Hamburg. Nicht jeder will aussehen wie ein Bodybuilder. Warum regelmäßiges Training trotzdem essenziell ist – und es dafür nie zu spät ist.

  • Ernährungs-Doc Matthias Riedl erklärt, warum Muskelaufbau nicht nur für Bodybuilder wichtig ist
  • Was Muskeln für die Gesundheit tun und wie man mehr bekommt
  • Proteinshakes? Eiweißpulver? Doc Riedl nennt bessere Alternativen

Nicht jeder möchte Muskelpakete haben wie Arnold Schwarzenegger, aber etwas deutlicher definierte Oberarme oder Waden hätten wir doch alle gern. Dabei gehe es beim Muskelaufbau keineswegs in erster Linie um die Optik, sondern darum, gesund zu bleiben, erklärt Dr. Matthias Riedl in der neuen Podcastfolge Dr. Matthias Riedl: So geht gesunde Ernährung“.

Der Ernährungsmediziner, der pro Woche fünf bis sechs Stunden Sport macht („als Ausgleich für diese viele Sitzerei und den Stress)“, spricht von sogenannten Low Gainern und High Gainern, also Menschen, die sehr schnell, und anderen, die sehr langsam Muskeln aufbauen.

Wer Kraftsport macht und nach drei, vier Wochen bereits einen deutlichen Muskelmassenzuwachs sieht, gehört seinen Angaben zufolge zur zweiten Gruppe, „und das ist die Mehrheit“. Aber wer dann nicht sofort muskulös wirkt, müsse nicht frustriert sein, sagt der Ärztliche Direktor des Medicum Hamburg. „Es ist so, dass die Muskelfunktion nicht unbedingt vom Durchmesser abhängt. In der Evolution war es auch so, dass die kleinen Zarten besser durchs Gestrüpp gekommen als die großen Dicken.“

Ernährungs-Doc erklärt: Muskelaufbau für "Füllhorn positiver Effekte"

Wichtig ist die Muskelkräftigung laut Dr. Riedl, weil die Muskulatur wichtige Aufgaben erfüllt: Sie wirkt antientzündlich, senkt den Blutzucker und verbessert die Blutfettwerte, „hat also ein Füllhorn von positiven Effekten“. Aber ihre Kernaufgabe sei es, die Gelenke zu stabilisieren. „Die sind ganz stark abhängig von einer gesunden Muskulatur, diese ist unser größter Schatz“, sagt der Mediziner.

Und weil sie so überlebenswichtig sei, habe der Körper einen Mechanismus entwickelt, der ihm helfe, die Muskulatur zu erhalten. „Wir dürsten nach Eiweiß“, sagt Riedl, bekannt als NDR-Ernährungs-Doc.

Proteinshakes als Hilfe? Das sagt der Ernährungs-Doc

Von Proteinshakes hält der Ernährungsmediziner dagegen nicht viel: „Ich sehe das sehr, sehr kritisch und wir empfehlen das grundsätzlich nicht zum Muskelaufbau, weil wir die Eiweißversorgung auch durch gesunde Ernährung sicherstellen können.“

Diese Eiweiß-Pulver oder -Drinks seien industriell produziert, hätten außerdem zugesetzte Vitamine und Aromen. Vor allem die zugesetzten Aromen seien schlecht untersucht. „Ich lehne alles ab, was Aromen enthält. Es passiert immer wieder, dass welche vom Markt genommen werden wegen gesundheitsschädlicher Wirkung.“

Wie viel Eiweiß braucht der Mensch eigentlich?

Riedl rät dazu, solche Shakes selbst herzustellen – aus Mandelmus, Nüssen, gemahlenen Haferflocken und ein bisschen Milch oder Sojamilch. „Das ist die gesündere Variante. Und dann habe ich eben nicht nur Eiweiß und künstliche Vitamine da drin, sondern auch noch Spurenelemente und jede Menge Ballaststoff. Das ist dann richtige Ernährung, das andere ist Astronautenkost.

Aber wie viel Eiweiß braucht der Mensch denn eigentlich? „Das ist sehr stark abhängig von der Körpergröße“, sagt Riedl. „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Wenn wir so auf 50 zugehen, dann sind wir schon bei dem Bedarf von einem Gramm pro Kilo, denn je älter wir werden, desto schlechter nehmen wir das Eiweiß auf. Wenn wir dann auch noch sportlich aktiv sind, steigt der Eiweißbedarf noch mal, dann sind wir schon schnell bei 1,2 Gramm. Jemand mit 70 Kilo brauche dann 70 Gramm Eiweiß pro Tag, verteilt auf die Mahlzeiten.“

Hier reinhören: Der Ernährungs-Doc Folge 7:

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Warum pflanzliches Eiweiß gesünder ist

Und welches sind die besten Eiweißlieferanten? „Die besten gesundheitlichen Effekte haben wir bei einer Mischung von tierischem und pflanzlichem Eiweiß“, sagt der Experte. „Der Körper kann es besser aufnehmen. Wir wissen auch – je mehr pflanzliches Eiweiß ich zu mir nehme, desto besser für unsere Gesundheit.“

Dadurch habe man eine geringere Neigung für Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Arterienverkalkung. Pflanzliches Eiweiß könne man auch gar nicht überdosieren, weil man Gemüse nicht überdosieren könne.

Ernährungs-Doc: So wirkt man dem Muskelaufbau entgegen

Im Alter drohe Muskelabbau, wenn man nicht genug Eiweiß zu sich nimmt. „Wer also chronisch zu wenig Eiweiß isst, der verliert Stück für Stück Muskulatur. Der natürliche Verlauf unserer Muskulatur ist so: In der Jugend baut sich die Muskulatur noch von ganz alleine auf. So ab Mitte 20 stagniert das dann. Ab 30 ist es so, dass dieser natürliche Muskelaufbau ins Stocken gerät. Ab 50 ist, wenn wir uns nicht körperlich betätigen, die Muskulatur eher schon im Abbaumodus, ab 70 dann noch stärker. Das heißt, wer sich nicht bewegt mit 70, kriegt automatisch einen Muskelabbau."

Das bedeute Gangunsicherheit, Klapprigkeit und einen geringeren Grad der Selbstversorgung. „Und der führt am Ende zu Stürzen mit allen Komplikationen.“ Deshalb sei eine gute Muskulatur entscheidend, um im Alter im eigenen Haushalt bleiben zu können.

High-Protein-Produkte verführen zu Überdosierung

Von High-Protein-Produkten solle man ebenso die Finger lassen wie von Proteinshakes, findet Riedl, um nicht plötzlich überversorgt zu sein. „Ich hatte neulich einen Pudding mit 50 Gramm Eiweiß“, sagt der Ernährungs-Doc, „das ist dann der Eiweißbedarf einer Frau vom ganzen Tag. Was soll das? Und vor allen Dingen, wenn ich meinen Eiweißbedarf mit Pudding decke, bin ich satt. Und ich verhindere damit, dass ich andere gesunde Sachen esse.“

Am Ende handle es sich um Fertigprodukte, die den Eindruck erweckten, sie seien gesund. „Aber es ist Pudding, den man mit einem Label ,eiweißreich’ gesund waschen und natürlich damit schön viel Geld verdienen will.“

Riedl zitiert aus einer neuen Studie, laut der Menschen, die viele Fertigprodukte zu sich nehmen, eine höhere Rate an Depressionen und an Ängstlichkeit haben. „Das wissen wir auch aus Tierversuchen – so eine kleine Maus, die versteckt sich dann eher, wenn sie diesen ganzen Kram gegessen hat und ist nicht mehr so experimentierfreudig.“

Wie viel Training pro Woche nötig ist

Um mit Bewegung und Sport anzufangen, sei man übrigens nie zu alt, macht Riedl Mut: „Es ist nie zu spät, ob wir nun 50, 60 oder 70 sind, es hat immer einen positiven Effekt. Leider ist Sport ein ,Medikament` das man auch regelmäßig anwenden muss.“ Als Faustregel nennt er mindestens einmal pro Woche Kraftsport für den Muskelerhalt.

Wer Muskeln aufbauen will, müsse mindestens zweimal die Woche trainieren und die Intensität auch steigern: „Und ich empfehle noch zweimal die Woche Ausdauersport. Das ist gut für Herz und Kreislauf. Wer noch richtig einen drauflegen will, der macht einfach noch einmal pro Woche so etwas wie Ballsport, denn das fordert unser Gehirn so richtig.“

Ernährungs-Doc: Was beim Muskelaufbau hilft – und warum man Kekse besser selbst backt

Mit der Ernährung könne man den Körper beim Muskelaufbau zusätzlich unterstützen. Nicht nur die richtige Eiweißmenge ist wichtig, sagt Riedl, und nennt noch andere Effekte, die man nutzen kann. So lasse beispielsweise Rote Bete die Muskulatur effektiver arbeiten, „das ist sozusagen ein natürliches, erlaubtes Doping“.

Und wer gut mit Omega-3-Fett versorgt sei, wie man sie beispielsweise in Nüssen, in Fisch und Algenöl findet, neige weniger zu Muskelkater. „Die Erklärung ist ganz einfach: Muskelkater sind kleine Verletzungen. Und Verletzungen bedeuten immer auch eine kleine Entzündung im Körper. Und diese Entzündung kann man explodieren oder ausweiten lassen. Oder der Körper dämmt sie geschickt ein und verkürzt diese Entzündungszeit. Und das ist der Effekt von Omega-3-Fettsäuren. Sie sind sozusagen ein Löschöl für übertriebene Entzündung.“

Für die Vorweihnachtszeit rät der Ernährungs-Doc übrigens: „Kekse sollte man besser selber backen – die Zuckermenge etwas reduzieren, ein bisschen mehr Gewürze rein und Mandeln dazu.“