Hamburg. Arkadiusz D. wollte dem 34-Jährigem angeblich einen „Denkzettel“ verpassen. Dass der überlebte, war reine Glückssache.
Wenn ein Prozess so etwas wie ein Spiegel des Elends auf Hamburgs Straßen ist, dann wohl dieser hier, Aktenzeichen 602 Ks 16/22. Angeklagt hat die Staatsanwaltschaft eine Gewalttat im Obdachlosenmilieu.
Das kommt so selten nicht vor, doch dieser Fall ist geprägt von einem erschütternden Maß an Kaltblütigkeit, Mitleidlosigkeit und „Menschenverachtung“, wie das Gericht feststellt. Kurz zusammengefasst geht die Geschichte so: Ein Obdachloser zündet einen anderen Obdachlosen an, während der schläft, und überlässt ihn dann seinem Schicksal. Was hat Arkadiusz D. bloß zu dieser Wahnsinnstat getrieben?
Prozess Hamburg: Warum zündete D. einen Obdachlosen an?
Dieser Frage ist das Landgericht in den vergangenen sechs Wochen nachgegangen, bei der Aufklärung hatte es mit einigen (milieubedingten) Tücken zu kämpfen, nicht ermittelbaren Zeugen etwa oder Zeugen, deren Angaben praktisch nicht verwertbar waren. Dazu gehörte auch die Aussage des alkoholkranken, angezündeten Opfers Christopher A. Ausgerechnet er sprang dem Angeklagten Mitte Dezember vor Gericht bei und adelte ihn trotz allem als „meinen Freund“. Tenor seiner Aussage: War doch gar nicht so schlimm.
Die Sympathiebekundungen und die moderaten Folgen für das Opfer bewahrten Arkadiusz D. indes nicht vor einer Gefängnisstrafe. Am Donnerstag verurteilte das Landgericht den 35 Jahre alten Polen unter anderem wegen heimtückischen Mordversuchs zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte achteinhalb gefordert.
Eine Perspektive für eine Entlassung des mehrfach vorbestraften Angeklagten aus der Haft sehe er bei guter Führung für Mitte 2025, sagt der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann – eine Perspektive für eine Zukunft in Deutschland hingegen nicht. „Er kann nicht in Deutschland bleiben, das liegt auf der Hand.“ Für Menschen wie Arkadiusz D. sei die „Idee der Freizügigkeit in Europa nicht gedacht“, sagt Steinmann. Auch eine Unterbringung in der Alkoholentzugsklinik komme nicht infrage.
Obdachlosen angezündet: „Er kann nicht in Deutschland bleiben"
Neben seinem ausländerrechtlichen Status sprächen seine mangelnden Sprachkenntnisse und seine „dissoziative Persönlichkeit“ dagegen, außerdem habe er zwei frühere Therapien abgebrochen und eine Unterbringung in Hamburg noch im Dezember abgelehnt. „Die knappen Ressourcen im Therapiebereich halten wir für die aussichtsreicheren Fälle vor“, so Steinmann.
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Arkadiusz D., ein Mann mit etwas aufgedunsenem, rundlichem Gesicht und kurzen Haaren, hatte bereits in Polen und England auf der Straße gelebt, bevor er 2016 in Deutschland Fuß fasste. Hier wie dort beging er eine Reihe von Straftaten, häufig im Milieu. Bereits im November 2020 ging er auf Christopher A. los. Damals brachte er ihn zu Boden und trat so heftig gegen seinen Kopf, dass der „hin- und herflog wie bei einer Puppe“, so Steinmann. Dafür wurde Arkadiusz D. zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Christopher A. hätte bei lebendigem Leibe verbrennen können
Am 13. Juni 2022 hat es der Angeklagte erneut auf ihn abgesehen. Christopher A. schläft am Abend vor einer Toilettenanlage im Bahnhof Altona seinen Rausch aus. Arkadiusz D., erheblich alkoholisiert, übergießt dort den Arm des 34-Jährigen mit einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel. Dann zündet er ihn an. Das alles filmt jemand mit dem Handy. Kaum fängt der Pullover Feuer, verlässt Arkadiusz D. den Tatort.
Sein Glück: Christopher A. wacht auf und zieht den brennenden Pullover aus. Zurück bleibt eine schmerzhafte Verletzung am rechten Oberarm. Dieser glimpfliche Ausgang sei allerdings „purer Zufall“ gewesen, eine glückliche Fügung, sagt der Vorsitzende. Christopher A. hätte auch bei lebendigem Leibe verbrennen können, und der Angeklagte habe dessen Tod „billigend in Kauf genommen“.
Täter wollte Obdachlosen "Denkzettel verpassen"
Die Tat gestand der 35-Jährige erst am Ende der Beweisaufnahme, da gab er sich reuig. Er habe Christopher A. nicht töten, sondern ihm nur einen „Denkzettel“ verpassen wollen – aus Verärgerung darüber, dass dieser sich von einem seiner Bekannten Geld geliehen, es aber nicht zurückgezahlt habe. „Einen Denkzettel verpassen, setzt aber eine vorherige Kommunikation voraus“, sagte Steinmann.
Die ganze Sache wäre wohl unter dem Radar geblieben, hätte der Zufall nicht mitgeholfen. Kurz nach der Tat drosch Arkadiusz D. vor den Augen eines Bundespolizisten am Bahnhof Altona auf einen Obdachlosen ein, der den Beamten von der Brandstiftung erzählte. So kamen die Ermittler Arkadiusz D. auf die Schliche. Auf seinem sichergestellten Handy stießen sie dann auch auf das Tat-Video.
Der Angeklagte habe schon mit zwölf Jahren mit dem Trinken begonnen und eine „hochkriminelle Persönlichkeit“, so Steinmann. Viele Straftaten, die sich häufig gegen andere Obdachlose richteten, stünden im engen Zusammenhang mit Alkohol. Nichts habe den Vater einer Tochter bisher vom Trinken abhalten können.
D. war schon vor dem Mordversuch gewalttätig
Einen Monat vor dem Mordversuch hatte Arkadiusz D. am Hauptbahnhof, wieder in Gegenwart eines Bundespolizisten, einem Obdachlosen mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Zwei Tage später, am 19. Mai, zündete er den Schlafsack von Ulrich T. an.
Der Obdachlose war gerade nicht da und verzweifelte, als er bei seiner Rückkehr den Anschlag auf seine Schlafstätte bemerkte – da schlug Arkadiusz D. auf den wehrlosen Betrunkenen ein. „Es war ein schlimmer Anblick, ihn so hilflos krabbelnd zu sehen“, sagt Steinmann mit Bezug auf Kameraaufnahmen.
Am vergeblichen Versuch, beide Opfer als Zeugen zu laden, zeigt sich wohl auch die brutale Realität des Lebens auf der Straße: Der eine war nicht auffindbar – und Ulrich T. im Dezember gestorben.