Hamburg. Mädchen berichten von Überstunden, Rassismus, Drohungen – und sogar Rausschmissen über Nacht. Neun bedenkliche Fälle aus Hamburg.

„Um 15 Uhr, sagte man mir, ich könne meine Sachen packen und so schnell wie möglich abreisen. Eines der Kinder, die ich betreute, hatte Krätze bekommen. Meine Gasteltern waren überzeugt, dass ich dies aus Lateinamerika mitgebracht hatte — aber ich hatte noch nie von dieser Krankheit gehört.“ Das ist die Geschichte von Elisa (damals 20), einem kolumbianischen Au-pair-Mädchen.

Sie zahlte mehr als 1000 Euro an eine Agentur, um nach Hamburg vermittelt zu werden. „Weder die Familie noch die Agentur wollten für mein Hotel, mein Essen oder irgendetwas anderes bezahlen“, erinnert sich die junge Frau an das Ereignis Anfang 2019. „Ich war daher gezwungen, bei einem Bekannten zu schlafen, den ich eine Woche zuvor kennengelernt hatte.“

Zu allem Überfluss teilt die Agentur ihrer Familie in Kolumbien mit, dass es Elisa war, die den Vertrag gebrochen habe, sodass sie zu Hause kaum Unterstützung fand. Sie wird die 1000 Euro, die in ihrem Land einem Mindestlohn von vier Monaten entsprechen, nicht wiedersehen.

Au-pair-Mädchen brauchte psychologische Betreuung

Die junge Frau, die eigentlich anders heißt, entwickelte nach dem Vorfall große Ängste und besucht derzeit zu Hause in Kolumbien einen Psychologen. „Ich konnte mein Zimmer nicht verlassen. Es war keine Frage des Nicht-Wollens, sondern des Nicht-Könnens. Ich war sehr ängstlich.“

Auch bei der nächsten Gastfamilie, die Elisa über das Internet gefunden hat, kam sie nicht gut unter. Nach einem Monat packte sie wieder ihre Koffer. Erst bei einer dritten Familie fand sie einen guten Arbeitgeber. „Natürlich war nicht alles perfekt, aber es war viel besser.“

Die Mehrheit der Au-pairs macht negative Erfahrungen

Elisa ist kein Einzelfall: Das Abendblatt sprach mit neun Au-pairs, von denen sieben überwiegend negative Erfahrungen in der Hansestadt gemacht haben. Sie erlebten Unangenehmes – von erheblichen Überstunden bis hin zu rassistischen Äußerungen und Drohungen. Einige mussten ohne Vorwarnung ihre Zimmer räumen. Drei der befragten Frauen sprechen sogar von „moderner Sklaverei“.

Eigentlich sind nur maximal 30 Stunden Arbeit vorgesehen

In Deutschland ist Au-pair („auf Gegenseitigkeit“) gedacht als kulturelle Austauschmöglichkeit für ausländische Menschen zwischen 18 und 27, bei der sie in einer Familie leben, um die Kinder zu betreuen.

Sie dürfen nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten. Außerdem wird ein Taschengeld von 280 Euro pro Monat gezahlt, und die Gastfamilie muss dafür sorgen, dass es Deutschunterricht gibt.

Welche Agenturen einen freiwilligen Qualitätscheck machen

Offizielle Zahlen zu ausländischen Au-pairs in Hamburg gibt es nicht, da viele ihre Familie ohne Vermittlung einer Agentur finden. Cordula Walter-Bolhöfer arbeitet bei der ,Gütegemeinschaft au pair‘. Dies ist ein Zusammenschluss deutscher Au-pair-Agenturen, unterstützt durch das Bundesfamilienministerium. Mitgliedsagenturen der Gütegemeinschaft unterziehen sich freiwillig einer Qualitätsprüfung. Sie erkundigen sich zum Beispiel regelmäßig, wie es ihren Au-pairs geht.

Cordula Walter-Bolhöfer kennt auch nur die Zahlen von Au-pairs, die über eine Agentur kommen: 1650 sind es pro Jahr, überwiegend Frauen. Etwa die Hälfte von ihnen kommt von außerhalb der EU.

Bei den Behörden fühlt sich niemand für Au-pairs zuständig

Es gibt aber keine Dachorganisation, die alle jungen Menschen betreut. „Aufgrund der großen Zahl privater Anbieter“ überwacht die Bundesagentur für Arbeit diesen Bereich nicht.

Auch bei der Sozialbehörde gibt es keine dezidierte Zuständigkeit für Au-pairs. „Aber als Arbeits­behörde beschäftigt uns auch dieses Thema“, sagt Pressesprecher Martin Helfrich dazu. Die Jugendlichen könnten sich zum Beispiel an das Hamburg Welcome Center wenden und sich beraten lassen, welche Alternativen es für sie oder ihn in Hamburg gibt, wenn sie ihre Familie verlassen wollen.

Vermittlungsagentur: „Kommunikation ist der Schlüssel“

Die meisten der Mädchen, mit denen das Abendblatt sprach, fanden ihre Familien über die deutsche Vermittlung-Website AuPairWorld.com.

„Natürlich wissen wir, dass bei Begegnungen und Interaktionen zwischen Menschen Probleme und Missverständnisse auftreten können“, erklärte AuPairWorld auf Anfrage. „Aus unserer über 20-jährigen Erfahrung wissen wir, dass Kommunikation der Schlüssel ist und, dass Missverständnisse und nicht abgestimmte Erwartungen oft eine Ursache für Probleme sind.“

Wenn während eines Au-pair-Aufenthaltes Probleme aufträten, stehe der Kundendienst jederzeit zur Verfügung, um die bestmögliche Lösung für beide Parteien zu finden. „Wir glauben, dass es wichtig ist, miteinander zu reden und sicherzustellen, dass jede Seite weiß, was sie erwartet und was geklärt werden muss, um Probleme und ein schlechtes Gefühl zu vermeiden.“ Man arbeite mit einem speziellen Beschwerdemanagement.

Überstunden und ständige Bereitschaft an der Tagesordnung

Einer der am häufigsten genannten Missstände ist die Anzahl der Überstunden, die Au-pairs leisten müssen. „Arbeitszeiten werden in Familien kreativ gehandhabt“, sagt Walter-Bolhöfer von der Gütegemeinschaft. „Die Familien sagen, das Kind macht doch Mittagsschlaf, das ist keine Arbeitszeit.“

Vor Ort bleiben müssen die Au-pairs trotzdem, in einer Art Bereitschaftsdienst. Das haben viele der Frauen erlebt. Sie geben an, dass sie das Gefühl hatten, immer ,eingeschaltet‘ sein zu müssen.

Mädchen durfte Bad- und Schlafzimmertür nicht abschießen

Ein Mädchen aus den Vereinigten Staaten (damals 20) berichtet, dass es ihm nicht erlaubt war, seine Schlafzimmer- und Badezimmertür abzuschließen. Deshalb liefen die Kinder immer hinein. Auch auf emotionaler Ebene gab es kaum Grenzen; Sie nennt die Situation „toxisch“. „Die Eltern ließen sich damals scheiden. Abwechselnd war immer nur einer von ihnen zu Hause.“

„Wie eine Alleinerziehende mit drei Kindern“

Auch Kate, ein Au-pair-Mädchen aus Großbritannien, kennt das Problem mit fast grenzenlosen Arbeitszeiten. Kate sagt, sie habe mindestens 40 Stunden pro Woche gearbeitet, oft aber auch viel mehr. „Ich fühlte mich manchmal wie eine Alleinerziehende mit drei Kindern, die nicht von mir waren. Bei einem normalen Job würde man am Ende des Tages einfach nach Hause gehen.“

Dennoch sagt sie, sie habe eine ,ziemlich gute Zeit‘ gehabt, sie kenne viele schlimmere Geschichten. „Eine meiner Freundinnen musste mitten in der Nacht ihr Haus verlassen, und ein anderes Mädchen musste in der Garage übernachten, weil die Mutter Angst hatte, dass es mit dem Vater schlafen würde.“

Kinder schlugen Mädchen – die Eltern griffen nicht ein

Raquel aus Lateinamerika (damals 23) hatte ein weiteres Problem: „Die Kinder waren unglaublich – ich war oft mit ihnen allein, und sie schlugen mich, spuckten mich an, zogen mich an den Haaren.“ Die Eltern hätten tatenlos zugesehen. Statt einzugreifen, waren sie der Meinung, dass Raquel „nicht so undankbar“ sein solle.

„Sie gaben mir das Gefühl, dass sie meine Retter sind und mich in ein Land der ersten Welt bringen – dass ich sehr dankbar sein sollte, hier zu sein.“ Außerdem drohte der Vater Raquel mehrmals damit, dass sie nach Hause zurückkehren müsse, „um auf dem Bauernhof zu arbeiten“.

Viele Mädchen haben lange auf die Reise gespart

Schlichtung, Auszug oder sogar rechtliche Schritte gegen die Gastfamilie – das ist alles andere als einfach. Au-pairs sind schutzbedürftig: Sie sind junge Menschen, die sich in einem neuen Land aufhalten, dessen Sprache sie nicht fließend sprechen und mit dessen Rechtsvorschriften sie nicht vertraut sind.

Walter-Bolhöfer nennt dies „ein großes Problem“. Da die jungen Leute bei ihrem Arbeitgeber wohnen, könnten sie auch ihre Wohnung gefährden, wenn sie auf Probleme stoßen. „Und oft kommen die Au-pairs auch aus Ländern, die ärmer sind. Die haben lange gespart, allein schon für die Reise hierher. Sie wollen nicht aufgeben.”

Eltern „müssen verstehen, dass wir keine Sklaven sind“

Die Kolumbianerin Elisa findet, es müsse sich vor allem die vorherrschende Denkweise der Gasteltern ändern. Dann sagt sie einen sehr harten Satz: „Sie müssen verstehen, dass wir keine Sklaven sind.“

Raquel meint, dass die Anforderungen der Gast­familien im Vergleich zu dem, was die Au-pairs­ dafür bekommen, exorbitant hoch seien. „Sie erwarten von dir, dass du für wenig Geld Mary Poppins bist. Du kümmerst dich buchstäblich um das Wertvollste in ihrem Leben, und sie zahlen dir weniger als für einen Minijob.“

Vermittlung über Agentur sollte verpflichtend sein

Walter-Bolhöfer von der Gütegemeinschaft fordert, dass die Vermittlung über Agenturen verpflichtend sein sollte. Bisher glaubten viele, die mit den Gasteltern auf Skype Kontakt hatten, zu wissen, dass es nette Menschen seien. „Es wäre besser, wenn das Screening sowohl für die Familien als auch für die Au-pairs detaillierter wäre. Online sieht das Profil der Familie perfekt aus“, sagt eine der jungen Frauen.

Carmen, ein mexikanisches Au-pair-Mädchen, hält das nicht für ausreichend. Ihre Agentur hat nur einmal nachgefragt, wie es ihr geht, danach hörte sie nie wieder etwas von ihr. Oft seien die Familien die Hauptkunden der Agenturen, deshalb stellten sie sich eher auf deren Seite. Carmen fordert eine staatliche Aufsicht.