Hamburg. Michael Lezius kämpft seit Jahren gegen Missbrauch in Hamburg, unter anderem mit eigener Stiftung. Wo er Handlungsbedarf sieht.
Leberriss, innere Blutungen, mehr als 80 Hämatome auf dem kleinen Körper. Qualvoll, das las sich sogar aus dem so nüchternen Obduktionsbericht heraus, war die damals dreijährige Yagmur gestorben. Misshandelt und aus dem kurzen Leben geprügelt von der leiblichen Mutter.
Der Fall aus Hamburg machte 2013 bundesweit Schlagzeilen: Wie konnten es Jugendamt, Rechtsmedizin und Familiengerichte in der Stadt geschehen lassen, dass ein kleines Mächen aus einer liebevollen Pflegefamilie zurückgeführt wurde zu einer Frau, die als gewalttätig berüchtigt war?
Kinderschützer über Prozess gegen Yagmurs Eltern: „nahezu unerträglich“
Es war diese Kernfrage, die sich auch Michael Lezius stellte. Der frühere Wirtschaftsmanager, der neben zwei leiblichen Töchtern auch zwei Pflegekinder, die heute 37 und 41 Jahre alt sind, großgezogen hat, verpasste so gut wie keinen Tag im Prozess gegen Yagmurs Eltern. Er hielt diese Sitzungen aus, über die selbst erfahrenste Gerichtsreporter sagten, sie seien „nahezu unerträglich“ gewesen.
Auch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss besuchte er, stets mit Anzug und Krawatte, damals so beharrlich, dass der Vorsitzende André Trepoll von der CDU schon meinte: „Sie gehören ja fest dazu.“ Michael Lezius sagte nur: „Wenn ich etwas für den Kinderschutz erreichen will, dann muss ich das alles durchstehen.“
Und er hat sehr viel erreicht in den vergangenen Jahren, auch wenn es zweifelsohne noch unendlich viel zu tun gibt. Michael Lezius aber hat das Thema Kinderrechte ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt – insbesondere durch die von ihm 2015 aus seinem Privatvermögen heraus gegründete Yagmur-Stiftung, die jedes Jahr am 18. Dezember, dem Todestag des kleinen Mädchens, im Rathaus an Yagmurs trauriges Schicksal, aber auch an die Leiden der vielen anderen misshandelten Kinder in diesem Land erinnert.
Hamburger Kinderschützer Lezius sucht Nachfolger
Jedes Jahr wird auch der mit 2000 Euro dotierte Preis „Zivilcourage im Kinderschutz“ vergeben, die aktuelle Ausschreibung läuft (siehe Infokasten): „Mit dieser Auszeichnung ehren wir Menschen oder Institutionen, die sich nicht scheuen, auf Missstände beim Kinderschutz oder Gefahren für das Kindeswohl hinzuweisen und die sich mutig für Kinderrechte einsetzen“, sagt der Stifter.
Vor wenigen Tagen hat Michael Lezius mit Familie und Freunden seinen 80. Geburtstag gefeiert, doch nach einem Fahrradunfall fühlt er sich noch nicht ganz wieder fit. Und der Kampf für die Kinder und für mehr Gerechtigkeit erfordert Kraft. Deshalb sucht Michael Lezius, der „seiner“ Stiftung als Berater treu bleiben möchte, nun eine Nachfolge.
„Es muss jemand sein, dem die Kinder am Herzen liegen, der Leidenschaft mitbringt und im besten Fall auch Fachkenntnisse“, sagt der gebürtige Berliner, der mit seiner Frau in einem Mehrgenerationenhaus in Barmbek lebt und sich weit mehr als 40 Jahre politisch und gesellschaftlich engagiert hat. Er gab Lesehilfe für Grundschüler, engagierte sich im Stadtteilbeirat, stritt gegen den Abriss von Fritz-Schumacher-Häusern, verlegte Stolpersteine und kämpfte vor allem für die Kinder in dieser Stadt. „Empathie und Nächstenliebe, das hat in unserer Familie einfach immer eine große Rolle gespielt“, sagt der Diplom-Kaufmann bescheiden. Ein „gutes Leben“ zu führen, das bedeute doch, nicht nur für sich selbst zu sorgen.
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Gewalt gegen Kinder: Pandemie hat Lage in Hamburg verschlimmert
Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger in der Stiftung müsse „um Himmels willen“ nicht alles genauso machen wie er, sagt Lezius. „Ich freue mich, wenn jemand kommt, der neue und eigene Akzente setzt.“ Handlungsbedarf gebe es, denn allein im vergangenen Jahr seien bundesweit 145 Kinder durch Misshandlungen getötet, 4387 körperlich misshandelt und 17.704 sexuell missbraucht worden. „Die Pandemie hat die Lage teils noch verschlimmert, und die Dunkelziffer ist ohnehin enorm.“
Er selbst halte es nach wie vor für „falsch“, dass Pflegeeltern und leibliche Eltern in Deutschland so unbedingt zusammenarbeiten müssten. „Manchmal klappt das nicht. Und wenn ein Kind beim Anblick der leiblichen Eltern panisch wird und aus den Armen der Pflegeeltern gerissen werden muss, dann stimmt doch was nicht.“