Hamburg. Autorin Nathalie Klüver befasst sich in ihrem neuesten Buch mit familienunfreundlichen Strukturen: Was sich in Deutschland ändern muss.

Das Auffüllen der Kleinkind-Trinkflasche im Restaurant kostet einen Euro, der Wassernapf für Wuffi wird hingegen gratis serviert. Fürs Kreidemalen auf dem Bürgersteig gibt es einen Anschiss vom Nachbarn, die Spielplatznutzung ist mittags verboten und Sichtrasen sowieso wichtiger als Schaukel und Rutsche. Zum Stillen wird die Mutter aufs Klo im Café verbannt, statt des eilig herbeigebrachten Kinderstuhls hagelt es hierzulande hochgezogene Augenbrauen.

Solche Geschichten können fast alle Eltern erzählen. Wenn sie nicht davon berichten, wie sehr sie sich in der Pandemie allein gelassen fühlten, zu Hause mit Kindern, Job, Homeschooling, Care-Arbeit.

Strukturelle Benachteiligungen für Familien

Autorin Nathalie Klüver bekommt massenweise Mails mit immer mehr Beispielen, in vielen spielen auch genervte Blicke, Seufzen, ungläubiges Kopfschütteln einen Rolle. „Dieses unangenehme Gefühl, dass man ständig Rücksicht nehmen muss, nicht willkommen zu sein, spürt man als Eltern viel zu oft“, sagt die alleinerziehende Dreifach-Mutter.

Doch da Gefühle als Argumente nicht allein ausreichen, hat sich die Lübeckerin in der Politik auf Spurensuche begeben. Und dort wurde sie fündig. In ihrem neuen Buch mit dem Titel „Deutschland, ein kinderfeindliches Land?“, das man je nach Standpunkt hilfreich, provokant oder einseitig nennen kann, macht sie strukturelle Benachteiligungen aus. „Ist es eine Mentalitätssache?“, fragt Klüver.

Generationenvertrag Rente: Eltern im Nachteil?

Jedenfalls gebe es Diskussionsbedarf. „Meine Recherchen haben dazu ergeben, dass es nicht nur die grimmigen Omas sind, die uns sagen, dass unsere Kinder im Zug nicht so viel Lärm machen sollen, oder die Restaurantbesitzer, die keine Kinder willkommen heißen. Es sind tatsächlich finanzielle, steuerliche und strukturelle Benachteiligungen.“

Bei der Rente zahlen Eltern doppelt in den Generationenvertrag ein, wie Klüver ausführt: Sie bezahlen Rentenbeiträge und geben sehr viel Geld – etwa 130.000 Euro pro Kind bis zum 18. Lebensjahr – dafür aus, die zukünftigen Rentenzahler großzuziehen, die wiederum auch mal die Rente der heute Kinderlosen zahlen werden.

Skandinavien investiere schlauer in Familien

Gegenargument: das Kindergeld. Da gibt es sogar regelmäßig Erhöhungen. Klüver muss lachen. „15 Euro waren es zuletzt, davon kann man sich nicht viel kaufen, dennoch hat es den Staat sehr viel Geld gekostet. Das Problem ist, dass man den Bereich der Grundsicherung nicht mal erreicht und Politik mit dem Gießkannenprinzip gemacht und nicht zielgerichtet eingesetzt wird.“

Besser laufe es in Skandinavien: Bei den nordischen Nachbarn werde ähnlich viel Geld ausgegeben, aber nicht an die Familien direkt, sondern per Investition beispielsweise in eine bessere Infrastruktur und Kinderbetreuung. „Im öffentlichen Raum käme das auch Rentnern zugute, Kinderfreundlichkeit kommt deshalb allen zugute.“

Klüver plädiert für Kinderrechte im Grundgesetz

Ein mögliches Gegenmittel, das Klüver sehr wichtig ist, betrifft die Substanz: „Wir brauchen eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Denn dann müssen alle politischen Entscheidungen auf ihre jeweiligen Auswirkung auf Kinder überprüft werden“, sagt sie.

Dazu plädiert sie für ein allgemeines Wahlrecht ab 16 Jahren, um die Altersverhältnisse der Wähler zu verschieben. Dadurch, so glaubt sie, müssten Politiker in ihren Beschlüssen und Programmen mehr zugunsten von Jüngeren und Familien entscheiden.

Werden Kinder als Störenfriede wahrgenommen?

Der Fokus, er müsse mehr auf die Gruppe der Eltern mit Kindern, auf Familien jeglicher Zusammensetzung gerichtet werden. „Wir müssen laut werden, uns einbringen im Elternbeirat zum Beispiel, wir müssen uns zeigen oder in Verbänden engagieren“, sagt sie. Damit kindliches Verhalten den Kindern nicht mehr abgesprochen werde.

Denn Klüver nimmt die Realität so wahr: Im öffentlichen Raum sollten Kinder besser unsichtbar sein. Nicht so laut, nicht so wild, nicht so schnell. „Kinder können nun mal im Zug nicht vier Stunden aus dem Fenster schauen, sie werden lebhafter, wenn sie eine Stunde auf ihr Essen im Restaurant warten.“

Klüver sieht Grund für Unmut in verändertem Erziehungsstil

Das Verhalten von genervten, zumeist älteren Mitmenschen sieht Klüver unter anderem darin begründet, dass sich die Erziehungsstile gewandelt hätten, von eher autoritär geprägtem Umgang zum heutigen, dem kindlichen Bedürfnis zugewandten.

„Viele Eltern ziehen sich bereits auf umzäunte Spielplätze, den eigenen Garten oder das Stillcafé zurück, gehen um 17 Uhr essen, wenn sie selbst noch keinen Hunger haben, oder nur dorthin, wo die Spielecke ist. Und ich glaube, genau das ist falsch“, sagt Klüver, deren Kinder vier, acht und elf Jahre alt sind. „Denn die Leute vergessen dann noch mehr, was normales kindliches Verhalten ist, und dann fällt es noch mehr auf.“