Hamburg. Feuerwehr hatte wegen der vielen Verletzten eine „spontane“ Idee. Die Bilanz eines herausfordernden Tags für alle Rettungskräfte.
Um einen kleinen Eindruck vom Ernst der Glatteislage zu bekommen, musste man am Montag nur einen Blick in eine Turnhalle auf St. Pauli werfen. Hier baute die Feuerwehr einen „Behandlungsplatz“ auf. Solche Einrichtungen sind im Katastrophenfall dazu da, sehr schwer verletzte Menschen von weniger schlimm betroffenen Patienten zu trennen.
Dabei geht es um die Frage, wer sofort in eine Klinik muss und wer es noch ein paar Minuten aushält. Experten sagen: In dieser Turnhalle hat die Feuerwehr das gemacht, was eine Notaufnahme bei einem Massenanfall von Verletzten tut – sie triagierte. Sie teilte also erkrankte oder verletzte Patienten nach medizinischen Gesichtspunkten in Gruppen ein.
Glatteis in Hamburg führte zu zahlreichen Unfällen
In den Notaufnahmen der Kliniken konnte diese Triage am Montag nur begrenzt stattfinden, so hoch war die Zahl der vor allem am Morgen bei Glatteis ausgerutschten Menschen. Der Eisregen und die extreme Glätte hatten zu mehreren Hundert Unfällen und Stürzen geführt. Deshalb entschied die Feuerwehr, die Rettungswagen und die Ärzte und Pflegekräfte in den Kliniken etwas zu entlasten. Zeit gewinnen – das war das Gebot der Stunde.
Denn Hamburgs Notaufnahmen und Krankenhäuser sind schon seit Wochen extrem beansprucht wegen der Welle an Atemwegsinfekten, an RS-Viren, Influenza und, immer noch, Corona. Das betrifft auch die Mitarbeiter.
Senatorin Schlotzhauer traf eine Entscheidung
Immerhin: Aufgeweicht wurde die Behördenansage aus der vergangenen Woche, dass sich die Notaufnahmen der Kliniken nicht mehr von der Leitstelle abmelden dürfen und jeden Patienten nehmen müssen, der da kommt.
Nach Abendblatt-Informationen erlaubte die Gesundheitsbehörde von Melanie Schlotzhauer (SPD) den Krankenhäusern wieder, sich für zwei Stunden pro Tag abzumelden. Durchschnaufen für dauergestresste Notfallteams.
Verletzten wurden mit Löschfahrzeugen transportiert
Der Behandlungsplatz mitten in der Stadt war nicht die einzige Besonderheit an diesem Tag. Laut Feuerwehr wurden die Verletzten zum Teil mit Löschfahrzeugen transportiert.
Zusätzlich machte auch noch die Technik in der Einsatzzentrale den Helfern einen Strich durch die Rechnung. Nach Abendblatt-Informationen lief die Rettungsleitstelle zwischenzeitlich im Notbetrieb. Die Berufsfeuerwehr erhielt daher Unterstützung von der Freiwilligen Feuerwehr Berliner Tor. Statusmeldungen mussten zum Teil per Funk weitergegeben werden.
Seit dem frühen Morgen bis zum Mittag galt die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes. Die Meldungen hatten sich über die Warn-Apps MoWas, NINA und Katwarn fortgepflanzt. Die Feuerwehr setzte noch einen drauf. Alle Hamburgerinnen und Hamburger wurden aufgefordert, in geschützten häuslichen Bereichen zu bleiben und unnötige Wege im Freien zu vermeiden: „Bleiben Sie drinnen und wählen Sie den Notruf 112 nur bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen!“
„Es waren überwiegend Leichtverletzte“
Die Polizei rückte zwischen 5 Uhr und 15 Uhr zu rund 200 Verkehrsunfällen aus. Erst ab Mittag nahm die Zahl der witterungsbedingten Unfälle deutlich ab. Bei etwa 30 Unfällen gab es Verletzte. „Es waren überwiegend Leichtverletzte“, so Polizeisprecher Sören Zimbal.
Auch die Stadtreinigung meldete am Mittag leichte Entspannung. „Die Temperaturen der Bodenbeläge sind jetzt alle im Plusbereich“, sagte Sprecher Andree Möller. Seit nachts um 2 Uhr waren Hauptverkehrsstraßen, Bushaltestellen, Fußgängerwege mit Mittelinseln und Zebrastreifen, ein ausgewähltes Netz an Radwegen sowie wichtige anliegerfreie Gehwege mit Sand oder Salz gestreut worden.
Mehr als 60 Glatteisopfer im UKE verarztet
Doch nicht überall war der Winterdienst unterwegs – zum Beispiel nicht in schwer zugänglichen Wohn- und Nebenstraßen. In vielen Fällen standen hier laut Stadtreinigung die Anwohner in der Pflicht. Glatte Gehwege, von denen dem Abendblatt aus dem gesamten Stadtgebiet berichtet wurde, seien eher auf säumige Anlieger zurückzuführen, hieß es.
Die Folgen waren in den Notaufnahmen zu sehen. Im UKE wurden bis zum Mittag mehr als 60 Glatteisopfer unfallchirurgisch verarztet. Die meisten waren als Fußgänger ausgerutscht oder mit dem Rad gestürzt. UKE-Sprecherin Saskia Lemm sagte, es könne sein, dass die Zahl der Patientinnen und Patienten noch steige. Im Marienkrankenhaus wurden am Mittag 26 Unfallopfer gleichzeitig versorgt.
Glatteis in Hamburg: „Die Lage ist aber beherrschbar“
Chefarzt Dr. Michael Wünning sagte, es handele sich vornehmlich um Frakturen und Gehirnerschütterungen. „Die Lage ist aber beherrschbar.“ Auch die Asklepios-Kliniken meldeten Hochbetrieb aus den Notaufnahmen. „Wir haben schon durch die vielen Infektionskrankheiten ein hohes Aufkommen“, sagte Sprecher Matthias Eberenz.
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In der Turnhalle an der Budapester Straße hätte man im Extremfall bis zu 50 leichter Verletzte über Stunden betreuen können, bis Krankenhauskapazitäten wieder vorhanden sind. „Wir haben das zum ersten Mal gemacht“, sagte Feuerwehrsprecher Jan Ole Unger. Die Idee sei „spontan“ gekommen. Jetzt werde man den Einsatz auswerten und die Ergebnisse in zukünftige Planungen einfließen lassen.