Hamburg. Zahl der Einsätze hat sich verdoppelt, Feuerwehrleute wandern ins Umland ab. Gewerkschaft fordert “Hamburg-Zulage“.
Wenn Notrufe eingehen, fahren die Mitarbeiter der Feuerwehr im Eiltempo zum Einsatzort. Doch jetzt setzen sie selbst einen Notruf ab: „Unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten am Limit. Wir bluten aus“, klagt Alexandra Wastrack, Mitarbeiterin der Feuerwehr Hamburg und Mitglied in der Gewerkschaft Ver.di. Kollegen wanderten wegen der schlechten Bezahlung ins Umland ab, freie Stellen blieben unbesetzt. Rund ein Drittel des ursprünglichen Personals sei vor allem wegen Eintritts ins Rentenalter nicht mehr vorhanden.
Die Folge: starke Belastungen der Kollegen vor Ort, fehlende Ruhephasen, hoher Krankenstand. Für Silvester erwartet Alexandra Wastrack eine kaum absehbare Steigerung der Einsätze. „Wir haben keine Vorstellung, wie hoch, aber es wird in dieser Nacht sehr schwer werden, unseren Auftrag zu erfüllen.“
Feuerwehr Hamburg: Ver.di veröffentlicht dramatischen Appell
Kaum anders ist die Situation beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Stadt Hamburg. Seine Aufgabe ist es, Kinder vor Gefährdungen zu bewahren und Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Anneli Schröder arbeitet im ASD Süderelbe. Wegen der Pandemie hat dort die Zahl der Fälle um 40 Prozent zugenommen – bei konstant dünner Personaldecke. „Bei uns brennt die Hütte. Kolleginnen wechseln zu privaten Trägern oder Kommunen im Umland, die besser bezahlen“ , sagt sie. Wer bei Arbeitgebern in Niedersachsen arbeite, erhalte zwei Tage mehr Urlaub als in Hamburg und – je nach Eingruppierung – monatlich 180 Euro mehr Gehalt.
Mit einem dramatischen Appell hat sich die Gewerkschaft Ver.di deshalb am Donnerstag an die Öffentlichkeit gewandt: Die Beschäftigten von Feuerwehr und Sozialen Diensten können ihren Versorgungsauftrag bald nicht mehr erfüllen, heißt es. „Das trifft jetzt auch die Feiertage in der gesamten Stadt“, so Ver.di-Gewerkschaftssekretär Max Stempel.
Zahl der Einsätze hat sich mehr als verdoppelt
Wie belastend die Situation offenbar ist, zeigen diese Daten: Bei der Hamburger Feuerwehr hat sich die Zahl der Einsätze pro Tag in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt, die Zahl der Kolleginnen und Kollegen aber nicht. Experten beobachten bundesweit diesen Trend, der auch im demografischen Wandel begründet ist. Ältere Menschen benötigten tendenziell häufiger Rettungsdienste. „Wir sind auch ein bisschen Kummerkasten. Wenn Menschen nicht wissen, wie sie mit einer Notsituation umgehen sollen, wählen sie die 112“, sagt ein Feuerwehrmann. Verschärfend kommt hinzu, dass nur in Hamburg Feuerwehrleute Rettungseinsätze fahren, was die Belastung enorm steigere.
Mehr noch: Ver.di und der Landesverband Hamburg der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) weisen darauf hin, dass Fahrzeuge der Rettungsdienstanbieter in der Hansestadt aufgrund von Personalmangel nicht mehr besetzt werden können. Löschfahrzeuge würden regelmäßig außer Dienst genommen, um mit dem dadurch frei gewordenen Personal Rettungswagen zu besetzen. Zum 1. Januar 2024 würden der Feuerwehr Hamburg zudem 250 bis 400 Notfallsanitäter fehlen. Damit dürfte sich die Situation im Rettungsdienst nochmals verschärfen, da alle Einsatzleiter auf den Rettungswagen wegfielen, die nicht über die gesetzlich geforderte Qualifikation „Notfallsanitäter/-in“ verfügten.
Ver.di fordert für Feuerwehr und Soziale Dienste "Hamburg-Zulage"
Für alle, die plötzlich Hilfe brauchen, kann das fatale Folgen haben: Einsatzkräfte treffen später als vorgeschrieben vor Ort ein. Und die Wartezeiten am Notruf können sich von zehn auf 20 Sekunden schon mal verdoppeln.
Um die Situation zu verbessern, fordert Ver.di für Feuerwehr und Soziale Dienste eine bessere Bezahlung mit einer „Hamburg-Zulage“, um die Abwanderung ins Umland zu stoppen. Grund dafür sind die hohen Hamburger Lebenshaltungskosten. „Wer in Hamburg arbeitet, muss auch in Hamburg leben können“, sagt Gewerkschaftssekretär Max Stempel und verweist auf eine Studie: Danach werden 70 Prozent der Tarifbeschäftigten der Freien und Hansestadt unterhalb des mittleren Einkommens bezahlt. Über die Höhe der geforderten Hamburg-Zulage wollte die Gewerkschaft noch keine Angaben machen. Die bisherigen Gespräche mit dem Finanzsenator seien ergebnislos geblieben.
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Feuerwehr Hamburg: Personalaufbau soll laut Innenbehörde vorangehen
Die Innenbehörde machte auf Abendblatt-Anfrage deutlich, dass das Personal im Einsatzdienst seit Jahren kontinuierlich verstärkt wird. Zuletzt gab es 3060 Feuerwehrbeamte und Beschäftige im Rettungsdienst. „Der Personalaufbau geht in den kommenden Jahren weiter“, sagt Behördensprecher Daniel Schaefer. Dass die Einsatzzahlen steigen, sei ein bundesweiter Trend.
Auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg benötige der Hilfsdienst im öffentlichen Rettungseinsatz acht Minuten nach Notrufeingang. Dieser Wert liege niedriger als in anderen Bundesländern. Die Erfüllungsquote der Eintreffzeiten werde allerdings durch verschiedene Faktoren beeinflusst.