Ein Film über einen Frauenmörder gibt tiefe Einblicke in die iranische Gesellschaft – und ist nun der Oscar-Kandidat aus Dänemark.
Dieser Film hat schon bei seiner Weltpremiere auf dem Filmfestival von Cannes für Aufsehen gesorgt. Und einen Hauptpreis gewonnen. Durch die seit Monaten andauernden Proteste im Iran aber, ausgelöst durch den Tod einer Frau durch Polizeigewalt, hat „Holy Spider“ an schauriger Aktualität gewonnen. Weil es auch im Film um den zutiefst repressiven Staat in Namen einer Religion, um Doppelmoral, „Anstand“ und Willkür geht. Und um Männer, die bestimmen, wie Frauen zu sein haben, sittsam und servil, während sie sich selbst alle Rechte zugestehen.
Ein Mann mordet Prostituierte - und die Behörden wollen ihn gar nicht stellen
Schon vor den Aufständen war der Film, der diese Woche in die deutschen Kinos kommt, delikat. Denn er spielt in Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Iran, die dem schiitischen Islam wegen der Gouhardschad-Moschee als heiliger Ort gilt und jährlich das Ziel von Millionen Pilgern ist. Ausgerechnet hier aber ereignete sich in den Jahren 2000 und 2001 eine der aufsehenerregendesten Mordserien des Landes.
Ein Bauarbeiter und Familienvater brachte insgesamt 16 Prostituierte um und galt als „Spinnenmörder“, weil er, wenn seine Familie nicht da war, seine Opfer zu sich nach Hause, quasi in sein Netz lockte, sie mit ihren eigenen Kopftüchern strangulierte. Und dabei glaubte, als Hand Gottes die heilige Stadt von verkommenen Sünderinnen zu reinigen.
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Der im Iran geborene, aber in Schweden lebende Regisseur Ali Abbasi hat darüber nun einen aufwühlenden Film gemacht. Natürlich nicht im Iran. Das wäre unmöglich gewesen. Selbst die Türkei, wo ursprünglich hätte gedreht werden sollen, verweigerte die Drehgenehmigung, weshalb man nach Jordanien auswiche. Und doch zeigt der Film die iranische Gesellschaft in einer Deutlichkeit, wie das aufgrund der drakonischen Zensur keiner heimischen Produktion gelingen könnte.
Gleich anfangs schon sieht man eine Frau, die sich im Spiegel betrachtet und dabei eine Brust offenlegt. Schon das wäre unmöglich in einem iranischen Film. Dann aber werden ganz offen verzweifelte Frauen am Rande der Gesellschaft gezeigt, Prostituierte, wie es sie im Iran offiziell gar nicht gibt, die die Armut oder eine Drogensucht zwingt, ihre Körper auf dem Straßenstrich zu verkaufen.
Bilder, wie man sie in iranischen Filmen nie zu sehen bekommt
Und ein finsterer Mann, Saeed (Mehdi Bajestani), fährt auf dem Motorrad herum, um sie zu erspähen, zu sich zu locken und brutal zu ermorden – was den Zuschauern nicht erspart wird. Vermeintlich um Gottes Werk zu vollbringen. Aber er lebt doch eher eine Obsession aus, vor der er dann noch anonym vor der Presse prahlt.
Der erste Teil des Films funktioniert wie ein klassischer Serienkiller-Film. Und erzählt dabei zwei Geschichten: die des Mörders. Und die einer mutigen Journalistin, Rahimi (Sahra Amir Ebrahimi), die aus Teheran nach Maschhad reist, um über den Fall zu berichten. Wobei ihr weder der örtliche Kollege noch die offiziellen Stellen und schon gar nicht die Polizei eine Hilfe sind.
Im Gegenteil: Sie behindern ihre Recherchen, wo sie können. Es scheint, dass den Behörden an einer Aufdeckung der Tat gar nicht gelegen ist, dass sie sie stillschweigend gutheißen. Weshalb die Journalistin von männlichen Beamten auch wiederholt bedrängt und eingeschüchtert wird. Bis sie selbst den Lockvogel spielt, um den Täter zu überführen.
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Viel wird hier erzählt über Doppelmoral und die Unterdrückung der Frau
Manche Kritiker bemängeln, dass dies ganz in den Konventionen eines (westlichen) Thrillers erzählt wird. Dabei ist das gerade der Trick, damit der Fall (und der Film) größtmögliche Öffentlichkeit erfährt. Denn in seiner zweiten Hälfte wird „Holy Spider“ ein ganz anderer Film. Der Täter, so viel dürfen wir verraten, es ist ja bekannt, kann schließlich gefasst werden. Aber dann wird aus dem Thriller erst recht ein Gruselfilm. Weil der Täter nichts bereut. Sondern sich noch mit seinen Taten brüstet. Und dafür als Held gefeiert wird. Während seine Opfer noch über den Tod hinaus öffentlich verhöhnt werden.
Noch unerträglicher als die drastischen Gewalttaten sind die Familienszenen, wo die Ehefrau des Mörders ihren Mann verteidigt und sein kleiner Sohn stolz auf dessen „Werk“ist und seine Vorgehensweise sogar fürs Fernsehen nachstellt, mit der kleinen Schwester als „Opfer“.
Viel wird hier erzählt über Doppelmoral, die Unterdrückung der Frau und Misogynie im Iran. Bezeichnend ist allein die Szene, wenn ein Hotelrezeptionist anfangs der Journalistin aus Teheran kein Zimmer geben will, weil sie ohne Mann reist, und sie dann auch noch auffordert, ihr Haar zu bedecken, „wegen der Sittenpolizei“. Wegen der rigiden Vorgehensweise eben jener Sittenwächter sind die Proteste im Iran entbrannt.
Der Film konnte nur mit internationalen Geldern in Jordanien gedreht werden
Die Hauptrolle der furchtlosen Journalistin spielt die ebenfalls furchtlose Zahra Amir Ebrahimi. Denn die Schauspielerin musste 2006 den Iran verlassen, nachdem dort ein Video aufgetaucht ist, das sie beim Sex mit ihrem Freund zeigen soll. Sie ging ins Exil, weil sie einen unfairen Prozess fürchtete. Und wirklich wurde sie, in Abwesenheit, zu 99 Peitschenhieben und zehn Jahren Berufsverbot verurteilt. Auch sie ist also ein Opfer der überkommenen Moralvorstellung. Und spielt höchst eindringlich. Wofür sie in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.
Beim Europäischen Filmpreis war „Holy Spider“ einer der großen Favoriten. Es ist fast sträflich, dass er leer ausging. Dafür gibt es nun die Chance auf einen Auslands-Oscar. Natürlich nicht als iranischer Beitrag. Der Film konnte nur als internationale Koproduktion, auch mit deutschen Geldern, finanziert werden. Und geht nun als dänischer Beitrag ins Rennen um den besten internationalen Film.
„Holy Spider“ 119 Min., läuft im Passage, 3001, Abaton, Studio, Zeise, UCI Othmarschen; Sondervorstellungen mit Produzent Sol Bondy: So 15.1., 17.00, Zeise, 19.00, Abaton.