Hamburg. Klimabeirat kritisiert Klimabilanz des Senats: Ziele so nicht erreichbar, Verschärfung nötig. Was das für die Bürger bedeuten könnte.
Dass es beim Klimaschutz in Hamburg zuletzt nicht gerade optimal lief, konnten Beobachter der Senatspolitik schon länger feststellen. Da wurden im Klimaplan festgelegte Ziele etwa bei Aufforstung, Dachbegrünung oder Fotovoltaikinstallation auf Behördendächern jahrelang ignoriert. Eine Machbarkeitsstudie für die so wichtige Gebäudesanierung wurde mit Jahren Verspätung gerade erst kürzlich vorgelegt – und dazu noch mit durch Ukraine-Krieg, Energie- und Baukostenexplosion teils längst überholten Daten.
Klimaschutz: Beirat stellt Hamburg schlechtes Zeugnis aus
Seit Jahren ist kein neues Windrad in Hamburg installiert worden, trotz großer Potenziale etwa im Hafengebiet. Und der Zwischenbericht zu den 2019 beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen, der laut Gesetz schon Ende 2021 hätte vorliegen müssen, wurde erst in der vergangenen Woche vom grünen Umweltsenator Jens Kerstan präsentiert.
Jetzt hat der Senat es auch von seinen eigenen Experten schwarz auf weiß bekommen, dass seine Klimapolitik in vielen Bereichen ungenügend ist.
In ihrer zwölfseitigen Analyse, die dem Abendblatt vorliegt, machen die 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutlich, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, wenn Hamburg seine gerade sogar noch verschärften Klimaziele erreichen will: Es werde immer wahrscheinlicher, dass Hamburg ohne Verschärfungen nicht einmal das Ziel erreiche, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Dabei hatte Rot-Grün sich geeinigt, dieses Ziel sogar auf 70 Prozent hochzusetzen.
"Es sind umgehend erheblich mehr Anstrengungen notwenig"
„Der Bericht des Senats macht deutlich, dass umgehend erheblich mehr Anstrengungen notwendig sind, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, sagte die Vorsitzende des Beirats, Daniela Jacob. „Außerdem sollte der Senat die zweijährige Klimaberichterstattung methodisch verbessern, Klimaschutz und Klimaanpassung stärker verbinden und auch in Zukunft eine ausreichende Finanzierung der Klimamaßnahmen sicherstellen.“
Obgleich das Gremium in der Sprache diplomatisch bleibt, gehen die Professoren in der Sache hart mit dem rot-grünen Senat ins Gericht. So kritisieren die Experten, dass die aktuellsten in dem Bericht verarbeiteten Zahlen zum CO2-Ausstoß in Hamburg von 2020 stammten und damit veraltet seien. Die Pandemie habe die Entwicklung zudem verzerrt. Weiterhin werte er die „Umsetzungserfolge von Maßnahmen“ gar nicht quantitativ und qualitativ aus, wie man es von so einem Bericht erwarten würde.
35 Prozent weniger Kohlendioxid – aber wie?
Es werde viel von Wasserstofftechnologie geschrieben, wobei diese vor 2030 kaum einen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten werde. Nicht konkret klar werde, wie Industrie und Gewerbe bis dahin den nötigen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollten.
Laut dem Zwischenbericht konnte der CO2-Ausstoß in den 30 Jahren seit 1990 bis 2020 um 34,7 Prozent reduziert werden – auch mithilfe der Pandemie. Nun aber will Hamburg weitere rund 35 Prozent in den nur wenigen Jahren bis 2030 erreichen. Hier bleibe der rot-grüne Senat jede Antwort auf die Frage schuldig, was eigentlich passieren solle, wenn die Klimaziele erkennbar nicht erreicht würden.
Experten fordern „Sofortprogramm“
„Trotz erkennbarer Zielverfehlung“ bei Vorgaben aus dem Klimaplan 2019 habe dies „keinerlei erkennbare Debatte oder Konsequenzen ausgelöst“, heißt es in der „Empfehlung“ des Klimabeirats. Daher müsse nun ein im Klimaplan erwähntes „Sofortprogramm“ greifen.
Deutlich machen die Expertinnen und Experten auch, dass in Hamburg aus ihrer Sicht noch immer zu wenig Geld für den Klimaschutz zur Verfügung steht. Ihre Empfehlung: Der Senat „sollte die Höhe der zentralen Klimamittel vor dem Hintergrund des zukünftig zu steigernden Ambitionsniveaus des Klimaziels für die kommenden Jahre überprüfen und anpassen“.
Aussagekraft der Ergebnisse soll überprüft werden
Außerdem rät der Beirat dem Senat, er „sollte die Ergebnisse der zwischenzeitlich veröffentlichten Machbarkeitsstudie für Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebestand vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung der Bau- und Energiekosten sowie vor dem Hintergrund der durch den Ukraine-Krieg veränderten Anforderungen an Energiesicherheit und Resilienz auf ihre Aussagekraft überprüfen“.
Auch im Verkehrssektor geschehe zu wenig zur Absenkung des CO2-Ausstoßes, so das Urteil des Beirats. Er empfiehlt, der Senat „sollte zur Beschleunigung der Mobilitätswende die konkrete Entwicklung des Umweltverbundes insgesamt qualifiziert mit Daten hinterlegen und neben Anreizmaßnahmen für den Umweltverbund auch Maßnahmen zur Reduzierung des Pkw-Verkehrs darstellen und in ihrer Wirkung einschätzen“.
Zuständigkeiten bei Klimaschutz oft unklar
Als Umweltverbund werden die umweltfreundlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn, Fahrrad und das Zu-Fuß-Gehen bezeichnet. Der Beirat weist in seiner Stellungnahme auch auf ein Grundproblem hin: In Hamburg seien die Zuständigkeiten zwischen den Behörden auch beim Thema Klimaschutz oft unklar. Das solle sich ändern, so die Forderung.
Auch müsse der Klimaeffekt von Baumaßnahmen, die sogenannte graue Energie, stärker in die Planung mit einbezogen werden. Hintergrund: Bei großen Bauprojekten wie etwa der U 5 wird bisher sehr viel CO2 freigesetzt – schon weil Baustoffe wie Beton bei der Produktion sehr viel davon freisetzen.
Klimaschutz: Hamburg muss sich besser auf Veränderungen einstellen
Weil der Klimawandel bereits im Gange ist und nicht mehr vollständig aufgehalten werden kann, muss Hamburg sich aus Sicht der Experten noch besser auf die Veränderungen einstellen. „Der Klimabeirat regt an, die Ausführungen zukünftiger Zwischenberichte zur Klimaanpassung deutlich stärker auf konkrete Themen wie Hitzevorsorge, Hochwasserschutz und Entsiegelung zu fokussieren“, heißt es.
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Wichtig sei „die Optimierung der sehr komplexen Verwaltungszuständigkeiten bei Klimaschutz und Klimaanpassung, die transparente Darstellung der Prioritäten bei der Verwendung der Klimafinanzmittel und die Konkretisierung der Regelung für eine Nachsteuerung bei erkennbarer Zielverfehlung“, so das Fazit des Gremiums. „Außerdem ließe sich die Aussagekraft des Berichtes verbessern, wenn methodische Lücken geschlossen würden und eine Verursacherbilanz für zwei vollständige Berichtsjahre vorläge.“