Hamburg. Abgeordnete aus fast allen Fraktionen machen Fälle in sozialen Medien öffentlich und üben so Druck auf das Regime aus. Oft mit Erfolg.
Mit verschränkten Armen, verwaschenem T-Shirt und modisch hochgetürmtem Wuschelkopf blickt Saaed in die Kamera. Der 18-Jährige könnte einem hier in der S-Bahn gegenüber sitzen – doch tatsächlich sitzt er seit November in einem Gefängnis im Iran und wird dort offenbar gefoltert. Vorgeworfen wird ihm ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, mehr weiß die Familie nicht. Und mehr weiß auch der Eimsbüttler SPD-Abgeordnete Marc Schemmel nicht, der eine Patenschaft für den jungen Iraner übernommen hat.
Mit Schemmels Parteikollegen Hansjörg Schmidt und der baden-württembergischen Grünen-Abgeordneten Fadime Tuncer hat Saaed seit Kurzem insgesamt drei Paten aus Deutschland, die sich für ihn einsetzen. „Wir haben am 6. Januar an den iranischen Botschafter in Berlin geschrieben und gefordert, dass Saaed einen Rechtsbeistand seiner Wahl erhält und bei der Gerichtsverhandlung unabhängige Prozessbeobachter zugelassen werden“, so Schemmel. Auch das Außenministerium haben die drei Paten um Unterstützung gebeten. Und Saaeds Fall bei Instagram, Facebook und Twitter öffentlich gemacht.
Hamburger Politiker und ein Arzt helfen Häftlingen im Iran
Auf Saaed waren die beiden Hamburger Politiker durch Daniela Sepheri aufmerksam geworden. Die 24-Jährige aus Berlin, Redakteurin bei der SPD-Zeitung Vorwärts, unterstützt derzeit in einer Art Guerilla-Aktion die iranische Revolution: Gemeinsam mit Mariam Clasen, Tochter der im Iran zu einer langen Haftstrafe verurteilte deutsch-iranischen Menschenrechtsaktivistin Nahid Taghavi, schreibt sie deutsche Politiker an, um sie für Patenschaften iranischer Häftlinge zu gewinnen. „Wir arbeiten mit allen Parteien außer der AfD zusammen und haben bereits 250 Patenschaften vermittelt“, sagt die junge Aktivistin auf Abendblatt-Nachfrage. „Aus Kapazitätsgründen beschränken wir uns aber auf Abgeordnete von Landtagen, Bundestag und Europaparlament.“
Sie sei durch ein Instagram-Video von Saaeds Schwester auf den jungen Gefangenen aufmerksam geworden, teilte die Journalistin Marc Schemmel mit. Er sei am 19. November in Shiraz inhaftiert worden. Zwei Wochen lang habe sich seine Familie erfolglos bei den Behörden nach seinem Verbleib erkundigt, bis die Mutter ihn dann im Adeel Avad Gefängnis habe besuchen dürfen. Saaed habe nicht richtig sprechen können und sei offenbar gefoltert worden. Nun habe die Familie Angst, dass er bei seiner Gerichtsverhandlung am 17. Januar zum Tode verurteilt wird.
Erste Hamburger Patin war Grünen-Chefin Blumenthal
Marc Schemmel und Hansjörg Schmidt sind bei Weitem nicht die einzigen Politiker, die eine Patenschaft für einen im Iran Inhaftierten übernommen haben. „Fast alle aus der Fraktion machen mittlerweile mit“, so Schemmel. Die erste unter den Hamburger Abgeordneten war die Grünen-Landesvorsitzende Maryam Blumenthal, die sich in dieser Form auch als eine der ersten deutschen Politiker überhaupt engagiert hat. „Ich wurde am 12. Dezember von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte darum gebeten, eine Patenschaft für den 23-jährigen Mahan Sadrat zu übernehmen – 36 Minuten, bevor sein Todesurteil vollstreckt werden sollte.“
„Mir pochte das Herz bis in den Kopf“, schildert die Politikerin ihren damaligen Gemütszustand. Sie schrieb einen Post, der im Schneeballsystem über Instagram, Twitter und Facebook nach wenigen Stunden 1000-fach geteilt worden war – auch im Iran. Und tatsächlich wurde das Hinrichtungsurteil – zunächst – ausgesetzt. Dieser Erfolg habe dem gesamten Patenschaftsprojekt enormen Auftrieb gegeben, sagt Maryam Blumenthal, die mittlerweile zwei weitere Patenschaften übernommen hat: für den 26-jährigen Sahand Nourmohammadzadeh und, mit der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank zusammen, für die Schauspielerin Nazi Habibi.
Nicht immer bewahrt Patenschaft vor Hinrichtung
Dass sich Politiker parteiübergreifend in großer Zahl über die sozialen Medien vernetzten, dort kritische Beiträge mit entlastenden Videos oder Augenzeugenberichten teilten, das übe einen enormen Druck aus „auf den Iran, dem die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ja wichtig sind, aber auch auf deutsche Politiker und die Botschafter in Berlin und Teheran, sich für die Rechte der Häftlinge einzusetzen“. Diese „digitale Komponente“ sei es unter anderem auch, die die iranische Revolution von bisherigen Protesten unterscheide. „Hinschauen, verbreiten und immer wieder teilen – nur so kann man auf die Machenschaften des Unrechtssystems aufmerksam machen“, so die Politikerin, die mittlerweile neben der SPD-Bundestagsabgeordneten Ye-One Rhie eine Art Anlaufstelle für an einer Patenschaft interessierte Kollegen ist.
Dass eine Patenschaft aber nicht automatisch vor der Hinrichtung bewahrt, hat sich gerade erst gezeigt. Die am 7. Januar getöteten Demonstranten Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini waren „Patenkinder“ der Bundestagsabgeordneten Helge Limburg (Grüne) und Clara Bünger (Linke). „Als wir davon hörten“, so Maryam Blumenthal, „haben wohl alle von uns erstmal kollektiv geweint.“
Auch Ärztekammerpräsident bewarb sich um Patenschaft
Auch der Hamburger Ärztekammerpräsident Pedram Emami unterstützt einen iranischen Häftling – und ist damit als Nicht-Politiker eine Ausnahme unter den Paten. Der Hamburger Neurochirurg hatte sich im Dezember bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM) beworben, die Patenschaften für politische Gefangene in Ländern wie Kuba, China, Belarus und Iran vermittelt, und über ihre Schicksale informiert. Auch über den aufsehenerregenden Fall des Radiologen Hamid Gharehhassanloo und seiner Frau wird auf der Website berichtet: Das Ehepaar hatte am 3. November an einer Demonstration zum Gedenken der in Polizeigewahrsam gestorbenen Hadith Najafi teilgenommen und war danach zwei Männern, die bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung verletzt wurden, zu Hilfe gekommen. Während der Arzt den einen, einen Geistlichen, erstversorgen und ins Krankenhaus schicken konnte, starb der andere, ein Basiji- Milizionär.
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„Der Kollege wurde für den Tod des Milizionärs verantwortlich gemacht, schwer gefoltert und trotz anderslautender Augenzeugenberichte zum Tode verurteilt. Auch seine Frau wurde angeklagt“, so Ärztekammerpräsident Emami. „Das hat mich sehr betroffen gemacht.“ Er habe sich bei der IGfM, die überwiegend Politiker als Paten anwirbt, erkundigt, ob er nicht auch als Amtsträger und Kollege die Patenschaft für Hamid Gharehhassanloo übernehmen könne. Er konnte. „Und so schrieb ich am 15. Dezember die iranische Botschaft in Berlin und den Generalkonsul in Hamburg an“, erinnert sich Emami.
Emami: In sozialen Medien stetige Öffentlichkeit herstellen
Eine Rückmeldung habe er nie erhalten – aber dafür am 6. Januar die Nachricht, dass das Urteil gegen den Radiologen und seine Frau aufgehoben wurde und ihre Fälle neu verhandelt werden sollen. Der iranische Arzt habe viele Paten und Patinnen, auch in Schweden und Kanada. Der Erfolg sei also nicht nur auf sein Engagement zurückzuführen, betont der Ärztekammerpräsident. „Aber ich konnte über meine Arbeit im Weltärztebund, der Hamburger- und der Bundesärztekammer sowie in den sozialen Medien eine stetige Öffentlichkeit herstellen. Und das will ich auch weiterhin tun.“