Hamburg. Gedenkveranstaltung für Yagmur, die 2013 von der eigenen Mutter getötet wurde. Projekt “Kinderfreundlicher Raum“ wird ausgezeichnet.

Es war ein Schicksal, das die Stadt tief erschütterte: Die kleine Yagmur, gerade einmal drei Jahre jung, wurde von der eigenen Mutter zu Tode misshandelt, starb an 82 inneren und äußeren Verletzungen. Das war am 18. Dezember 2013.

Deshalb lädt die Yagmur Gedächtnisstiftung, die „Hamburgs oberster Kinderschützer“ Michael Lezius einst aus seinem Privatvermögen heraus gegründet hat, an diesem Sonntag, dem Todestag des kleinen Mädchens, bereits zum siebten Mal zu einer Gedenkveranstaltung in den Großen Saal des Hamburger Rathauses.

Yagmur-Stiftung: „Kinderrechte immer noch nicht im Grundgesetz"

Vor knapp 300 geladenen Gästen diskutieren unter anderem Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), der Familienrechtsexperte Professor Dr. Ludwig Salgo von der Universität Frankfurt und der Kinder-und Jugendpsychiater Professor Dr. Jörg M. Fegert (Uniklinikum Ulm) darüber, wie wir Kinder noch besser schützen können. „Die Kinderrechte stehen immer noch nicht im Grundgesetz“, sagt der Stiftungsvorsitzende Michael Lezius. „Ich warte seit 40 Jahren auf signifikante Fortschritte.“

Höhepunkt der Veranstaltung ist traditionell die Vergabe des Yagmur-Erinnerungspreises, mit dem Persönlichkeiten und/oder Projekte ausgezeichnet werden, die Kinderschutz und Zivilcourage fördern. In diesem Jahr geht der mit 2000 Euro dotierte Preis an den „Kinderfreundlichen Raum“, eine Kooperation unter anderem von Bezirk Altona, Jugendhilfe und der Hilfsorganisation Plan International.

Der langjährige Michel-Pastor Helge Adolphsen hält die Laudatio

Der Impuls zu dem Projekt sei während der vielzitierten Flüchtlingskrise von 2015 entstanden, sagt Dr. Meike Nitschke-Janssen, Kinder- und Jugendpsychiaterin und fachliche Leiterin des Projekts, die selbst jedoch lieber von einer „Migrationswelle“ spricht: „In meinen Sprechstunden in einer Erstaufnahmeeinrichtung an der Schnackenburgallee habe ich damals mit großem Erschrecken festgestellt, dass viele geflüchtete Kinder und Jugendliche mindestens so sehr unter der aktuellen Unterbringung litten wie unter den Traumata von Krieg und Flucht. Und Kollegen hatten einen ähnlichen Eindruck.“

Dass Hunderte Kinder auf engstem Raum und ohne „Schutzzonen“ in einem teils gewalttätigen und sexualisierten Umfeld untergebracht waren, kritisierten 2018 verschiedene Experten in einem Warnbrief, in dem sie von einer „latenten bis akuten Kindeswohlgefährdung“ sprachen. Der langjährige Michel-Pastor Helge Adolphsen, der als Vorsitzender der Jury am Sonntag die Laudatio auf die Preisträger halten wird, fasst den Inhalt so zusammen: „Dass Flüchtlingsfamilien über Jahre auf beengtem Raum und ohne Rückzugsmöglichkeiten leben müssen, ist menschenunwürdig. Es ist längst an der Zeit für Veränderung und Verbesserung.“

Rückzugsort für Familien geschaffen

Und diese Verbesserung kam, unterstützt von Fördern & Wohnen und finanziert durch den Quartiersfonds Altona, 2019 in einem ersten kleinen Schritt mit einem Pilotprojekt in einer Unterkunft am Albert-Einstein-Ring. „Da gab es dann einen Raum, der abschließbar war, und in dem Kinder unter pädagogischer Aufsicht spielen, toben und in Ruhe mit ihren Eltern zusammen sein konnten“, sagt Dr. Meike Nitschke-Janssen. Dass es einen solchen Rückzugsort vorher nicht gegeben habe, sei wohl der Situation geschuldet gewesen.

„Man hat sicherlich sehr schnell auf den Strom der Migranten reagiert, aber dabei nicht an die Bedürfnisse der Kleinsten gedacht“, sagt die Expertin. „Man war wohl in der Planung auch eher davon ausgegangen, dass viele geflüchtete Familien nur kurz hier sein würden. Dass manche Kinder den größten Teil ihrer Kindheit in einer Unterkunft verbringen würden, war so nicht absehbar.“

„Kinderfreundliche Raum“ in vier Bezirken umgesetzt

Das Projekt wurde schnell ein großer Erfolg, wie auch eine wissenschaftliche Auswertung bestätigte: Mittlerweile wird der „Kinderfreundliche Raum“ in vier Hamburger Bezirken umgesetzt, knapp 1000 Kinder profitieren so von diesem präventiven Schutz. „Wir freuen uns sehr, dass das Modell Schule macht und dass beispielsweise der Bezirk Mitte das Projekt noch weiter ausbauen möchte“, sagt Dr. Meike Nitschke-Janssen, die die Auszeichnung stellvertretend für ein ganzes Team von engagierten Helfern entgegennehmen wird. „Das heißt noch nicht, dass jede Flüchtlingsunterkunft kinderfreundlich ist. Aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.“

Das sieht auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries so, der einst den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Yagmurs Tod gründete und heute Mitglied im Kuratorium der Yagmur Gedächtnisstiftung ist: „Kinder sind der schutzbedürftigste Teil unsere Gesellschaft. Ihr Hilfeschrei sollte nicht an erwachsenen Ohren verstummen.“

Yagmur-Stiftung: Ihr Schicksal darf sich nicht wiederholen

Dass sich das Schicksal von Yagmur, aber auch jenes von Michelle, Jessica oder Mariam, die alle in Hamburg durch elterliche Gewalt zu Tode kamen, nicht wiederholt, dass ist die größte Aufgabe der Yagmur Stiftung. „Dafür kämpfen wir weiter mit Leidenschaft und Herzblut“, verspricht Gründer Michael Lezius.