Warum gibt es unverständliche Behördenschreiben und Formulare, die selbst einen Prof. Dr. Dr. in den Wahnsinn treiben?
In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen (kleines Foto) über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um unverständliche Behördenschreiben und offizielle Formulare, die selbst einen Prof. Dr. Dr. in den Wahnsinn treiben können.
Lars Haider: Lieber Herr Lenzen, soweit ich weiß, sind Sie Prof. Dr. Dr., also ein durchaus gebildeter Mann. Aber ich weiß auch, dass Sie am Ausfüllen der neuen Grundsteuererklärung fast verzweifelt wären. Und damit sind wir bei unserem heutigen Thema: Was haben wir denn dem Staat getan, dass er uns immer wieder mit Formularen und Dokumenten quält, die selbst ein Prof. Dr. Dr. nicht verstehen kann?
Dieter Lenzen: Allein die Erläuterungen zum Ausfüllen der Grundsteuererklärung umfassen 90 Seiten. Wer denkt sich so etwas aus, von dem 36 Millionen Haushalte betroffen sind? Die Formulare sind leider wieder einmal nicht selbsterklärend, das beginnt bei nur scheinbar einfachen Unterscheidungen zwischen Nutz- und Wohnfläche, die jeder einzelne für sein Haus treffen muss. Ich sage: Wenn der Staat von uns, seinen Bürgerinnen und Bürgern, Geld haben will, dann soll er bitte schön jemanden schicken, der sich das alles anguckt und einschätzt. Und wenn man sich auf uns als Bürger verlässt, dann muss man uns bitte auch in die Lage versetzen, dass wir entsprechende Angaben machen können, ohne studiert zu haben. Wobei das, wie mein Fall zeigt, auch nicht immer hilft.
Man merkt, dass Sie das Thema aufwühlt, und ich kann das gut verstehen. Warum sucht uns der Staat mit Dokumenten heim, die wir nicht verstehen? Ich bin damals schon bei der Beantragung der Elternzeit verzweifelt und habe mich seitdem immer wieder gefragt, warum offizielle Schreiben nicht so formuliert sein können, dass sie jeder begreifen kann? Und: Wieso ist der Staat den Menschen gegenüber, ohne die es ihn gar nicht geben würden, so oft so unhöflich, warum scheint er uns immer etwas Böses zu unterstellen? Warum hat man schon beim Aufreißen eines Schreibens von einem Amt oder einer Behörde das Gefühl, dass man etwas falsch gemacht hat?
Das hat auf der einen Seite einen historischen Grund. Die Staatsverwaltung war immer obrigkeitlich, das heißt der Bürger ist Untertan, und er hat dies oder jenes zu tun. Das ist der gleiche Ton, mit dem der Feldwebel gegenüber den Rekruten spricht. Auf der anderen Seite sind die Schreiben von Behörden so formuliert, wie sie formuliert sind, damit sie immer und zu jeder Zeit rechtssicher sind. Die Beamten müssen eine panische Angst davor haben, dass sie irgendetwas falsch machen könnten…
… aber man kann diese Angst doch nicht damit bekämpfen, sich Formulare auszudenken, die so kompliziert sind, dass man als Bürgerin oder Bürger beim Ausfüllen mit Sicherheit etwas falsch macht. Und dann dafür wiederum Ärger mit der Verwaltung bekommen kann.
Jetzt sollten wir nicht auf einzelne Personen einprügeln, sondern auf das System, in dem Unverständlichkeit leider zu etwas Alltäglichem geworden ist. Unser Rechtssystem hat sich immer weiter ausdifferenziert: Es gibt eine Klage in irgendeiner Frage, die dann generalisiert wird und dazu führt, dass eine neue Rechtsvorschrift formuliert wird. Und diese Rechtsvorschrift verstehen die Bürgerinnen und Bürger oft nicht, sie dient den Behörden aber als Absicherung. So nach dem Motto: Wir haben die Menschen doch auf dieses oder jenes hingewiesen, es ist ja nicht unser Problem, wenn die das gar nicht verstehen. Im Grunde haben wir es mit einer Fachsprache zu tun, die der Bürger nicht gelernt hat und niemals lernen wird.
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Das kann doch nicht sein, dass dieser Staat, der ein Dienstleister sein soll für seine Bürgerinnen und Bürger, sich gar keine Mühe mehr gibt, so zu formulieren, dass es jeder verstehen kann. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen unzufrieden werden. Wenn ich einen Brief von einer Behörde erhalte, möchte ich freundlich angesprochen werden und eine Chance haben, zu begreifen, was man von mir möchte, um entsprechend angemessen darauf zu antworten. Je weniger ich verstehe, was die Behörde von mir erwartet, desto größer ist die Gefahr, dass ich ihr etwas Falsches liefere und damit für unnötige Arbeit sorge. Es muss doch im Interesse aller Beteiligten sein, das zu verhindern.
Völlig richtig. Und die Unverständlichkeit entsteht ja nicht nur durch juristische Termini. Es kommt in den Briefen und Formularen eine Grammatik mit vielen Passiv-Konstruktionen dazu, genauso wie ein Nominalstil, der auf viele Substantive und wenige Verben setzt. Das könnte man anders machen, und sei es dadurch, dass man sich bemüht, kurze Sätze zu verwenden. Subjekt, Prädikat, Objekt, es könnte so einfach sein. Stattdessen werden wir mit Genetiv-Ketten gequält und irre langen Satzkonstruktionen.
Warum nehmen wir das so hin? Mich ärgert das jedes Mal, weil es zeigt, dass wir für das System offensichtlich mehr oder weniger ein Ärgernis sind.
Es hat viel mit Bevormundung, Misstrauen und Besserwisserei zu tun, vielleicht auch mit Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, die in dieser Behördensprache zum Ausdruck kommt. Das sind viele Elemente, die allzu menschlich sind, die aber in einer Verwaltung nichts zu suchen haben. Es hat etwas mit dem Grundverhältnis von einem Staat zu seinen Bürgern zu tun und dem wechselseitigen Vertrauensverhältnis.
Das offensichtlich nicht sehr ausgeprägt ist. Und dabei sitzen auf der Seite des Staates doch auch Menschen, die sich genauso wie wir über die Dinge aufregen können, über die wir heute gesprochen haben. Soll heißen: Wir sind alle in einem System gefangen, das weder die eine noch die andere Seite so richtig durchschaut, und das uns mit seiner Komplexität dazu zwingt, so miteinander umzugehen, wie wir häufig miteinander umgehen.
Es gibt einen Zweig der Soziologie, der genau das ermittelt. Und die Grundthese ist: Systeme differenzieren sich unter Außendruck aus. Ein Gerichtsurteil ist zum Beispiel so ein Außendruck, der die Verwaltung dazu bringt, ihre Formulare und Vorschriften so zu verändern, dass so ein Urteil nicht wieder gefällt werden kann – und zack haben wir schon wieder ein paar neue Regeln, die das System dichter und komplizierter machen.