Hamburg. Fußgänger-Überweg in Iserbrook wird für eine Million völlig neu errichtet. Anwohner sind empört. Die Hintergründe.
Für die einen ist es eine zwingende Notwendigkeit, für die anderen Geldverschwendung und ein Schildbürgerstreich: In Iserbrook soll eine Fußgängerbrücke für mehr als eine Million Euro völlig neu gebaut werden, die nach Ansicht zahlreicher Anwohnerinnen und Anwohner aber nur sehr wenig genutzt wird. Sie machen geltend, dass wenige hundert Meter entfernt eine Straße verläuft, die als Verbindungsweg genauso tauglich sei und viel mehr frequentiert werde.
70 Jahre alte Brücke kann nicht mehr saniert werden
Anfang September waren die Anwohnenden rund um die Fußgängerbrücke Bargfredestraße von dem geplanten Neubau informiert worden. Der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) soll die rund 70 Jahre alte Brücke im Auftrag der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) abreißen und völlig neu bauen.
Untersuchungen hätten ergeben, dass das alte Bauwerk nicht saniert werden könne, entsprechend müsse für mehr als eine Million Euro neu gebaut werden. Doch ist eine neue Brücke an dieser Stelle überhaupt nötig?
Schrebergärten müssen weichen, teure Gutachten nötig
Beim Treffen vor Ort zeigt sich, dass die alte Brücke mit den steilen Treppenaufgängen in der Tat marode aussieht, ein Abbruch scheint unvermeidlich. Doch der Neubau wird nicht nur teuer, sondern auch sehr aufwendig. Vor Ort müssen unter anderem Hecken, ein Carport und einige Schrebergärten vorübergehend weichen.
Dort entstehen Schneisen für die Baumaschinen und Material-Lagerflächen. Außerdem müssen Gutachten zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Belastungen für die Anwohner erstellt werden. Die Stadt veranschlagt für die Arbeiten mehr als ein Jahr:
Baubeginn soll im September kommenden Jahres sein
Baubeginn soll im September kommenden Jahres sein, die Fertigstellung wird für den November 2024 angepeilt. „Das ist doch alles Irrsinn“, sagt Carsten Sellmer, der unmittelbar neben der Brücke wohnt. „Mehr als eine Million Euro für eine Brücke, die kaum einer braucht“.
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Und einer seiner Nachbarn, Heinz-Jürgen Dirks, pflichtet bei: „Hier sieht man meist Spaziergänger, die ihre Hunde ausführen. Der ganze Aufwand lohnt sich überhaupt nicht, zumal gleich um die Ecke eine Straße ist.“
Brauchen Bahnhofnutzer die Brücke wirklich?
Die Fußgängerbrücke liegt zwischen Simrockstraße und Hasenhöhe (Höhe Bargfredestraße). Sie überquert die S-Bahngleise und einen Teil einer Kleingartenanlage (siehe Karte oben links). Die Behörde gibt die Weg-Ersparnis durch die Brücke mit 600 Metern an – das ergibt sich, wenn man zwischen Hasenhöhe und Simrockstraße pendelt, ohne die Brücke nutzen zu können.
Sellmer und Dirks machen jedoch geltend, dass die weitaus meisten Besucher dieser Straßen vom Blankeneser Bahnhof kommen, der südwestlich der Bohnstraße liegt. Wer vom Bahnhof beispielsweise zum Hallenbad Simrockstraße gehen oder radeln möchte, brauche die Hasenhöhe überhaupt nicht hochzulaufen, um dann über die Brücke zu gehen.
Anwohner errechnen vier Minuten Zeit-Einsparung
Der Weg durch die Bohnstraße sei nach ihren Berechnungen nur knapp vier Minuten länger. Auch die Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschule Blankenese, die täglich mit der S-Bahn zum Bahnhof Blankenese fahren, nutzen die Bohnstraße oder weiter südlich gelegene Achsen. „Warum das Rad über eine Brücke schieben, wenn man auf einer ruhigen Straße fahren kann?“ wundert sich Dirks.
Neue Brücke ist nicht behindertengerecht
Doch die Kritik von Sellmer und Dirks, die nach ihren Angaben im Namen vieler Nachbarinnen und Nachbarn sprechen, geht noch weiter. Denn wie die Stadt auf Nachfrage bestätigt, kann die neue Brücke nicht behindertengerecht gebaut werden. „Im Rahmen der Variantenbetrachtungen wurde eine barrierefreie Lösung als Alternative gründlich geprüft und an dieser Stelle verworfen“, sagt Dennis Krämer, Sprecher der BVM.
„Die barrierefreie Variante an gleicher Stelle hätte einen erheblich größeren Flächenbedarf“, so Krämer. Zudem wären die Anwohnenden laut Krämer durch lange Rampen zur Brücke stark beeinträchtigt worden.
Anwohner fordern: Auf Neubau verzichten
Für Carsten Sellmer und Heinz-Jürgen Dirks ist „der Irrsinn damit komplett“, wie sie sagen. „Die einzigen, denen ein paar Minuten Fußweg wirklich mehr ausmacht, sind doch die Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind“, sagt Carsten Sellmer, „aber gerade die werden diese neue Brücke gar nicht nutzen können.“
Dirks und Sellmer schlagen vor, die alte Brücke doch zu sanieren oder das Bauwerk ersatzlos abzureißen. „Zwischen anderen Straßen gibt es doch auch keine Fußgängerbrücken“, sagt Sellmer, „das ist alles eine Sache der Gewöhnung.“
Hamburger Behörde sieht Brücke „stark frequentiert“
Bei der Verkehrsbehörde sieht man das anders. Die Brücke sei eine „stark frequentierte Querungsmöglichkeit“, so Dennis Krämer. „Sie wird insbesondere von Kindern und Jugendlichen sowie Schülerinnen und Schülern als Schulweg und Weg zum Schwimmbad sowie den Sportanlagen der Schule genutzt.“