Hamburg. In der Mundhalle entstehen unter anderem Tiny Houses und Zäune für Sylt. 70 Kreative aus vielen Gewerken suchen dringend neue Fläche
Mehr als zehn Jahre tummelten sich hier die Passagiere großer Kreuzfahrtschiffe. Dann, als ein neues Terminal in Steinwerder entstanden war und in unmittelbarer Nachbarschaft der Bau des neuen Überseequartiers begann, wurde das provisorische Cruise Terminal HafenCity nur noch von den Teilnehmern des jährlich stattfindenden HafenCity Runs angelaufen. Seit 2020 tobt wieder das Leben in dem Gebilde aus 40 blauen Übersee-Containern. Es wurde zur temporären Heimat für die Genossenschaft Mundhalle.
70 Künstler, Handwerkerinnen und Gewerbetreibende aus 40 Gewerken arbeiten hier mit- und nebeneinander. In der 1400-Quadratmeter-Halle und den umliegenden Containern haben sich Tischler und Mediengestalter, Grafik-, Web-, Textil- und Möbeldesigner, Fahrradbauer, Bühnenbildner, Korbflechter und ein Bootsbauer angesiedelt. Ihre Werkstätten und Ateliers sind teilweise in kubusartigen, ein- bis zweistöckigen Gebäuden untergebracht.
HafenCity: Kreative können sich Flächen auf freiem Markt nicht leisten
Hier entstehen Tiny Houses für große Gärten und Flechtzäune für Grundstücke auf Sylt. Ortsbezogene Kunstwerke wie eine Messer-Installation auf Island, die an einen Heringsschwarm erinnert. Das Bühnenbild für die Band Deichkind. Außenmöbel für den ständig wachsenden Hamburger Grünzug-Verband Parks und Lautsprecher fürs Dockville-Festival.
Eine kleine, historisches Stahljacht wird restauriert und – mit Elektromotor und Batterie– elektrifiziert. Und auch viele Workshops für Kinder und Jugendliche, redaktionelle Beiträge oder Kulturarbeit im Bereich Darstellende Kunst hat es hier schon gegeben.
„Wir sind keine Bastelgruppe, sondern hochprofessionelle Solo-Selbstständige und Berufsanfänger, die sich Arbeitsflächen auf dem freien Markt nicht leisten können“, stellt Medienkünstlerin Helene Kummer, die 3-D-Animationen, Videos und Skulpturen für Filme herstellt, gleich am Anfang klar.
Sie sitzt am Tisch einer Küche, die mit ihrem überquellenden Gewürzregal, den vielen Pfannen an der Wand und dem zusammengewürfeltem Mobiliar wie die einer großen WG wirkt und das „Herz“ der Halle ist. Hier trifft man sich zum Kochen und zum Kaffeetrinken – aber auch zum interdisziplinärem Austausch, denn unter den Genossenschaftsmitgliedern sind bereits etliche kreative Kooperationen entstanden.
HafenCity: Erste Bleibe der Mundhalle war die Halle eines Stahlhändlers
Heute geht es hier aber um etwas anderes. Denn die Kreativen müssen Ende Februar raus aus dem früheren Cruise Terminal, das ihnen für eine sehr niedrige Miete überlassen wurde, und suchen dringend eine neue, ähnlich große Bleibe. Vor der Halle wächst das Überseequartier heran, das sich – da steht lange fest – auch dieses Grundstück einverleiben wird. Die Zeit läuft also, und sie läuft schnell. Die Mundhallen-Website zeigt deutlich, wie viele Sekunden, Minuten, Stunde und Tage noch bis zum 28. Februar bleiben
„Diese Deadline macht uns fertig“, sagt Alexandra Grieß, die das oben erwähnte Kunstwerk auf Island gefertigt hat, und mit am Tisch sitzt. Sie ist mit Tischler Jorel Heid das Künstler-Duo heidundgriess und Mundhallen-Kreative der ersten Stunde. Denn heidundgriess wiederum bildet mit Felix Vorreau, ebenfalls Tischler, die Kooperation Kubuk. Und Vorreau, der gerade am Herd Rührei für alle zubereitet, ist mit seiner Tischlerei quasi die Keimzelle der Genossenschaft.
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Innovatives Konzept: Kreative profitieren voneinander
Er war damit 2018 in die Halle des früheren Stahlhändlers Albert Mund in Rothenburgsort gezogen – daher der Name Mundhalle – und hatte, dann schon gemeinsam mit Alexandra Grieß, für die 1850 Quadratmeter große Fläche weitere Kreative gesucht.
„Innerhalb kürzester Zeit“, so die Designerin, „haben sich 45 Interessierte gemeldet.“ Aus der Not der einzelnen, eine Flächen für ihre Gewerke zu finden, ist mittlerweile eine bunt zusammengesetzte Kreativgemeinschaft geworden. „Es ist ein tolles Konzept. Wir profitieren voneinander.“
Auch Designer Daniel Pietschmann, der Mikrohäuser und Möbel aus recyceltem Material baut, hat sich eingefunden. Er hat vor Kurzem den Vorstand der Genossenschaft von Alexandra Grieß übernommen. Denn länger als zwei Jahre, da sind sich die beiden einig, kann man dieses Amt nicht bekleiden. Die Suche nach einer dauerhaften Bleibe ist zu nervenzehrend und zeitaufwendig. Denn auch die Halle in Rothenburgsort konnten sie nur zwischennutzen. 2020 mussten die Kreativen dort raus, weil sie abgerissen wurde.
Finanzsenator Dressel und andere Politiker setzen sich für Kreative ein
Extrem frustrierend war auch, als sie im Oktober erfuhren, dass ihnen die Stadt ein nach langem Hin und Her zugesagtes Erbpachtgelände in Moorfleet wegen eines Rechtsstreits mit dem bisherigen Nutzer doch nicht zur Verfügung stellen kann. „Wir könnten die Fläche frühestens in fünf Jahren nutzen, das ist natürlich keine Option“, sagt Pietschmann. Sie seien mit allen Akteuren im Gespräch: mit der Kreativgesellschaft, dem Landesbetrieb für Immobilienmanagement und Grundvermögen, Kultur-, Finanz- und Wirtschaftsbehörde und Politikern. Alle sind ihnen wohlgesonnen und versuchen, zu helfen.
„Die Prüfungen laufen auf Hochtouren. Ein neues Zuhause für die Mundhalle ist uns behördenübergreifend ein wichtiges Anliegen“, betont Finanzsenator Andreas Dressel. Bislang seien rund ein Dutzende Locations geprüft worden, in dieser Woche würden zwei weitere Optionen besichtigt. „Die Mundhalle verdient Unterstützung“, sagt auch SPD-Chef Dirk Kienscherf.
Und Dominik Lorenzen von den Grüne)ergänzt: „Ideenschmieden wie diese Genossenschaft bereichern das Leben in unserer Stadt und machen es bunter.“ Trotz der Herausforderung, die es bedeute, geeignete Räumlichkeiten zu finden, sei er zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden werde. Die Kreativen sind trotzdem besorgt.
„Wir müssen rechtzeitig eine Ausweichfläche finden. Sonst droht ein weiteren Projekt mit viel Innovationspotential am Mangel an bezahlbaren Flächen auf dem Hamburger Immobilienmarkt zu scheitern.“