Hamburg. Am Katholischen Marienkrankenhausin Hamburg-Hohenfelde bringt Kerstin Krebs Patienten bei, wieder hören zu lernen.
Bei den Patienten von Kerstin Krebs fließen oft Tränen. Am Anfang aus Verzweiflung, später vor Freude. Kerstin Krebs arbeitet als Hörpädagogin am Katholischen Marienkrankenhaus, eine von vier Kliniken in Hamburg, die es hochgradig Schwerhörigen und Gehörlosen mithilfe eines speziellen Implantats ermöglichen, wieder Klänge und Stimmen wahrzunehmen. Wenn diese nach Jahren im Herbst wieder das Laub rascheln hören, das Zwitschern der Vögel oder zum ersten Mal die Stimme des Enkelkindes, wird es oft emotional. „Das ist manchmal sehr ergreifend“, sagt Krebs.
Medizin Hamburg: Ein Hörgerät bringt oft Vorurteile mit sich
Doch bis dahin ist es ein längerer Behandlungs- und meistens auch Leidensweg. „Es gibt ja diesen Spruch: Das Sehen trennt von den Dingen, das Hören trennt von den Menschen“, sagt Kerstin Krebs. „Ich erlebe schon sehr viele Menschen, die in die Erstberatung kommen und weinen, weil es sie in die Isolation treibt.“ Es sei oft ein langer Prozess, bis man sich überhaupt erst einmal traue, zum Arzt zu gehen. Viele scheuten Kontakte, gingen nicht mehr auf Familienfeiern, weil alle genervt seien, wenn sie alles ständig wiederholen müssten; manche haben Freunde oder auch ihren Job verloren. „Da gibt es ziemlich viele traurige Geschichten.“
Denn ein Hörgerät zu tragen ist anders als eine Brille. Es ist kein modisches Accessoire, es bringt oft Vorurteile über den Träger mit sich. Vor allem die größeren Geräte, die nötig werden, wenn die Schwerhörigkeit schon weiter fortgeschritten ist. Viele Betroffene ignorieren und verschleppen das Problem – bis es nicht mehr geht. Bei anderen wird das Hören trotz der Hilfsmittel sukzessive schlechter. Wer auch mithilfe des Hörgeräts nur noch maximal 60 Prozent des Gesprochenen versteht, kommt für ein sogenanntes Cochlea-Implantat infrage. Und für die anschließende Therapie von Kerstin Krebs.
Implantat: "Manche sagen, das klingt wie Micky Maus"
Doch wie funktioniert das Ganze? Das Gerät besteht aus zwei Teilen, von denen das eine in einer anderthalb bis zweistündigen Operation unter die Haut hinter dem Ohr implantiert wird und mit einer Elektrode bis ins Innenohr reicht. Der zweite Teil, der sogenannte Prozessor, wird hinter dem Ohr getragen, im Grunde wie ein Hörgerät, das aber magnetisch am Implantat haftet. In dem Prozessor befindet sich ein Mikrofon, das die akustischen Schallwellen aufnimmt, die dann, umgewandelt in elektrische Signale, durch die Haut ins Implantat und weiter ins Innenohr geleitet werden.
Klingt großartig – für die Patienten zunächst jedoch nicht. Denn das Gehirn muss erst wieder lernen zu hören. Vier Wochen nach der Operation startet Kerstin Krebs mit dem Hörtraining. Sie spielt den Patienten Geräusche vor, das Klappern von Geschirr, das Schlagen einer Tür, Tierlaute, menschliche Stimmen und arbeitet sich langsam zur Sprache vor. Die am Anfang allerdings auch gewöhnungsbedürftig klinge. „Dadurch, dass nicht mehr akustische Schallwellen über das Innenohr bis zum Gehirn weitergeleitet werden, sondern elektrische Impulse, klingt das Ganze anders als normalerweise – sehr elektronisch“, sagt Krebs. „Manche sagen, das klingt wie Micky Maus oder als wenn man in einem Blecheimer sitzt.“ Doch das werde mit der Zeit immer besser, wenn man sich daran gewöhnt habe, alle Frequenzen, vor allem die im Hochtonbereich, wieder wahrzunehmen.
Medizin Hamburg: Alarmsignale sollten ernst genommen werden
Die Patienten im Marienkrankenhaus sind zwischen zwölf und 94 Jahre alt und in der Regel nicht von Geburt an betroffen, sondern haben die Schwerhörigkeit im Laufe der Zeit erworben. Das kann genetische Gründe haben, bei anderen ist eine Erkrankung, zum Beispiel eine Meningitis die Ursache. Oder es ist die Folge von – oft auch stressbedingten – Hörstürzen. „Es gibt viele Leute, die mehrere durch Stress ausgelöste Hörstürze hatten und die dann immer schwerhöriger wurden, bis zur Taubheit“, sagt Kerstin Krebs, deren Patienten im Laufe der Jahre nicht nur deutlich mehr, sondern auch jünger geworden sind. „Es kommen nicht nur die Menschen im Rentenalter zu uns, sondern auch 20- bis 30-Jährige.“
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Die Expertin rät eindringlich, bei einer entsprechenden Veranlagung Stress zu vermeiden – und die Alarmsignale ernst zu nehmen. Wenn man ein dauerhaftes Geräusch wahrnehme oder sich die Umgebung anhöre wie durch Watte, sollte man spätestens nach 72 Stunden zum Arzt gehen – lieber noch früher.
Ärztin Kerstin Krebs ist froh, wenn sie ihren Patienten helfen kann
Doch auch wer kontinuierlich schlechter hört, muss sich irgendwann helfen lassen. Das ist meist im Alter zwischen 45 und 50 Jahren. „Da gibt es oft einen Punkt, wo sich das Ganze wendet und die Betroffenen die Schwerhörigkeit nicht mehr kompensieren können“, sagt Krebs. „Viele können zum Beispiel eine einseitige Taubheit bis zu diesem Alter noch ganz gut ausgleichen – doch dann wird es schwierig, weil das eine immense Anstrengung kostet.“
Kerstin Krebs ist froh, ihre Patienten am Ende auf dem Ausweg von ihrem Leidensweg begleiten zu können. Die Tränen in den Vorgesprächen nimmt sie dafür in Kauf. „Wenn man quasi das Ende der Fahnenstange erreicht und nichts mehr zu verlieren hat, kann man eigentlich nur noch dazugewinnen“, sagt sie. „Und dann ist der Erfolg meistens am größten.“
Am 26. Oktober um 17 Uhr bietet Kerstin Krebs einen Livestream zum Thema Cochlea-Implantate an. Weitere Informationen und Anmeldung unter info@marienkrankenhaus.org