Hamburg. Nach dem Angriff auf die Bahn: Wie sich Hochbahn und Hafen, Energie- und Wasserwerke in Hamburg vor dem Sabotagerisiko schützen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine steht die sogenannte Kritische Infrastruktur auch in Deutschland im Fokus. Am Wochenende waren an zwei Stellen Kabel vorsätzlich durchtrennt worden, so dass der Bahnverkehr im Norden zum Erliegen kam. Der Hintergrund ist noch unbekannt. Sicher scheint nur: Es waren Profis am Werk, so das Bundeskriminalamt. Gibt es auch in Hamburg eine Gefahr von Sabotageakten?
In den kommenden Monaten könnte es in deutschen Großstädten wie Hamburg ein höheres Risiko für Attacken auf Kritische Infrastruktur geben, erwartet der Hamburger Politikwissenschaftler Mischa Hansel, Leiter des Forschungsschwerpunkts Internationale Cybersicherheit am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). „Die politische Großwetterlage ist das Entscheidende“, sagt Hansel. „Es gibt genug Verdachte – nehmen wir etwa die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines - dass die russische Seite dazu übergeht, auch in Nato-Staaten Sabotageaktionen durchzuführen.“
Sabotageakte: Bevölkerung soll verunsichert werden
Das politische Kalkül dahinter könnte sein, für Verunsicherung zu sorgen, um in der Bevölkerung einen Stimmungsumschwung zu erreichen, der womöglich dazu führte, dass Deutschland die Ukraine weniger unterstützte. „Nachdem der russische Angriffskrieg ins Stocken geraten ist, könnte sich das Kalkül in diese Richtung entwickeln“, sagt Hansel.
„Da unsere kritische Infrastruktur Schwachstellen hat, halte ich es für wahrscheinlich, dass es in den kommenden Monaten vermehrt Sabotageaktionen geben wird, sei es im Verkehrssektor oder im Energiesektor“, so der IFSH-Forscher.
Attacken technisch möglich – wenn Täter Profis sind
„Dass solche Attacken technisch möglich sind, lässt sich schwer bestreiten.“ Es könnte etwa Beschädigung von Kabelschächten geben, aber auch Cyberattacken. Letztere könnten zum einen zielgerichtet ablaufen. Dazu müssen Angreifer allerdings genau wissen, welche IT-Schwachstellen sie ausnutzen können.
Eine solche Attacke sei aufwendig, sagt Hansel. Zum anderen könnten Angreifer Schadprogramme, zum Beispiel Ransomware, in Links und Dateianhängen verstecken und an unzählige Behörden und Unternehmen verschicken. Davon könnten dann zumindest prinzipiell auch Teile der Kritischen Infrastruktur wie Zuganzeigen und Ticketautomaten in Mitleidenschaft gezogen werden, sagt Hansel.
Hamburger Hochbahn verwendet verschiedene Sicherheitssysteme
Die Hamburger Hochbahn beobachtet zunächst die aktuelle Lage, da derzeit noch keine abschließenden Informationen zum Hintergrund des Bahn-Vorfalls vorlägen und dieser sich auf nationaler Ebene ereignet habe, heißt es am Montag auf Anfrage. Man sei im Rahmen der regulären Notfall- und Krisenorganisation im laufenden Austausch mit den Sicherheitsbehörden und bewerte gemeinsam die aktuelle Situation.
„Das Sicherheits- und Schutzkonzept der Hochbahn umfasst grundsätzlich, neben der technischen und personellen Überwachung von Systemen, die Verwendung verschiedener Sicherheitssysteme sowie zusätzlicher Redundanzen beziehungsweise Rückfallebenen für den Betrieb“, so Hochbahnsprecherin Constanze Dinse.
Hafen Hamburg hat Sicherheitsvorkehrungen bereits verschärft
Im Hamburger Hafen wurden bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht. Seit 2004 gilt dort der von der Internationalen Schifffahrtsorganisation erarbeitete ISPS-Code, der verpflichtende Maßnahmen vorschreibt, aber auch Empfehlungen gibt.
Seitdem sind nicht nur die Zugänge zu den Hafenanlagen deutlich besser gesichert. Firmen und Schiffe haben auch spezielle Beauftragte für die Gefahrenabwehr.
Straßennetz bleibt angreifbar – das zeigte sich auf Köhlbrandbrücke
Angreifbar bleibt dagegen die klassische Infrastruktur wie das Straßennetz. Als Demonstranten sich auf der Köhlbrandbrücke festklebten, aber auch ein paar Liter Speiseöl auf die Fahrbahn gossen, war die Hauptroute des Hafens für gut fünf Stunden unterbrochen. Ein Problem war, dass die Stadtreinigung an dem Tag nur ein geeignetes Reinigungsfahrzeug hatte, das durch die Staus auch nur schlecht zur Einsatzstelle kam.
„Für Betreiber kritischer Infrastrukturen sind Angriffe auf die Systeme ein ernstzunehmendes und allgegenwärtiges Bedrohungsszenario“, sagt auch die Sprecherin von Hamburg Wasser, Nicole Buschermöhle. Die Abwehr von möglichen Attacken ist somit auch für dieses Unternehmen eine fortwährende Aufgabe und keine einmalige Herausforderung. Man sei „in engem Kontakt“ zu den zuständigen Behörden auf lokaler und nationaler Ebene, etwa der Innenbehörde und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI). Auch Sicherheitsgründen will Hamburg Wasser keine Details der Schutzvorkehrungen preis geben. Nur so viel: „Die Systeme zur Steuerung kritischer Anlagenteile werden durch verschiedene voneinander unabhängige Vorkehrungen geschützt.“
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Hamburg Wasser kann blitzschnell Krisenstab zusammenrufen
Für den Krisen- oder Katastrophenfall halte Hamburg Wasser ein Krisenmanagement vor mit einem Krisenstab, der innerhalb kürzester Zeit konstituiert werden kann. Durch regelmäßige Schulungen und Übungen bereite man Beschäftigte ein der Krisenorganisation auf Ernstfälle vor. „Für verschiedene Szenarien bestehen Notfallpläne, die in regelmäßigen Abständen diskutiert und aktualisiert werden“, so Nicole Buschermöhle.
Auch die Hamburger Energiewerke als Betreiber des Fernwärmesystems stehen seit Beginn des Ukraine-Kriegs im intensiven Austausch mit den Behörden zur aktuellen Gefährdungslage und den zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen, heißt es auf Anfrage. „Als Betreiber Kritischer Infrastrukturen haben die Hamburger Energiewerke für die Kraftwerke und das Fernwärmesystem auch vor dem Ukraine-Krieg strenge Schutzmaßnahmen ergriffen“, erklärt Stefan Kleimeier, Kommunikationsleiter der Energiewerke.
Kraftwerksgelände sind besonders gesichert
Im zweijährigen Turnus fänden nach Vorgaben des BSI und gemäß dem Fernwärmebranchen-Standard Audits statt, um die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu begutachten. Die Hamburger Energiewerke seien entsprechend zertifiziert. „Die Kraftwerksgelände sind besonders gesichert, das gilt auch für die IT-Systeme und die jeweiligen Zugriffsberechtigungen. Die Infrastruktur des Fernwärmesystems ist allein durch die größtenteils unterirdische Verlegung gegen einfache Sabotageakte weitgehend geschützt“, so Kleimeier.
Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), glaubt: „Man wird in dem Punkt kritische Infrastruktur sensibler werden müssen.“ Es sei aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die personellen Ressourcen dafür endlich seien. In Hamburg gebe es beispielsweise eine deutliche Mehrbelastung durch die Bewachung der gefährdeten Konsulate. Jungfer plädiert dafür, auch technische Lösungen zu prüfen.
Polizei-Gewerkschafter will Drohnen einsetzen
„Ich persönlich kann mir den Einsatz von Drohnen vorstellen. Als hoch technisiertes Land sollten wir angesichts der Bedrohungslage die Möglichkeiten auch ausschöpfen. Dabei geht es nicht um das Sammeln von Daten, sondern die punktuelle Überwachung von Kritischer Infrastruktur, bei der jeder Täter damit rechnen muss, dass er so erwischt wird. Das kann man sich wie die technische Variante eines Einsatzes von Zivilfahndern an Kriminalitätsbrennpunkten vorstellen. Ich befürchte aber, dass wir uns am Ende selbst im Weg stehen werden und viel geredet und gefordert, aber am Ende wenig umgesetzt wird.“
In Hamburg hatte sich die Innenbehörde, dort das Amt A, bereits vor Jahren mit dem Thema beschäftigt. Auch dort waren nach den Anschlagen vom 11. September Konzepte entwickelt und Szenarien durchgespielt.
Sabotageakte: Ausfall von Geldautomaten als Szenario durchgespielt
So wurde unter anderem der flächendeckende Ausfall von Geldautomaten durchgespielt. „Damals saß viel Sachverstand, auch aus der Wirtschaft, mit am Tisch“, sagt ein Beamter. „Es gab 1000 Ideen, aber es wurde kaum etwas umgesetzt.“ Der Grund waren in der Regel die hohen Kosten, die Unternehmen wie auch Behörden gescheut hatten.