Hamburg will „Klimaneutralität des Wohnens“ bis 2045. Das kostet mindestens 32 Milliarden Euro. Die Folgen für Mieter und Eigentümer.

  • Senat: Hamburgs Wohnungen sollen bis 2045 klimaneutral werden
  • Sanierungen kosten mindestens 32 Milliarden Euro
  • Kosten für Modernisierungen können voll auf Mieter umgelegt werden
  • Studie des Hamburger Senats enthält zwei zentrale Schwächen

Vermutlich ist das nicht sofort klar, aber das umfassende Papier, das Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) am Dienstag im Rathaus vorstellte, wird sich auf die eine oder andere Weise wohl auf die meisten Menschen auswirken, die in Hamburg leben – vermutlich auch finanziell.

In der Machbarkeitsstudie zur energetischen Sanierung der rund 262.000 Hamburger Wohngebäude wird nämlich festgelegt, wie in Hamburg bis 2045 alle Gebäude so modernisiert werden sollen, dass durch das Wohnen (bzw. Beheizen von Wohnraum) kein Klimaschaden mehr entsteht.

Es soll also „Klimaneutralität des Wohnens“ bis 2045 erreicht werden. Das Problem dabei: Die Sanierung von Wohnraum kostet viel Geld – und wird auch das Wohnen verteuern. Die nun von Stapelfeldt vorgestellte Studie soll zeigen, wie man den Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und bezahlbaren Wohnkosten so löst, dass es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt.

Klimaneutrales Wohnen: Hamburg erhöht Fördermittel

„Hamburgs Wohngebäude sollen bis 2045 klimaneutral werden“, sagte Stapelfeldt bei der Vorstellung der Studie. „Das ist ein großes Vorhaben und wichtiges Ziel. Zu erreichen ist dies nur, wenn wir gemeinsam mit allen verantwortlichen Kräften, insbesondere den Partnern im Bündnis für das Wohnen in Hamburg und den Mietervereinen an einem Strang ziehen – das ist eine Aufgabe für die gesamte Stadt.“

Die notwendigen Maßnahmen würden in der Machbarkeitsstudie aufgezeigt. „So wollen wir die Fördermittel deutlich ausweiten und in den kommenden vier Jahren zusätzlich 210 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Für die Umsetzung unserer Klimaschutzziele ist das ein bedeutender Schritt.“

Wesentliche Ergebnisse der Studie:

  • Mehrfamilienhäuser verursachen etwa zwei Drittel aller CO2-Emissionen der Hamburger Wohngebäude und verbrauchen auch etwa zwei Drittel der gesamten Endenergie im Wohnsektor. Insgesamt etwa ein Drittel dieser Gebäude sind bisher nicht oder nur gering saniert. Das heißt: Rund 87.000 Hamburger Wohngebäude müssen in jedem Fall bis 2045 energetisch saniert werden. Ein weiteres Drittel ist nur teilweise saniert. Durch die Studie konnte nun eine Sanierungsabfolge für die energetische Sanierung entwickelt werden.
  • Nach den Untersuchungen der Gutachter ist es sinnvoll, zunächst Wohngebäude aus den Baujahren 1949 bis 1978 zu sanieren. Hier könnten mit nur geringen Investitionen wie einem hydraulischen Abgleich der Heizungen oder dem Einsatz von Hocheffizienzpumpen bereits bis zu 20 Prozent an Einsparungen von Heizenergie erreicht und damit ein Effekt für den Klimaschutz erreicht werden. Die Sanierung von Bestandsgebäuden steht damit an erster Stelle.
  • Nach Ansicht der Gutachter ist es ambitioniert, aber erreichbar und sinnvoll, eine Sanierungsquote von 1,7 Prozent pro Jahr zu erreichen. Im Klimaplan von 2019 war noch eine Quote von zwei Prozent angepeilt worden. Aktuell liegt die Quote bei lediglich rund einem Prozent Sanierungen pro Jahr.

Die Stadtentwicklungsbehörde will diese Ziele mit folgenden Maßnahmen erreichen:

  • Die staatliche Modernisierungsförderung soll neu aufgestellt werden. „Ein neues Förderprogramm für gering investive Maßnahmen mit hoher Effektivität zur Heizungsoptimierung ist geplant, ebenso wie ein Programm zur Erstellung von Sanierungsfahrplänen für ganze Wohngebäudeportfolios sowie ein neues Programm zur Modernisierung von Mietwohnungen mit höherer Einkommens- und Mietpreiskappungsgrenze als bisher, das breitere Bestände und Bevölkerungsgruppen adressiert“, so der Senat. „Zudem prüfen wir die Anhebung von bestehenden Förderhöhen. Wir wollen über zielgerichtete Anreize in der Förderung die Sanierungstiefe weiter steigern, als von den Gutachtern prognostiziert, um so den Energieverbrauch schneller zu senken.
  • Die Stadtentwicklungsbehörde will nach eigenen Angaben zur Erreichung der Sanierungsziele eng mit Betroffenen zusammenarbeiten, insbesondere mit dem „Bündnis für das Wohnen“ in den Wohnungsunternehmen und Mietervertreter mitarbeiten.
  • Im kommenden Jahr soll es eine „Kommunikationskampagne“ geben, um Gebäudeeigentümer und die Wohnungswirtschaft „von der Dringlichkeit und Wichtigkeit der energetischen Sanierung zu überzeugen und Möglichkeiten dafür aufzuzeigen“, so der Senat.
  • Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, soll „im Branchendialog zwischen Bauwirtschaft und Stadtentwicklungsbehörde“ eine „Fachkräftestrategie und der Kapazitätsausbau zur Umsetzung der anstehenden Sanierungen entwickelt“ werden.

Hamburg: Sanierungen kosten 32 Milliarden Euro

Insgesamt rechnet die Studie mit einem Investitionsbedarf von 32 Milliarden Euro bis 2045. Dabei räumt die Behörde ein, dass die aktuelle Lage das Erreichen der Ziele nicht eben erleichtert.

„Die momentan volatile Bundesförderung sowie die Herausforderungen auf dem Finanzmarkt und in der Bauwirtschaft erschweren die Anstrengungen für klimaneutrales Wohnen maßgeblich“, schreibt sie. „Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Stadt Hamburg durch diese Maßnahmen nun einen klaren Weg und Fahrplan zur Zielerreichung aufzeigt.“

Müssen Mieter Sanierungen voll tragen?

Völlig unklar ist noch, wie stark die Mieter durch die Kosten belastet werden – wie viel sie also durch Modernisierungsumlagen an Mieterhöhungen zu erwarten haben.

Der Hauptgutachter Dietmar Walberg erläuterte, dass die Kosten für Modernisierungen voll auf Mieter umgelegt werden könnten. Wenn also etwa noch völlig intakte Fenster durch modernere und energieeffizientere ersetzt werden, muss deren Einbau am Ende der Mieter bezahlen. Anders ist es bei Instandhaltungen, wenn also marode Fenster erneuert werden. Dafür muss laut Walberg der Vermieter aufkommen.

Auf die Frage, wie stark die Mieten durch das Großprojekt Wohnbausanierungen in Hamburg steigen werden, blieben die Gutachter und auch Senatorin Stapelfeldt die Antwort schuldig. Klar machten die Gutachter allerdings: Auch die Mieter werden zur Kasse gebeten werden.

Sanierungen für Hamburgs Eigentümer ohne Zwang?

Neben diesem Fehlen von Prognosen für die Mieten hat die akribische Untersuchung eine weitere zentrale Schwäche: Sie kalkuliert mit Preisen von Ende 2021 – also aus der Zeit vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Seither haben sich die Preise für Energie und Baumaterialen dramatisch erhöht.

Walberg räumte ein, dass der Investitionsbedarf wohl mittlerweile bei eher 40 als den bisher veranschlagten 32 Milliarden Euro bis 2045 liegen dürften.

Eigentümer zu Sanierungen per Ordnungsrecht zu zwingen, schloss Senatorin Stapelfeldt am Dienstag aus. Stattdessen sollen Förderprogramme und Werbekampagnen zum Erfolg führen, so Stapelfeldt. Um das Ziel des klimaneutralen Wohnens bis 2045 zu erreichen, müsse am Ende die ganze Stadt mitziehen.

Klimaschutz Hamburg: Und was kostet er die Mieter?

CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling monierte: „Wenn bis 2045 Klimaneutralität erreicht werden soll, sind Modernisierungsmaßnahmen, die zu Mietsteigerungen für Hamburgs Bürgerinnen und Bürger führen, unvermeidbar. Zur Gegenfinanzierung verlor der Senat jedoch kein Wort. Diese Auswirkungen müssen in den Fokus des Senats rücken.“

Ähnlich äußerte sich Linken-Stadtentwicklungspolitikerin Heike Sudmann. „Obwohl erheblich mehr Zeit für die Studie aufgewandt wurde, bleibt die Kernfrage unbeantwortet. Was heißt das für Mieter und Mieterinnen?“, so Sudmann „Klimaneutrale Wohnungen, die sich Mieter und Mieterinnen nicht mehr leisten können, wären sozialpolitisch verheerend.“

BUND und Fridays for Future üben Kritik

Der Naturschutzverband BUND kritisierte, dass Rot-Grün bei der Sanierung allein auf Freiwilligkeit setze. „Eine verantwortungsvolle Klimapolitik braucht aber klare politische Vorgaben“, so der Hamburger BUND-Chef Lucas Schäfer.

Anika Rittmann, Hamburger Sprecherin von Fridays for Future sagte: "Die Sorgen der Menschen in der aktuellen Krise zeigen, wie verwundbar unser System ist und wie überfällig die in der Studie untersuchten Sanierungen sind. Sie müssen zweifelsfrei kommen, mit Entschlossenheit und ohne Hintertüren."

Klar sei auch: "Die sozialen Sorgen der Menschen dürfen nicht länger gegen Klimaschutz ausgespielt werden", so Rittmann. "Dass die SPD jetzt trotzdem andeutet, die Kosten vollständig auf die Mieterinnen und Mieter umzulegen und nicht bereit ist, Eigentümern Sanierungen vorzuschreiben und damit Mieterinnen und Mieter vor hohen Heizkosten zu schützen, zeigt wie gleichgültig der SPD Erfolg im Klimaschutz und die einfachen Menschen sind."

SPD lobt Studie als bundesweit wegweisend

SPD-Stadtentwicklungspolitikerin Martina Koeppen dagegen betonte: „Hamburg hat als erstes Bundesland eine passgerechte Wohnungsbaustudie vorgelegt. Wir wissen jetzt sehr genau, wo angesetzt werden muss, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Mit diesem Know-how können kluge und abgestimmte Förderprogramme aufgelegt werden, um die ambitionierten Ziele auf dem Weg zur Klimaneutralität sozialverträglich erreichen zu können. Das ist der richtige Weg, der uns im Marathon Klimaneutralität auch ans Ziel bringen wird."

Der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Wolff sagte: „Die Bürger wissen heute schon nicht, wie sie die Mieten bezahlen sollen. Sie bezahlen für die Studie selbst, die Förderprogramme und sollen jetzt noch die Milliarden-Kosten der ‚energetischen Sanierungen‘ schultern." Seriöse Einschätzungen seien laut Gutachter aber "aufgrund der Energie- und Fachkräftemangellage und explodierender Preise auch im Rohstoffbereich nicht möglich", so Wolff, der ein "Schluss mit den klimaideologischen Wolkenkuckucksheimen" forderte - und außerdem ein "Zurück zur Vernunft, zurück zur Kohle- und Kernkraft." Hamburgs Bau- und Wohnungswirtschaft und die Bürger seien "auf eine stabile und bezahlbare energetische Versorgung angewiesen".

Die FDP fürchtet steigende Mieten und Baukosten

Die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein kritisierte: "Senatorin Stapelfeldt hat sich über fast drei Jahre sehr viel Zeit gelassen, um eine Machbarkeitsstudie für klimagerechtes Wohnen vorzulegen." Nun gebe es zwar "fünf Einzelstudien" für Hamburgs Wohngebäude, "aber über vier Jahre nur gute 200 Millionen Euro zusätzliche Förderung für deren klimagerechte Erneuerung", so die FDP-Politikerin. "Das dürfte hinten und vorn nicht reichen, um die geringe Quote der Sanierungen in den kommenden Jahren deutlich zu steigern. Auch ist nicht erkennbar, wie die Senatorin verhindern will, dass die Wohnkosten zusätzlich zu den explodierenden Energiekosten erheblich steigen. Mieten wie Baukosten dürfen sich vor dem Hintergrund der Krise nicht weiter so drastisch erhöhen, dass Investitionen wie Mieten in Hamburg unerschwinglich werden."