Hamburg. Tausende demonstrieren in Hamburg für acht Prozent mehr Gehalt. Gibt es am Donnerstag einen Pilotabschluss im Südwesten?
Um viertel vor 11 am Mittwochvormittag ziehen Hunderte Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie auf dem Johannisbollwerk gen Westen. Eine Ordnerin der IG Metall brüllt „Küstenweit“ in ihr Megafon, und die Menge antwortet: „Streikbereit!“ Es ist der Slogan, der auch auf einem großen Transparent geschrieben steht, das an der Spitze dieses Demonstrationszuges über die gesamte Breite reicht: „Küstenweit streikbereit“.
Die IG Metall Küste hatte im laufenden Tarifstreit zu dem Aktionstag in Norddeutschland aufgerufen. Ob in Flensburg, Kiel, Lübeck, Bremen, Cuxhaven, Nordenham, Papenburg oder Rostock – in 13 Städten waren die Beschäftigten zu sichtbaren Protesten aufgerufen.
IG Metall: In Hamburg gibt es drei Sternmärsche
In Hamburg fanden gleich drei Sternmärsche statt. Die Arbeitnehmer zogen von der Elbphilharmonie, vom Platz der Republik in Altona und von Blohm+Voss durch den Alten Elbtunnel – „Wir fordern 8 % mehr“ steht auf ihrem Banner – zum Fischmarkt.
Dort fand die größte Kundgebung im Norden statt – und Ina Morgenroth schaltete als erste Rednerin gleich in den Angriffsmodus. Die Erste Bevollmächtigte und Geschäftsführerin der IG Metall Hamburg rief in Richtung der Arbeitgeber: Alle Beschäftigten „sind stinksauer, wie sie sich verhalten haben am Verhandlungstisch“.
Hamburgs IG-Metall-Chefin hält Angebot für völlig unzureichend
Am 30. Juni hatte die Gewerkschaft ihre Forderung nach acht Prozent mehr Geld für zwölf Monate gestellt. Bisher bot die Seite der Unternehmen eine Einmalzahlung von 3000 Euro sowie eine nicht bezifferte Erhöhung der Lohntabellen bei einer Laufzeit von 30 Monaten.
Das hält sie für völlig unzureichend. In ihren 21 Jahren als Gewerkschafterin habe sie es noch nicht erlebt, dass man in der vierten Verhandlungsrunde keine Prozentzahl genannt bekommen habe.
Fast 35.000 Arbeitsstunden durch Warnstreik ausgefallen
Als Konsequenz habe man „zwei richtige starke Warnstreikwellen hingelegt“, sagte Morgenroth. In gut 25 Betrieben habe es Warnstreiks gegeben, mehr als 15.000 Teilnehmer seien in den vergangenen zwei Wochen gezählt worden, 70 Prozent aller Aufgerufenen seien dem Aufruf zum Ausstand gefolgt, fast 35.000 Arbeitsstunden seien daher ausgefallen.
Zu Beginn der Verhandlungsrunde sei sie von der Arbeitgeberseite gefragt worden, ob sie Warnstreiks brauche. „Nö, wir brauchen das nicht. Wir machen das immer als Antwort, wenn Sie nicht in die Pötte kommen“, habe sie geantwortet und schob eine deutliche Botschaft nach: „Das ist hier heute der letzte Warnschuss.“
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Gibt es am Donnerstag einen Pilotabschluss?
Die Arbeitnehmervertreter blicken gespannt am Donnerstag gen Süddeutschland. In Baden-Württemberg könnte es einen Pilotabschluss für die Branche geben, die bundesweit 3,9 Millionen Beschäftigte zählt.
Im Bezirk Küste, der Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen und Nordwestniedersachsen umfasst, sind es rund 130.000. Am Montagabend hatte der Bundesvorstand der IG Metall die Zustimmung zum Einigungsversuch im Südwesten gegeben. Am Abend sollen beide Seiten in Ludwigsburg zusammenkommen.
Die IG Metall spricht von 5000 Teilnehmern, die Polizei von 2500
Hauptredner Daniel Friedrich stellte auf dem Fischmarkt vor laut Veranstalter 5000 Teilnehmern – die Polizei sprach von rund 2500 – die nächsten Schritte klar, falls es kein akzeptables Ergebnis gäbe. „Wir in Hamburg und an der Küste werden dann nächste Woche 24-Stunden-Warnstreiks machen“, sagte der Bezirksleiter der IG Metall Küste und Arbeitnehmer-Verhandlungsführer und rief: „Seid Ihr dabei?“ „Ja!“, schallte es aus der Menge.
Wenn die erhoffte Einigung in Baden-Württemberg ausbliebe, solle von Sonntag auf Montag in einzelnen Betrieben Mitgliedervoten eingeholt werden, sagte ein Gewerkschaftssprecher. In diesen Befragungen will sich die IG Metall Rückenwind für ihren Kurs holen. Signalisieren die Vertrauensleute in den ausgewählten Firmen umfassende Unterstützung, werde die Produktion für 24 Stunden lahmgelegt. Im Anschluss könnte es zu Urabstimmungen und unbefristeten Streiks kommen.
Daniel Friedrich fordert mehr Geld in der Tasche
Friedrich verteidigte erneut die geforderten acht Prozent mehr Geld. Die Vorstände der DAX-Unternehmen hätten im vergangenen Jahr im Schnitt 24 Prozent mehr verdient. Daher würden auch die Arbeitnehmer einen Sprung bei Löhnen und Gehältern brauchen, damit der Abstand zur Chefetage nicht noch größer werde.
„Wir brauchen mehr Geld in der Tasche“, sagte Friedrich und forderte vor allem ein deutliches Plus bei den unteren Einkommensklassen.
Dass die Wirtschaft in Deutschland nicht in eine Rezession abgerutscht ist, sei vor allem der noch geschützten Kaufkraft der Arbeitnehmer zu verdanken. „Deswegen ist es richtig, dass wir mit unserer Tarifrunde dafür sorgen, dass eingekauft wird, dass in den Urlaub gefahren wird, dass Autos gekauft werden. Autos kaufen keine Autos. Wir müssen gucken, dass die Menschen konsumieren. So kommen wir durch diese Zeit“, sagte Friedrich.
Das Weihnachtsgeld soll unangetastet bleiben
Dem Ansinnen der Arbeitgeber, über das Weihnachtsgeld variabel in den Betrieben entscheiden zu können, erteilte er eine klare Absage. „Wir machen keinen Abschluss, wo das Weihnachtsgeld in Frage gestellt wird.“ Die angebotene Einmalzahlung von 3000 Euro nehme man gern sofort, es sei aber auch eine dauerhafte Tabellenerhöhung notwendig, weil die Preise schließlich ebenso dauerhaft anstiegen.
Lange Laufzeiten lehnte er nicht ab, allerdings würde der Preis dafür exponentiell steigen, so Friedrich: „Wir machen keinen billigen Jakob.“ Der Küstenaktionstag sei vor den Gesprächen in Ludwigsburg ein starkes Signal. Am Mittwoch beteiligten sich laut IG Metall Küste 47.300 Beschäftigte aus 190 Betrieben an den Warnstreiks.
Bei Airbus soll der „Laden stillstehen“
Einer der größten Hamburger Arbeitgeber habe dies stark gespürt, sagte Sophia Kielhorn, Airbus-Betriebsratsvorsitzende und Teil der Verhandlungskommission: „Unser Laden steht still.“ Beim Ground Support seien nur drei Leute zur Schicht gekommen, daher könnten keine Flugzeuge bewegt werden. Eine geplante Auslieferung sei ausgefallen. Das Jahresziel von rund 700 übergebenen Jets sei gefährdet. Schuld daran sei der Arbeitgeberverband Gesamtmetall.
Am Ende von Friedrichs Rede betritt ein Mensch mit Yoda-Maske die Bühne und übergibt dem Bezirksleiter eine Flasche Bier. In der letzten Verhandlung hätten die Arbeitgeber ihnen dieses Getränk auf den Tisch gestellt. „Da stand 0,0 drauf. Jetzt wissen wir, dass sie es ernst meinen“, sagte Yoda und gab in der Sprache des Filmklassikers „Star Wars“ Friedrich einen Auftrag mit: „Luke: Gib dem Imperator das zurück und sag ihm: Das schmeckt uns nicht.“ Das Publikum lachte und johlte.