächen der Stadt gehören und im Industriegebiet der Flächennutzungsplan keine Begrenzungen vorgibt. Auch der Bürgermeister hatte einen massiven Ausbau der Windenergieanlagen im Hafen und im Hafenerweiterungsgebiet angeregt.

Allerdings sind auch hier Naturschutzfragen zu beachten – etwa der Schutz des Seeadlers. Dass es auch im Hafen mit Genehmigungen nicht sonderlich schnell geht, zeigt das laufende Genehmigungsverfahren für eine neue Anlage. Aus Sicht der Windkraftlobby gibt es in der Umweltbehörde zu wenig Personal für die Genehmigungsverfahren.

Naturschutzgebiete nur als letzte Möglichkeit

Neben Hafen und Hafenerweiterungsgebiet kommen auch freie und noch nicht verplante Grün- oder Agrarflächen (im Baurecht: „Außenbereich“) für den Anlagenbau infrage – und wohl auch die Landschaftsschutzgebiete. Dort soll der Windradbau laut Bundesregierung erleichtert werden – dem stimmen auch die Grünen zu. Die besser geschützten Naturschutzgebiete dagegen könnten laut Umweltbehörde nach Rechtslage nur genutzt werden, wenn zuvor festgestellt würde, „dass die 93,7 Prozent der deutschen Fläche, die nicht Naturschutzgebiet sind, sich nicht für Windkraftflächen eignen“.

Für den BWE-Vize Heidorn kommt der Bau von Windrädern in Naturschutzgebieten nicht infrage. „Wir haben der Umweltbehörde ein Konzept vorgelegt, wie wir die Produktion verdoppeln können, ohne in Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebieten zu bauen“, so Heidorn.

Welche Regularien gibt es bisher für die Aufstellung von Windkraftanlagen?

Für die Aufstellung von Windrädern gelten zahlreiche Vorgaben mit unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen. Diese betreffen Abstände zu Wohnbebauung, Lärm, Schattenschlag oder Artenschutz. Der 2013 geänderte Flächennutzungsplan sieht Mindestabstände von 500 Metern zu Siedlungsgebieten vor, 300 Metern zu Einzelhäusern oder „Siedlungssplittern“ und ebenfalls zu Kleingärten. Auch für die Abstände zu Naturschutz- oder Vogelschutzgebieten, zu Autobahnen oder anderen Straßen gibt es Regularien.

Vorgaben gibt es auch zur maximalen Lärmbelastung oder zum Schattenschlag – für den Fall, dass das Windrad beim Rotieren immer wieder Schatten auf ein Wohngebäude wirft, sodass der Eindruck eines langsamen Flackerns entstehen kann. Hier gebe es klare Vorgaben des Gesetzgebers, so Jens Heidorn vom BWE. Danach dürfe es einen solchen Schattenschlag auf Wohngebiete maximal 30 Minuten am Tag und in der Summe nicht mehr als acht Stunden im Jahr geben. Um das zu erreichen, werde das Windrad bei Schatten erzeugenden Sonnenstand ggfs. abgeschaltet. Auch zum Schutz von Tieren, etwa Fledermäusen, gebe es Abschalteinrichtungen. Sie sorgen laut Heidorn dafür, dass Anlagen in den Zeiten, in denen diese Tiere fliegen, nicht laufen.

Auch interessant

Auch interessant

Auch interessant

Müssten für den Ausbau der Windenergie in Hamburg Regeln geändert werden?

Der Flächennutzungsplan müsste vermutlich so geändert werden, dass zum einen neue Eignungsgebiete für Windräder ausgewiesen werden. Aus Sicht der Betreiber müsste auch die in Hamburg festgesetzte Höhenbegrenzung der Anlagen fallen.

Welches sind die wesentlichen Streitpunkte und Konflikte beim Ausbau der Windenergieerzeugung in Hamburg?

Schon vor zehn Jahren hatte es in Bergedorf Proteste gegen den Bau von Windkraftanlagen gegeben, die letztlich zu einer Höhenbegrenzung führten. Wenn die Zahl der Anlagen in Hamburg verdoppelt wird und die Höhenbegrenzung fällt, dürfte dies erneut zu Protesten von betroffenen Anwohnern führen, wohl auch an anderen möglichen Standorten.


Konflikte gibt es auch mit Naturschützern. Die von Bürgermeister Tschentscher vorgeschlagene Bebauung von Naturschutzgebieten ist für sie ein Tabu, wie der Hamburger Vorsitzende des Naturschutzbundes Nabu, Malte Siegert, betont. Dem Ausbau der Windkraft im Wege stehe der Nabu aber nicht. „Natürlich eignen sich, trotz des nicht zu leugnenden negativen Einflusses auf Seeadler, Zugvögel oder Fledermäuse, zahlreiche Flächen vor allem im Hafen für zusätzliche Windenergieanlagen“, so Siegert. Ob und welche Standorte außerhalb von Naturschutzgebieten und Hafen infrage kämen, müsse im Einzelfall geprüft werden.

Ausbau von Windenergie: Klimaschutz und nationale Sicherheit

Auch der grüne Umweltsenator Jens Kerstan sagt: „Ich halte es nicht für notwendig, in Naturschutzgebieten Windkraftanlagen zu bauen.“ Man dürfe auch das Artensterben als große Krise nicht aus den Augen verlieren, so Kerstan. „Im Übrigen soll man es sich nicht schwerer machen, als man es sowieso schon hat.“

Wenn es nach Umweltsenator Jens Kerstan geht wird es keine Windkraftanlagen in Naturschutzgebieten geben.
Wenn es nach Umweltsenator Jens Kerstan geht wird es keine Windkraftanlagen in Naturschutzgebieten geben. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Klar sei, dass der Ausbau der Windenergie seit dem Ukrainekrieg nicht nur für den Klimaschutz, „sondern auch für die nationale Sicherheit und die Verteidigung der Demokratie“ elementar sei, so Kerstan. „Deswegen müssen alle ihren Beitrag leisten – auch wenn das für Hamburg als Stadtstaat besonders schwierig ist.“