Dr. Matthias Riedl sieht große Gefahren beim Essen vor allem für Kinder. Der Ernährungs-Doc hat klare Forderungen an die Politik.
- Der Ernährungs-Doc Matthias Riedl spricht von "Katastrophe uaf unseren Tellern"
- Vor allem drei Lebensmittel verkürzen die Lebenszeit erheblich
- Kritik an der "Blackbox" Fertiglebensmittel
Für Zigaretten gibt es längst weitreichende Werbeverbote, auch die Bilder auf den Packungen sehen extrem abschreckend aus. Ganz so drastisch ist die Forderung von Dr. Matthias Riedl nicht, aber er wünscht sich ein Verbot von Werbung für Kinder, die Fast Food oder ungesunde Lebensmittel anpreist. Ein dickes Kind werde nämlich ziemlich sicher ein dicker Erwachsener, sagt der Ernährungsmediziner: „Man bekommt so ein Kind wirklich nur mit großer Mühe, wenn es älter als zehn ist, noch weg von diesem schweren Übergewicht. Und diese Kinder werden eher sterben.“
Der NDR-Ernährungs-Doc spricht in der neuen Folge des Podcasts „Dr. Matthias Riedl. So geht gesunde Ernährung“ von einer „Katastrophe auf unseren Tellern“. Er hat ein neues Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Unser Essen – Killer und Heiler. Warum wir etwas gegen die Katastrophe auf unseren Tellern machen müssen.“ Das Cover zeigt ein Gummibärchen mit einem Messer im Rücken.
Ernährungs-Doc fordert: Krankheiten nicht nur heilen, sondern verhindern
Das verstörende Bild sei bewusst gewählt, sagt der ärztliche Leiter des Medicums Hamburg, Europas größtem Facharztzentrum für Diabetologie, Ernährungsmedizin und angrenzende Fachgebiete. Denn er wolle aufrütteln. Es gehe nicht nur darum, Krankheiten zu heilen, sondern diese zu verhindern. „Da laufen wir, und das ist den meisten Menschen nicht bewusst, auf eine Katastrophe zu. Und eigentlich ist die Katastrophe schon da. Und es ist tatsächlich so, dass wir uns mit dem, was wir essen, ein Messer in den Rücken treiben.“
Diesen Vergleich hält Riedl nicht für übertrieben: „Weltweit sind schon 20 Prozent aller Todesfälle durch falsche Ernährung bedingt, und in Deutschland, davon gehen wir aus, ist es noch viel schlimmer. Da sind 80 Prozent der Erkrankungen verhaltens- und davon 70 bis 80 Prozent durch falsches Essen bedingt. Mit anderen Worten: Die Leute, die im Wartezimmer sitzen, die sind fast nur essensbedingt dort.“
Jeder Vierte in Deutschland ist massiv übergewichtig
Jeder Vierte in Deutschland ist seinen Angaben zufolge adipös, also massiv übergewichtig und im höheren Alter, so mit 60, 70 Jahren, sei jeder vierte in der Bevölkerung Diabetiker oder habe eine Vorstufe davon.
„Insgesamt muss man sagen, über 50 Prozent der Frauen und fast 60 Prozent der Männer sind übergewichtig. Bei den Kindern ist es schon jedes zehnte, und sechs Prozent davon sind richtig adipös. Besonders bei den Kindern tut mir das leid, die haben unter Corona noch einmal zehn Prozent an schwerem Übergewicht zugelegt. Diese Kinder sind nahezu unheilbar, die bleiben meistens so dick, wie sie sind, und werden halt diese Übergewichtsfolgekrankheiten viel früher und viel schwerer bekommen. Diese Kinder sind sozusagen verdammt, wenn sie bis zur Pubertät das Gewicht nicht losgeworden sind.“
Ernährungs-Doc kritisiert Werbung, die sich an Kinder richtet
Sobald Kinder der Marketingmaschinerie der Nahrungsmittelindustrie ausgesetzt seien, würden sie treue Konsumenten von Fast Food, Limonaden und Süßigkeiten und liefen Gefahr, wirklich krank zu werden. „Das Schlimme ist, dass wir das in der Statistik schon sehen. Wir sehen, dass junge Menschen ein erhöhtes Darmkrebsrisiko haben. Das liegt zum Beispiel am Limonadenkonsum in der Jugend. Und wenn wir das wissen und es so weiterlaufen lassen, dann halte ich das für grob fahrlässig. Da die Politik aber nichts tut, müssen wir selber was tun. Und wir müssen uns dagegen wehren, dass unsere Kinder so geschädigt werden.“
Der Ernährungsmediziner spricht von „den drei großen Killern, die nachweislich in den Studien unsere Lebenserwartung verkürzen. Das sind Limonaden, Süß- und Backwaren und auch Wurstwaren. Und wenn man die schön kombiniert und dann auch noch vieles anderes falsch macht, dann haben wir ganz schnell mal bei Männern eine 15 bis 20 Jahre kürzere Lebenserwartung. Also dann reden wir vom Tod mit knapp über 60.“
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Das sei vielen nicht bewusst, und es sei fatal, „weil wir eine gesunde Bevölkerung brauchen. Eine kranke Bevölkerung verschlingt Milliarden völlig umsonst. Das ist Geld, was für die junge Generation später nicht mehr zur Verfügung steht. Wir haben dann nicht mehr das Geld, unsere Jugend später so zu versorgen, wie wir jetzt versorgt sind. Es wird zu Einsparungen kommen“, meint der Bestsellerautor in seiner Prognose. Deutschland verschwende Ressourcen, aber eine kranke Jugend sei am Ende auch nicht leistungsfähig. „Und wir brauchen leistungsfähige junge Menschen, die in den Wirtschaftsprozess mit einfließen.“
5000 Zusatzstoffe: Kritik an der „Blackbox“ Fertiglebensmittel
Besonders kritisch sieht Riedl die Vielzahl an Fertigprodukten. „Wir haben um die 3000 Additive in unseren Fertiglebensmitteln, die nicht richtig untersucht sind.“ Viele seien kaum untersucht in ihrer Wirkung auf den Menschen. „Also man schmeißt da sozusagen diese Substanzen in eine Blackbox und weiß eigentlich gar nicht genau, was im Körper dabei passiert. Wir kommen bei immer mehr Additiven dahinter, zum Beispiel bei den Süßungsmitteln, dass sie die Darmflora schädigen. Wir werden also durch diese synthetische, diese künstliche Astronautenkost, die auf Geschmack und Verkauf optimiert wurde, auf der einen Seite schlechter versorgt, und auf der anderen Seite bekommen wir Substanzen, also Chemie zugefüttert, die unserem Körper nicht guttun.“
Diese Gemengelage habe zum Buchtitel geführt, so der Ernährungsmediziner. Diese Fertignahrungsmittel enthalten seinen Angaben zufolge aber kaum oder kein Eiweiß. „Eiweiß würde uns satt machen. Die Fertignahrungsmittel haben einen sehr, sehr geringen Eiweißanteil, deshalb überfrisst man sich daran leicht, wird übergewichtig und krank.“
Fertiggerichte enthalten wenig Eiweiß, das satt machen würde
Selbst zu kochen sei deshalb total wichtig. 500 Gramm Gemüse am Tag seien notwendig, und „dann reden wir nicht von irgendwelchen vorbereiteten Gemüseschalen, sondern das muss ich mir selber schnipseln und selber kochen“, so der Ernährungsmediziner.
Unser natürliches Geschmacksempfinden dient laut Riedl dazu, das richtige und in der richtigen Menge zu essen: „Nun werden wir aber durch diese ultra hochverarbeiteten Produkte gezwungen, Lebensmittel zu essen, die nicht das enthalten, was wir brauchen. Da ist also wenig Eiweiß drin, was uns satt macht. Und die Menschen, die sich von ultra hochverarbeiteten Produkten ernähren, die haben diesen Ess-Stopp nicht. Und wenn ich noch Geschmacksverstärker rein mische und Aromen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass Deutschland im Großen und Ganzen verfettet und durch dieses vermehrte Körperfett eben auch krank wird.“
Ernährungs-Doc fordert gemeinsames Ministerium für Ernährung und Gesundheit
Die Ministerien für Landwirtschaft und für Gesundheit müssten zusammengeführt werden, fordert Riedl. „Wir haben jetzt das Problem, dass die Bevölkerung großflächig krank wird und früher stirbt oder kränker stirbt. Und das ist dann ein Problem vom Bundesgesundheitsminister, der das übrigens noch gar nicht so richtig akzeptiert hat.“
Und es brauche nicht nur dringend eine Mehrwertsteuerbefreiung von gesunden Lebensmitteln wie Nüssen, Gemüse, Vollkornprodukten, Milch und Käse, „bei der Inflation müssten wir es fast subventionieren. Wir müssen der Bevölkerung erlauben, sich gesund zu ernähren. Es muss billiger werden.“ Ernährungs-Doc Riedl fordert außerdem eine Zuckersteuer, wie es sie etwa in Großbritannien für Limonaden bereits gibt.
Außerdem dürfte es keine Werbung für Junk Food mehr geben, die sich gezielt an Kinder richtet, findet Riedl: „Da werden nämlich junge Konsumenten dressiert als spätere Verbraucher und ganz im Sinne der Lebensmittelindustrie. Und das unter den Augen der Bundesregierung. Das darf so nicht weiter sein. Ganz nebenbei brauchen wir auch Ernährungsunterricht in der Schule.“