Hamburg. Größere Präsenz und hartes Vorgehen soll Kriminalitätsschwerpunkt sicherer machen. Auch 9-Euro-Ticket trug zur Verelendung bei.
Mehr Gewalt, mehr Süchtige, erheblich mehr Obdachlose: Die Situation rund um den Hamburger Hauptbahnhof droht aus dem Ruder zu laufen. Im Umkreis von Hansaplatz, ZOB und der Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn wächst mit der Kriminalität die Unsicherheit der Geschäftsleute, Anwohner und der 550.000 täglichen Bahnfahrer und Umsteiger. Die Polizei berichtet von deutlich mehr Taten. Zwar spielen die sich zum Teil „im Milieu“ der Randständigen ab. Doch selbst Beamte wurden angegriffen. Verantwortliche des Straßenmagazins „Hinz Kunzt“ sprechen von einer „zunehmenden Verelendung“.
Nach Abendblatt-Informationen arbeiten angesichts der katastrophalen Zustände die Hamburger Polizei, die Bundespolizei und die DB-Sicherheit an einem neuen gemeinsamen Konzept. Es sieht eine größere Präsenz vor – und ein hartes Vorgehen gegen Kriminalität und Gewalttäter. Die Polizei möchte ihre Sichtbarkeit in dem Bereich um den Hauptbahnhof für einen längeren Zeitraum deutlich erhöhen. Intern rechnen die Sicherheitsbehörden damit, dass sich dadurch zunächst die Zahl der Straftaten noch einmal erhöhen wird.
Hamburger Hauptbahnhof: "Polizei traut sich nicht zum Drob Inn"
Der Grund liegt darin, dass die Kriminalität „aufgehellt“ wird, also aus dem Dunkelfeld geholt werden soll. Es geht hierbei um schwere Delikte wie Raub, die innerhalb von Randgruppen oft gar nicht angezeigt werden. Erfährt die Polizei durch ihre Präsenz von solchen Taten, ist sie verpflichtet einzuschreiten.
Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Vorsitzende des Bürgervereins St. Georg, Markus Schreiber, fürchtet: „Es scheint ja mittlerweile so zu sein, dass sich die Polizei gar nicht mehr vor das Drob Inn traut. Das kann natürlich nicht sein.“ Die Unsicherheit rund um den Hauptbahnhof wachse. Schreiber: „Wir wollen ja nicht irgendwann einen neuen Ronald Schill bekommen.“ Der Rechtspopulist und seine Partei hatten im Jahr 2001 fast 20 Prozent der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl erhalten, weil sie offene Drogenszenen und das Gefühl mangelnder Sicherheit in Hamburg mit einfachen Slogans thematisierten.
9-Euro-Ticket lässt viele in Hamburg stranden
In diesen Tagen kommt hinzu: Die Zahl der Wanderarbeiter aus Osteuropa bleibt hoch. Und viele „Kunden“ des Drob Inn leben mittlerweile auf der Straße. Christine Tügel vom Vorstand des Betreibers Jugendhilfe e.V. sagte: „Innerhalb der Klientel des Drob Inn ist in den vergangenen Jahren eine erhebliche Zunahme von obdachlosen Menschen zu verzeichnen.“ Weil der Wohnungsmarkt angespannt bleibt, wird sich das nicht schnell ändern. Leben Abhängige vermehrt auf der Straße, wird die Drogenszene für alle sichtbarer und von vielen als Bedrohung empfunden.
Sogar eine vermeintlich positive Errungenschaft der Sommermonate schlägt sich hier negativ nieder: „Das 9-Euro-Ticket hat auch dazu geführt, dass am Ende viele Menschen in Hamburg gestrandet sind“, sagte Axel Mangat, Leiter der Bahnhofsmission. Auch die Polizei sieht diesen Effekt: Das 9-Euro-Ticket hat zu einer noch höheren Passagierfrequenz am Hauptbahnhof geführt und zu mehr Taschendiebstählen.
Der Senat ist in der Zwickmühle. Jede Hilfe für die Betroffenen am Hauptbahnhof darf nach politischer Lesart nicht den Eindruck erwecken: Hamburg ist als Aufenthaltsort für Wanderwillige aus Europa attraktiv. Jörn Sturm von „Hinz Kunzt“ sagte allerdings: „Es geht nicht, die Menschen einfach auf der Straße liegen zu lassen, weil sie hier keinen Anspruch auf Unterstützung haben. Das kann man ihnen nicht antun.“
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