Hamburg. Dominik Lorenzen über günstigen Wohnraum, das Auto in der Stadt, mehr Mut zum Risiko – und warum auch Linke oft konservativ sind.

Im vergangenen Mai hatte die grüne Bürgerschaftsfraktion mit ihrem Papier zur Stadtentwicklung Aufsehen erregt: Darin forderte die Partei in einem großen Aufschlag mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer, mehr Aufenthaltsqualität auf Plätzen, mehr Kunst und Kultur.

Mit konkreten Ideen für den Johannes-Brahms-Platz, den Lohbrügger Markt oder die Wandsbeker Chaussee schlugen die Grünen konkrete Verbesserungen in den Vierteln vor – nahmen also die ganze Stadt in den Blick und machten der sozialdemokratischen Stadtentwicklungssenatorin selbstbewusst Konkurrenz. Der Kopf hinter dem Papier war der grüne Fraktionschef Dominik Lorenzen.

Stadtentwicklung: Wie wird das Hamburg der Zukunft aussehen?

„Ich denke, wir haben einen positiven Beitrag zur Debatte geleistet“, sagt der 45-Jährige ein Dreivierteljahr später. „Stadtentwicklung geht immer in winzig kleinen Schritten, weil die Interessen vieler betroffen sind. Wir wollten zeigen, wie wir Grüne uns Stadtentwicklung vorstellen. Und man sieht, dass dieser Senat, da möchte ich jetzt die Sozialdemokraten ausdrücklich mit an Bord nehmen, eine Idee von Stadtentwicklung hat, die in diese Richtung geht.“

Gemeinsam gehe es darum, ein neues Leitbild weg von der autogerechten Stadt zu entwickeln. „Das hat vor 50 Jahren noch Sinn ergeben, aber jetzt geht es um ein anderes Bild der Zukunft. Es geht um Klimawandel, Umweltschutz, Aufenthaltsqualität.“ Die Grünen hätten pointiert klären wollen, wo es hingehen soll „Ich glaube, das kann und soll eine Fraktion leisten.“

Marktfläche soll Hamburgs City zukunftsfähig machen

Eine weitere Reaktion auf das Papier könnte eine wichtige Personalie gewesen sein – vier Wochen nach dem Thesenanschlag präsentierte Peter Tschentscher (SPD) im Juni 2022 die neue Innenstadtkoordinatorin Elke Pahl-Weber. „Das ist eine sehr kluge Frau“, lobt Lorenzen die Entscheidung des Bürgermeisters. „Sie kann einen wertvollen Beitrag leisten, die Akteure in der Innenstadt besser zu vernetzen.“ Es gelte Immobilienbesitzer, Einzelhändler, aber auch Bewohner zusammenzubringen.

Im Thesenpapier schlugen die Grünen konkret vor, das ehemalige Kaufhof-Gebäude, das Klöpper-Haus, in eine Markthalle zu verwandeln. Inzwischen sei man mit dem Eigner Tishman Speyer im Gespräch. „Das Beste ist, wenn man etwas bewegen will, nicht drüber zu reden“, hält sich Lorenzen bedeckt. Er betont aber, dass solche Marktflächen die Innenstadt zukunftsfähig machen. „Am Ende ist es die Entscheidung der Eigentümer, was mit der Immobilie geschehen soll. Es gibt sicher auch andere Orte, wo so etwas infrage käme.“

Warum die Verkehrswende auch denöffentlichen Raum verändert

Lorenzen, der zusammen mit Jennifer Jasberg die Fraktion führt, zieht ein positives Fazit der rot-grünen Regierungszusammenarbeit. „In dieser Legislaturperiode haben wir die Mobilitätswende richtig beschleunigt.“ Dabei gehe es zugleich um Stadtentwicklung, wie das Beispiel des Jungfernstiegs zeige. „Jede Neugestaltung des Verkehrs ist auch eine Umgestaltung des öffentlichen Raums.“

Als Nächstes stehe die Verschönerung des Burchardplatzes an. 2024 soll die Fläche im Herzen des Weltkulturerbes in neuem Glanz erstrahlen. Überall in der Stadt nimmt er positive Veränderungen wahr – etwa beim Deutschlandhaus am Gänsemarkt. „Wir erleben gerade einen ziemlichen Schub.“

Stadtentwicklung am Überseequartier: Lorenzen verhalten optimistisch

Anfang 2024 dürfte auch die HafenCity einen gewaltigen Schub erhalten: Dann eröffnet das Überseequartier, manche in der City fürchten die Konkurrenz. Lorenzen hat das Projekt seit seinem Einzug in die Bürgerschaft 2018 begleitet. „Wir haben immer den Dialog mit dem Betreiber Westfield gesucht. Er versteht, dass man dort nicht noch ein weiteres Einkaufszentrum braucht, sondern einen neuen Stadtteil mit dem Schwerpunkt Freizeit.“

Angesichts der Konzepte sei er „verhalten optimistisch, dass dieser Ort als Erweiterung der City funktionieren und keine zweite Innenstadt wird“. Entscheidend sei, die beiden Zentren zusammenzubinden und die Schneise der Ost-West-Straße zu überwinden. „Diese Aufgabe steht und fällt mit der Verkehrswende.“ Auch die Idee der Handelskammer, die Straße in einem Tunnel verschwinden zu lassen, kann sich Lorenzen vorstellen. „Das klingt super, kostet aber sehr viel Geld und dauert sehr, sehr lange.“ Die Aufgabe, die beiden Stadtteile zu vereinen, sei eine Herausforderung der nächsten zwei bis drei Dekaden. „Da brauchen wir noch gute Ideen.“

Warum der Eimsbütteler Marktplatz und Siemersplatz unattraktiv sind

Auch in den Bezirken sieht Lorenzen Veränderungsbedarf, der mit der Verkehrswende verwoben ist. Um autogerechte Magistralen wie die Wandsbeker Chaussee wiederzubeleben, bedürfe es zweierlei: weniger Verkehr und mehr Aufenthaltsqualität. „Als ich neu in Hamburg war, habe ich mich am Eimsbütteler Marktplatz verabredet. Es hat etwas gedauert, bis ich verstanden habe, dass dieser riesige Drehkreisel mit einer toten Grünfläche in der Mitte der Eimsbütteler Marktplatz ist.“

Auch der Siemersplatz sei kaum attraktiver. „Er bleibt eine Kreuzung, die wir noch mal richtig teuer umgebaut haben.“ Der Vater zweier Kinder wünscht sich, dass solche Orte wieder das Zentrum eines Stadtteils werden können. „Wenn es gelänge, den Verkehr etwa in einen Tunnel zu verlegen, könnte oben ein Platz mit Grünfläche, Spielgeräten, Café, Bäumen entstehen und Lokstedt sein Zentrum wiederbekommen.“ So trage die Mobilitätswende dazu bei, die Stadt attraktiver und zukunftsfähig zu machen.

„Der Individualverkehr spielt weiterhin eine Rolle, er soll auch nicht weg“, entgegnet Lorenzen den Kritikern der Verkehrswende. Es werde weiterhin viele Bereiche der Stadt geben, in denen der Pkw dazugehört. „Das ist in Ordnung. Aber wir können die Stadt besser für die verschiedenen Lebensbedürfnisse sortieren. Ein großer Teil der Menschen will und wird dauerhaft auf ein eigenes Auto verzichten, weil er es schlicht nicht braucht.“ Sein Ziel sei, in der Stadt schneller und besser von A nach B zu kommen – aber ohne Auto.

„Wir können in der Stadt nicht mehr hektarweise Flächen an parkende Autos vergeben. In einer verdichteten Großstadt müssen wir diesen wertvollen Platz besser nutzen.“ Quartiersgaragen könnten Parkflächen ersetzen, die dann zu echten Parks würden. „Wir müssen den Leuten erklären, dass die Mobilitätswende ein Mehrwert für alle sein kann.“

Fahrradverkehr soll höheren Anteil bekommen

Lorenzen kennt die Statistiken, wonach die Zahl der Fahrzeuge in der Hansestadt weiter steigt. Ihn interessiere mehr, dass zunehmend Wege mit dem Fahrrad oder im öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt werden. „Ich kenne viele Leute, denen ich es früher nie zugetraut hätte, die alle ihre Wege inzwischen mit dem Fahrrad fahren.“

Ihn selbst überrasche die Geschwindigkeit der Mobilitätswende. Als er 2009 den Grünen beitrat, lag der Anteil des Fahrradverkehrs bei einem Zehntel, noch in diesem Jahrzehnt sollten es 25 bis 30 Prozent werden. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir jetzt da stehen, wo wir stehen. Das ist grandios.“ Für Lorenzen ein Erfolg grüner Politik. Dabei habe er „mit den Grünen zunächst gar nicht viel am Hut“ gehabt, aber die Inhalte der Partei sagten ihm zu. Aus ein bisschen Engagement – „Wenn du den kleinen Finger hinhältst, reißen sie dir gleich den Arm ab“, lacht er – wurde eine rasante Karriere: Deputierter, Kreisvorstand, Bezirks-, schließlich Bürgerschaftsabgeordneter.

Hier treibt er die Mobilitätswende voran. „Wir wollen eine Politik machen, bei der es attraktiver ist, mit dem Rad oder dem ÖPNV zu fahren.“ Auch das autonome Fahren berge erhebliche Chancen: „Wenn man jetzt 5000 autonome Fahrzeuge in die Stadt bekäme, könnte man damit nach Berechnungen der Anbieter bis zu 150.000 Autos ersetzen, die eigentlich nur rumstehen. Mich begeistern die Chancen der Mobilitätswende.“

Günstiger Wohnraum „Megathema dieser Stadt“

Deutlich weniger begeistert fielen die Reaktion vonseiten der Immobilienwirtschaft zur „Wohnungswende“ aus: Mit den Initiatoren der Volksinitiative „Keine Profite mit Boden & Miete“ vereinbarten die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen im November einen Kompromiss. Zukünftig sollen pro Jahr 1000 Sozialwohnungen mit einer 100-jährigen Mietpreisbindung entstehen, Grundstücke will die Stadt nur noch im Erbbaurecht vergeben. Genossenschaften fürchten um die Finanzierung, Bauträger warnen vor einer Wiederholung der Fehler der 60er-Jahre.

„Das Thema günstiger Wohnraum ist das Megathema dieser Stadt. Unsere Aufgabe lautet, den Anstieg der Mieten zu drosseln. Auch Menschen mit normalen Jobs müssen sich ihre Miete noch leisten können“, sagt Lorenzen, früher wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Eine Stadt, die versagt, Wohnraum für die Mittelschicht bereitzustellen, wird sozial scheitern.“ Er nennt ein Beispiel: „Wer heute nach Eimsbüttel ziehen will, muss schnell 22 Euro bezahlen. Da nützt es ihm nichts, dass die Durchschnittsmiete normalerweise deutlich unter diesem Betrag liegt.“

Bündnis für das Wohnen: Was Lorenzen den Kritikern rät

Lorenzen kann die harsche Kritik aus dem Bündnis für das Wohnen nicht nachvollziehen: „Wir haben verstanden, dass die Finanzierung für die Bauträger und Genossenschaften ein bisschen komplizierter und schwieriger wird. Aber da hat unser Finanzsenator inzwischen nachgesteuert, dass es trotzdem geht.“

Der Grünen-Politiker sieht die große Herausforderung eher in der Bereitstellung der Flächen und rät den Kritikern: „Wartet ab, lasst uns das zusammen hinbekommen und dafür sorgen, dass wir diese Mengen an geförderten Wohnungen überhaupt erreichen und diese dann länger in der Förderung bleiben.“ Er hält die Kritik für „etwas voreilig“ und bezeichnet die Drohungen der Bauträger, ins Umland auszuweichen, als „Säbelrasseln“.

Das Thema Flächenversiegelung müsse in Zukunft stärker bedacht werden, fordert Lorenzen: „Wir können nicht unbegrenzt Flächen versiegeln. Deswegen wird die Stadt vermutlich eher moderat in die Höhe als in die Fläche wachsen. Wir brauchen unsere Flächen auch als Grünräume und für den Natur- und Katastrophenschutz.“ Insgesamt wünscht sich Lorenzen, dass die Stadt mutiger wird. Er trauert der gescheiterten Idee des Shared Space nach: Der rot-grüne Senat wollte 2008 als Versuch eine Gemeinschaftsstraße in der Osterstraße schaffen – dort hätten alle Verkehrsteilnehmer die gleichen Rechte bekommen und sich die Straße geteilt. „Ich habe als Kommunalpolitiker das Scheitern sehr bedauert. Aber die Umbauten jetzt gefallen mir auch. Das ist ein Shared Space light.“ Er hofft, dass das Konzept der Gemeinschaftsstraße irgendwann ausprobiert wird. „Der Blick nach Holland zeigt: Mit ein bisschen Mut entdeckt man großartige neue Wege, in der Stadt zu leben.“

Der Stadtentwicklungspodcast mit Dominik Lorenzen:

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Lorenzen, der als Deutscher in der Nähe von Rotterdam zur Welt kam, verortet beim Thema Architektur dort die „absolute Avantgarde. Wer sich für Stadtentwicklung und Architektur interessiert, muss nach Rotterdam. Ihren Mut würde ich mir hier auch manchmal wünschen.“

Von der Sommerreise der Fraktion nach Finnland hat er viele Anregungen und Impulse für Stadtentwicklung und Bildungspolitik mitgebracht: „Die Finnen sind ebenfalls mutig und probieren einfach aus.“ Gerade das Bildungssystem und die Gestaltung der Schulen könnten ein Vorbild sein. In Hamburg hingegen spürt er oft einen starken konservativen Reflex, der an allem festhalten will – „übrigens nicht nur bei Konservativen, sondern auch bei Linken: Stichwort Sternenbrücke“.

Auf einer Skala von eins (nicht mutig) bis zehn (todesmutig) sieht er seine Wahlheimat steigen. „Mit diesem Senat haben wir uns von mittelmutig bei fünf auf sieben nach vorne gearbeitet. Aber es ist Luft nach oben, ein bisschen mehr geht noch. Dafür steht die grüne Seite, dass wir Gesellschaft ein bisschen stärker und schneller verändern wollen als unser Koalitionspartner.“

Dominik Lorenzen: Ein Herz für Eimsbüttel

Meine Lieblingsstadt ist – die Antwort klingt maximal langweilig – Hamburg. Ich wollte immer hierher und, voilà, hier bin ich seit 20 Jahren. Und ich bin gekommen, um zu bleiben.

Mein Lieblingsstadtteil ist Eimsbüttel. Hier bin ich nach einem kleinen Umweg über Hamm hingezogen. Zuerst habe ich unweit der Osterstraße gelebt, später dann in Niendorf. Seitdem ist Eimsbüttel meine Heimat.

Mein Lieblingsort in der Hansestadt hängt ein bisschen von der Stimmung ab. Ich mag die ganze Ecke rund um die Osterstraße, das quirlige Leben, die Geschäfte, die sehr gute Erreichbarkeit. Das Karstadt-Gebäude ist zwar potthässlich, aber irgendwie hat die Ecke ihren eigenen Charme.

Mein Lieblingsgebäude ist die Elbphilharmonie, ein beeindruckender Bau. Da passt alles: Der Standort, der alte Hafenspeicher und der moderne Glasaufbau haben die Stadtsilhouette bereichert.

Einmal mit der Abrissbirne … ist eine knifflige und schwierige Frage. Wir haben früher Orte gebaut im besten Willen, sozialen Wohnraum zu schaffen. Leider haben wir dabei aus heutiger Perspektive Unorte geschaffen: Diese Plattenbauten sollten wir irgendwann wegnehmen und für die Menschen schöner, grüner und architektonisch ansprechender gestalten.