Hamburg. Das Haus an der Brennerstraße wurde jahrzehntelang vernachlässigt. Mieter haben viel Geld investiert. Dann die Hiobsbotschaft.
Der Lohmühlenpark ist gleich um die Ecke, Lange Reihe und Steindamm nur wenige Minuten entfernt. Stefan Budig lebt gern hier an der Brennerstraße, und das seit 38 Jahren. Auch sei die Miete unschlagbar günstig, sagt der 66-Jährige ehemalige Erzieher. Für ihre zwei gegenüberliegenden Wohnungen im dritten Stock des Altbaus, insgesamt rund 140 Quadratmeter, zahlen er und seine Lebensgefährtin keine 1000 Euro.
Dafür nimmt er, notgedrungen, den schlechten Zustand des Gebäudes in Kauf. Das ist einst nach einem Bombenschaden in der Mitte zusammengesunken. Ein Schaden, der nie behoben wurde – was jetzt mit dazu führt, dass die Eigentümergesellschaft das jahrzehntelang verkommene Haus jetzt abreißen lassen darf.
Dabei liegt es in einem Gebiet, für das seit 2012 eine Soziale Erhaltungsverordnung gilt. Diese umfasst große Teile des in der Vergangenheit stark gentrifizierten St. Georgs und soll dort das angestammte Milieu sichern, die Bewohner vor Verdrängung schützen und eine darüber hinausgehende Aufwertung von Wohngebäuden einschränken. Allerdings ist die Soziale Erhaltungsverordnung nur ein Instrument des besonderen Städtebaurechts.
Brennerstraße: Benutzte Kondome in der Hofdurchfahrt
Der Schutz einzelner Mieter und Mieterinnen, oder das Festlegen einer allgemeinen Mietobergrenze ist nicht ihr Ziel. Entsprechend beunruhigt sind die überwiegend älteren langjährigen Mieter. „Wo sollen wir hin?“, fragt etwa Horst Bock. Der 83 Jahre alte Tischler bewohnt mit seinem autistischen Pflegesohn zwei Wohnungen im Erdgeschoss. Und arbeitet noch immer, weil sonst die Rente nicht reicht, trotz einer nach einem Unfall steifen Hand und einem Herzinfarkt vor einigen Jahren.
Dass sich in dem Haus keine Luxuswohnungen befinden, erkennt man schon von außen. Risse an der Fassade wurden nur notdürftig zugespachtelt, die Fenster sind alt, die mit Graffiti besprühte, im oberen Bereich von Stuckelementen geschmückte Hofdurchfahrt wird von einem rostigen Eisenkonstrukt gestützt. Wer hindurch Richtung Garage geht, muss aufpassen, dass er nicht auf benutzte Kondome tritt. Hinter der Durchfahrt halten rechts und links Zäune aus Latten und Stacheldraht die nächtlichen Besucher von den Kellerzugängen fern.
Mieter haben Geld und Arbeit in Wohnungen investiert
„Die Zäune haben wir Mieter auf eigene Kosten installiert. Sonst würde sich hier noch mehr unerwünschtes Volk tummeln“, sagt Stefan Budig. Ein Gitter gleich vorn an der Einfahrt, um das die Mieter die Eigentümergesellschaft immer wieder gebeten haben, wurde stets abgelehnt. Nicht einmal das Material, um in Eigenleistung die Wände im Treppenhaus auszubessern und zu streichen, wollte man Budig und seinen Nachbarn bezahlen.
Auch in ihre Wohnungen haben Mieter im Laufe der Zeit viel Geld investiert, sagt Budig. Sie haben Duschkabinen in den Küchen und Öfen in den Wohnzimmern eingebaut. Und Horst Bock hat die Fenster der beiden Erdgeschosswohnungen auf eigene Kosten erneuert. Oft ist auch nur ein kosmetischer Eingriff möglich: Im Treppenhaus etwa verdeckt ein Blumenbild, das Stefan Budig aufgehängt hat, nur notdürftig die Stelle, an der großflächig Putz von den Wänden platzt.
Aber das ist bei Weitem nicht der einzige Schaden: Die meisten Briefkästen sind kaputt, der Lichtschalter defekt, die Farbe an den Wänden ein schmuddeliges Grau, davor verlaufen Wasserrohre über Putz. Eine Tür nach hinten raus lässt sich nicht mehr schließen, weil vor der Schwelle der Fußboden hochgekommen ist – die Folge eines Wasserrohrbruchs, der wochenlang nicht behoben wurde, erzählt Horst Bock.
Brennerstraße: Steht Eigentümer zu seinem Wort?
In Budigs Wohnung neigen sich Küche und Flur deutlich nach rechts. Der Abstand der Dielen zur Außenwand vergrößere sich von Jahr zu Jahr, sagt er. Den Gutachten zufolge, die Eigentümergesellschaft und Bezirksamt haben erstellen lassen, wölbe sich die Rückfassade zwischen sieben und 22 Zentimetern nach außen. Bereits 2006 habe eine Mieterin die Eigentümer und – als niemand reagierte – auch das Bezirksamt über einen auffälligen Spalt im Küchenboden informiert. Auch das sei, so Budig, folgenlos geblieben.
Die Hiobsbotschaft kam 2020. Da wurden die Mieter von der Hausverwaltung informiert, dass ein Abriss des Hauses beabsichtigt sei. Im Dezember 2022 gab es eine vom Bezirksamt Hamburg-Mitte organisierte Anhörung, auf der den Mietern die Ergebnisse des Gutachtens vorgestellt wurden, das der Bezirk über das Gebäude hatte anfertigen lassen. Und sie erfuhren, dass eine Abrissgenehmigung erteilt werden würde. Dem Eigentümer sei wirtschaftlich nicht zumutbar, das Gebäude zu sanieren.
Trotz Erhaltungsverordnung: Eigentümer hat Rechtsanspruch
Das wiederum rief den Einwohnerverein St. Georg auf den Plan, der unter dem Motto „Was nutzt die Soziale Erhaltungsverordnung?“ am vergangenen Montag mit den Fachsprechern von SPD, Grünen, CDU und Linken über die Problematik „Instandhaltung unterlassen, Abriss genehmigt, Neubau geplant – und die Mieter?“ diskutierte.
„Wir erfuhren seitens der SPD, dass der Eigentümer kooperativ sei und einen Sozialplan vorlegen werde, wie wir Mieter unterstützt werden“, berichtet Budig. „Da er sich bislang wenig mieterfreundlich gezeigt hat, sind wir gespannt, ob er zu seinem Wort steht.“
- Bewohner von Bahrenfelder Siedlung fürchten Vertreibung
- Schock für Bewohner am Grindelhof: „Entmietung“ für Mikroapartments?
- Elbchaussee: Warten auf Schutz für den „kulturellen Schatz“
„Der Abbruch des Gebäudes Brennerstraße 80/82 steht grundsätzlich den Zielen der Sozialen Erhaltungsverordnung entgegen“, heißt es aus dem Bezirksamt Hamburg-Mitte. Doch habe man „in diesem konkreten Einzelfall“ keine Handhabe gegen den Rechtsanspruch des Eigentümers.
Warum der Eigentümer das Haus abreißen lassen kann
Betont wird, dass für die Berechnung allein die (Alt-)Schäden zugrunde gelegt worden wären, die nicht auf unterlassene Instandhaltungsmaßnahmen zurückzuführen seien und dass der Abbruchantrag drei Jahre lang intensiv geprüft worden sei.
Tatsächlich war die Abbruchgenehmigung zunächst nicht erteilt worden, weiß Stefan Budig. „Doch weil die Zinsen wieder gestiegen sind, so sagte uns jedenfalls eine Mitarbeiterin aus dem Bezirksamt, kann sich der Eigentümer jetzt auf die wirtschaftliche Unzumutbarkeit berufen.“