Hamburg. Beim Thema Elbschlick sind Bürgermeister Tschentscher und Umweltsenator Kerstan heftig aneinandergeraten. Worum es geht.

Lautstärke ist bekanntlich kein Argument. Wenn es in der Politik laut wird, dann sind die Argumente, den anderen zu überzeugen, meist ausgegangen. Das ist nicht anders als im Leben sonst auch. Sehr bemerkenswert ist ein derart phonstarker Meinungsaustausch allerdings, wenn die beiden Kontrahenten eigentlich zusammenarbeiten sollen – wie die Koalitionspartner von SPD und Grünen im Senat.

Ziemlich ungewöhnlich sind zudem wechselseitige Wutausbrüche mit dramatischer Zuspitzung vor staunendem, aber vor Schreck schweigendem Publikum an einem Ort, an dem ein eher gesetztes Verhalten als unausgesprochene Norm gilt: Das ist nicht nur im Senat, auch in der Senatsvorbesprechung der Fall.

Elbschlick: Tschentscher und Kerstan gerieten aneinander

Am Dienstag dieser Woche war es so weit: In der Besprechung zwischen den Spitzen von SPD und Grünen vor Beginn der eigentlichen Senatssitzung gerieten zwei heftig aneinander, die gelegentlich schon mal über Kreuz gelegen haben: der Sozialdemokrat und Bürgermeister Peter Tschentscher und Jens Kerstan, Umweltsenator mit grünem Parteibuch.

Nun tritt man Kerstan nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er das Genre des politischen Raufbolds durchaus beherrscht. Tschentscher hingegen ist ein Mann der leisen Töne, des wohlbedachten und überlegten Wortes. Es gibt nur ein Thema, das den sonst so kontrolliert auftretenden Bürgermeister derzeit aus der Fassung bringen kann: die Verschlickung der Elbe und die akut drohende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Hafens.

Elbschlick: Lage ist verfahren

Es gehört zu den Ritualen der Senatsvorbesprechung, dass der Bürgermeister reihum fragt, ob es etwas Besonderes in den jeweiligen Bereichen und Ressorts gebe. Als Tschentscher Kerstan anspricht, geht der nicht auf das so wichtige und drängende Thema der Beseitigung des Elbschlicks ein, bei der die Umweltbehörde eine wichtige Rolle spielt.

Die Lage ist verfahren, weil es mit Ende des Jahres keine Möglichkeit mehr gibt, Elbsediment in der Nordsee abzulagern. Neue vertragliche Einigungen mit den Anrainerländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen stehen aus. Die Zeit drängt angesichts der enormen Schlickmengen immens.

Niedersachsen und Schleswig-Holstein nicht zustimmungspflichtig

In dieser Situation wollen Tschentscher und Noch-Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) einen Hamburger Alleingang starten und möglichst von Januar an die matschige Fracht vor der Nordseeinsel Scharhörn abladen – nicht weit vom Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer und dem Vogelschutzgebiet.

Weil die Fläche auf Hamburger Staatsgebiet liegt, sind Niedersachsen und Schleswig-Holstein nicht zustimmungspflichtig. Vor allem Niedersachsen ist aber heftig dagegen, und Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD!) droht mit einer Klage. Zustimmen muss hingegen Kerstans Behörde ...

"Wir brauchen jetzt eine politische Lösung“

Also setzt Tschentscher von sich aus in der Senatsvorbesprechung nach. Man warte nun schon seit Wochen auf die schriftliche Bestätigung der Umweltbehörde, so der Bürgermeister, dass es keine naturschutzfachlichen Einwände gegen eine Verklappung des Schlicks aus Strom und Hafen vor der Insel Scharhörn gebe. Ob das Schriftstück rechtzeitig vor dem sogenannten Schlickgipfel der Chefs der Senatskanzleien sowie der Wirtschafts- und Umwelt-Staatssekretäre und -Staatsräte Hamburgs, Niedersachsens und Schleswig-Holsteins am Freitag im Rathaus vorliege, fragt Tschentscher den Umweltsenator, nun schon ungehalten.

Einige mögen sicherlich auf das schriftliche Einverständnis seiner Behörde warten, entgegnet Kerstan scheinbar ungerührt. „Wir warten dagegen seit Wochen auf einen Schlickgipfel auf der Ebene der Fachminister oder der Ministerpräsidenten. Wir brauchen jetzt eine politische Lösung“, sagt der Grünen-Politiker.

Tschentscher wird laut

Das ist der Moment, in dem Tschentscher „aus der Haut fährt“, wie es ein Teilnehmer der Runde beschreibt. „Wir tragen alle Verantwortung dafür, dass der Hafen gedeiht und prosperiert. Wenn die Nachbarländer uns im Stich lassen, dann müssen wir eben allein handeln“, sagt Tschentscher sinngemäß und wird dabei sehr laut.

Es geht kräftig hin und her zwischen den beiden. Kerstan vergisst nicht zu erwähnen, dass der rot-grüne Koalitionsvertrag ausdrücklich vorsieht, dass zu einem verbesserten Sedimentmanagement „gemeinsam mit dem Bund und unter Beteiligung von Schleswig-Holstein und Niedersachsen ein zukunftsfähiges und flexibel-adaptives Konzept entwickelt und umgesetzt“ wird. Das ist ein Punkt für die Grünen, und Tschentscher weiß das.

Bürgermeister genervt von Hinhaltetaktik

Er ist auch nicht gegen eine Einigung mit dem nördlichen und südlichen Nachbarn, er glaubt nur nicht mehr richtig daran. Der Bürgermeister ist genervt von der – aus seiner Sicht – Hinhaltetaktik vor allem in Hannover, das gilt sogar in erster Linie seinen sozialdemokratischen Parteifreunden: neben Olaf Lies auch Ministerpräsident Stephan Weil. Und Tschentscher ist genervt von den Grünen, denen er bisweilen unterstellt, dass sie – ob in Kiel, Hannover oder Hamburg – aus ökologischen Gründen gemeinsame Sache gegen die Interessen des Hafens machen.

Es ist ja wahr, dass die Hamburger Grünen gegen die Elbvertiefung waren und sie nur zähneknirschend mitgetragen haben. Dass Grünen-Bürgerschaftsfraktionschef Dominik Lorenzen in der vergangenen Woche die Elbvertiefung angesichts erneuter Verschlickung nach kurzer Zeit pointiert für „gescheitert“ erklärt hat, hat Tschentschers Befürchtungen bestätigt und seinen Zorn nur gesteigert.

Schlick soll nur bei Ebbe abgeladen werden

Mündlich hat Kerstan längst klargestellt, dass es aus Naturschutzsicht keine Einwände gegen die Verklappung vor Scharhörn gibt. Allerdings hat seine Behörde Bedingungen formuliert: So soll die Erlaubnis nur für zwei Jahre erteilt und der Schlick nur bei Ebbe abgeladen werden. Dass Kerstan die schriftliche Bestätigung nicht herausrückt, die Voraussetzung dafür ist, dass die Bagger losgeschickt werden können, sieht Tschentscher als Erpressungsversuch des Grünen.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Umgekehrt befürchten die Grünen, das Ja aus Kerstans Behörde könnte bei den Nachbarn erneut als Drohgebärde und Hamburger Arroganz aufgefasst werden. Motto: Hamburg schafft vollendete Tatsachen, bevor Verhandlungen überhaupt begonnen haben.

Tschentscher will aus Position der Stärke mit Nachbarländern verhandeln

Die Positionen zwischen SPD und Grünen sind nicht so weit entfernt, wie es aktuell erscheint. Es ist trotz allem weniger ein Streit in der Sache als eine Frage des Weges oder besser der Reihenfolge. Tschentscher will mit einer geschlossenen Senatslinie in Gespräche mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehen, deswegen ist das Ja zu Scharhörn aus der grünen Behörde wichtig.

Der Bürgermeister will aus einer Position der Stärke – andere sagen der Sicherheit – verhandeln. Scharhörn als schnell realisierbarer Notfallplan, falls es keine Einigung gibt. Die Grünen setzen auf Verhandlungen ohne Drohkulisse, auf Gespräche auf Augenhöhe, bei denen Hamburg auch die „Befindlichkeiten“ der Nachbarn ernst nimmt.

Die grüne Seite setzt auf Melanie Leonhard

Letztlich würden die Grünen der Verklappung vor der Elbmündung zustimmen, wenn es keine Alternative gibt, um zu verhindern, „dass uns der Laden auseinanderfliegt“, wie es einer drastisch ausdrückt. Falls es aber doch eine Einigung mit den Nachbarländern über ein auch mittel- und langfristiges Konzept gibt – etwa die Weiternutzung des Gebiets bei der Tonne E3 nahe Helgoland oder in der ausschließlichen Wirtschaftszone weiter draußen auf der Nordsee –, müsste Kerstan kein Okay für das ökologisch sensiblere Gebiet bei Scharhörn geben.

Auf grüner Seite hoffen viele jetzt auf das Verhandlungsgeschick der künftigen Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD), die am Donnerstag in der Bürgerschaft ins Amt gewählt wird. Der SPD-Landeschefin und bisherigen Sozialsenatorin, die verbindlich und vertrauensbildend auftritt und als geschickte Verhandlerin gilt, wird zugetraut, die Kuh vom Eis zu holen. Tschentscher ist als Mediziner ein durch und durch rationaler Mensch, der es häufig nicht versteht, dass manchmal auch politisches Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen gefordert ist, um zu einer Lösung zu kommen.

Elbschlick: Auseinandersetzung geht weiter

Kerstan hatte in der Senatsvorbesprechung am Ende des Streits gesagt, ihm sei neu, dass ein Einvernehmen im Senat Voraussetzung für Gespräche mit Kiel und Hannover sei, aber er werde in seiner Behörde prüfen, ob eine schriftliche Zustimmung bis zum Schlickgipfel am Freitag möglich sei. Manche werteten das als Eingeständnis und Rückzieher des Senators.

Sie sollten sich täuschen. Am Freitagnachmittag lag die Erklärung nicht vor. Für Rot-Grün heißt das: Die Auseinandersetzung geht weiter. Letztlich ist es auch die Frage, wer die besseren Nerven hat. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass angesichts der Bedeutung des verzwickten Elbschlick-Themas auch die Koalitionsfrage im Raum steht.