Hamburg. Der Vorsitzende des Tennisclubs Othmarschen ist auch Sprecher der Marxistischen Abendschule – und klagt gegen den Geheimdienst.

Es sind nur 28 Zeilen Text auf Seite 85 des 194 Seiten starken Berichts. Aber auch kurze Texte wie dieser über die „Masch-Hamburg“ können Folgen haben. Das Finanzamt nahm ihn zum Anlass, dem Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Der kleine Text, der steht im Hamburger Verfassungsschutzbericht. Masch, das steht für Marxistische Abendschule.

Und deren Sprecher Dr. Wolfgang Kunkel steht „mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, wie er betont. „Unseren Verein als verfassungsfeindlich zu bezeichnen ist absurd.“ Deshalb gehen sie juristisch dagegen vor. Ein Antrag auf Löschung wurde abgelehnt, deshalb klagen sie jetzt vor dem Verwaltungsgericht. Ein Verfahren, das sich ziemlich lange hinziehen kann.

Tennisclub Othmarschen: Wolfgang Kunkel ist 1. Vorsitzender

Wolfgang Kunkel ist 73 Jahre alt und hat jahrzehntelang für die Stadt Hamburg und in einer sozialen Einrichtung gearbeitet, zunächst als Lehrer (Physik und Sozialkunde), dann bis zur Rente als Abteilungsleiter bei der Stiftung Berufliche Bildung. „Dort haben wir uns um die Pro­blemgruppen des Arbeitsmarktes gekümmert: Langzeitarbeitslose, Flüchtlinge, Migranten“, erzählt er. Seine Doktorarbeit schrieb er zur Kritik der DDR-Geschichtstheorie – die SED setzte die wissenschaftliche Arbeit auf den Index, sie durfte in der DDR nicht verbreitet werden.

Der gebürtige Essener, der seit fast 50 Jahren in Hamburg lebt, engagiert sich ehrenamtlich. Bei der Handwerkskammer hat er in einem Projekt Geflüchteten geholfen, etwa bei Bewerbungen. Und er ist 1. Vorsitzender des Othmarscher Tennisclubs. „Wir setzen da hauptsächlich auf Breitensport, fördern Jugendliche und wollen bewusst nicht elitär sein“, sagt er nicht ohne Stolz.

Leninismus? Welcher Leninismus?

Für all dies interessiert sich der Verfassungsschutz nicht im Geringsten. Ihm geht es um die Marxistische Abendschule. Und in der „sollen Alternativen zur bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland entwickelt werden“, wie es heißt. Und dass sie „die freiheitliche demokratische Ordnung überwinden möchte, um an deren Stelle einen Staat zu errichten, der auf den Grundlagen des Marxismus-Leninismus fußt“.

Wolfgang Kunkel schüttelt den Kopf angesichts dieser Sätze. Neben ihm sitzt Armin Grambart-Mertens, der 1. Vorsitzende der Masch-Hamburg, ein Politologe, Volkswirt und selbstständiger Unternehmer. „Man weiß kaum, wo man anfangen soll, so viel Unsinn steht da“, sagt er. Zum Beispiel „Marxismus-Leninismus“: „Ich bin seit 1989 dabei, und seitdem haben wir uns mit der Verbreitung von Leninismus noch nie befasst.“ Die Masch habe überhaupt keine politische Agenda im eigentlichen Sinne.

Man sieht sich als „linke Volkshochschule“

„Wir sehen uns als Forum für gesellschaftspolitische Debatten. Man könnte sagen: eine Art linke Volkshochschule“, so Grambart-Mertens. „Wobei man keineswegs explizit links sein muss, um an unseren Veranstaltungen teilzunehmen.“ Also keine Umstürzler und Verfassungsfeinde? „Ich unterschreibe und verteidige die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes“, sagt Grambart-Mertens. „Ich natürlich auch“, sagt Kunkel.

Die ersten 19 Artikel umfassen die sogenannten Grundrechte und sind der elementare und wichtigste Teil der Verfassung. Sie dürfen gar nicht beziehungsweise nicht dem Wesen nach geändert werden und bilden den Kern der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung. Grambart-Mertens sagt: „Ich will Demokratie ausweiten, nicht einschränken.“

Bis 1933 gab Albert Einstein Kurse an der Marxistischen Abendschule

Auf der einen Seite also der Verfassungsschutz, der überzeugt ist, der Verein wolle die freiheitlich-demokratische Grundordnung überwinden; auf der anderen der Vereinsvorstand, der sich zu dieser Grundordnung explizit bekennt. Wie passt das zusammen?

Anti-Raketen-Demonstration am 13. September 1981 während des Besuchs von US-Außenminister Alexander Haig in Berlin.
Anti-Raketen-Demonstration am 13. September 1981 während des Besuchs von US-Außenminister Alexander Haig in Berlin. © picture alliance / ZB

Um das zu erklären, braucht es einen Blick auf die Geschichte der Marxistischen Abendschule. Die reicht zurück in die Weimarer Republik: 1926 wurde in Berlin die KPD-nahe Marxistische Arbeiterschule gegründet. In ihr wurde auch, aber nicht nur die (moskaunahe) Partei-Ideologie gelehrt. Es gab auch Kurse für Sprachen, Medizin, Stenografie und in Naturwissenschaften. Und weltberühmte Dozenten: So gab Albert Einstein bis 1933 Kurse an der Masch.

„Wir haben überhaupt kein Verhältnis zur DKP“

Diese Tradition wurde bei der Neugründung 1981 in Hamburg aufgegriffen. Zu den Gründungsmitgliedern zählten viele DKP-Mitglieder – die Partei war damals stramm auf Kurs der SED und wurde auch maßgeblich von der DDR finanziert. Dementsprechend war auch die Orientierung der Masch.
Diese Geschichte ist der Grund, warum die Masch seit 1997 regelmäßig im Verfassungsschutzbericht auftaucht, wenn auch meist nur mit ein paar Zeilen. Dabei sei die Schule längst eine völlig andere, betont Kunkel. Von den Gründungsmitgliedern sei ohnehin niemand mehr dabei.

Und das Verhältnis zur DKP? „Wir haben überhaupt kein Verhältnis zur DKP“, sagt der Vorsitzende Grambart-Mertens. „Wir machen keine Parteipolitik, haben keine politische Agenda und unterschreiben auch keine parteipolitischen Aufrufe. Wir sind humanistisch, im besten Sinne: aufklärerisch.“ Der Mauerfall 1989 habe auch die Masch-Hamburg grundlegend verändert, personell und inhaltlich.

"Wir machen keine ideologischen Schulungen"

Und verkleinert. Heute sind es noch rund 25 Mitglieder, die der Verein hat. Auch DKP-Mitglieder? „Ich weiß es von keinem, aber ich kann es auch nicht ausschließen“, sagt Kunkel. „Das spielt aber auch für unsere Arbeit keine Rolle. Wir machen keine ideologischen Schulungen, sondern sind ein Diskussionsforum und bieten Lesekurse an, speziell für ,Das Kapital‘ von Marx.“

Ein anderes Problem der Masch ist, dass es sie gleich zweimal gibt. Denn in Wilhelmsburg hat sich ebenfalls eine „Marxistische Abendschule“ gegründet, die sich ebenfalls „Masch“ nennt – sie wird im Verfassungsschutzbericht gemeinsam mit der Hamburger Masch erwähnt und gewissermaßen in einen Topf geworfen. „Das ist nicht korrekt, denn wir haben organisatorisch nichts miteinander zu tun“, betont Kunkel. Man habe mit ihr „und anderen solidarischen Institutionen im Sinne eines Forums themenbezogene Veranstaltungen gemacht“.

Ja zur Kritik am Kapitalismus, nein zur Verfassungsfeindlichkeit

Warum benennt man sich nicht um? „Der Name ist etabliert“, sagt Grambart-Mertens. „Und wir haben uns einen guten Ruf erworben.“ Er wirft dem Verfassungsschutz vor, oberflächlich zu arbeiten und völlig falsche Schlüsse zu ziehen, indem Kritik am Kapitalismus mit Verfassungsfeindlichkeit gleichgesetzt wird. Dabei sei das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont habe. Die Marktwirtschaft sei eine, aber nicht die einzig mögliche verfassungskonforme Wirtschaftsform.

Während der Demo von Neonazis am 1. Mai 2008 in Barmbek kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen linken und rechten Extremisten.
Während der Demo von Neonazis am 1. Mai 2008 in Barmbek kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen linken und rechten Extremisten. © Michael Arning

Auch die Beschäftigung mit Karl Marx als Anzeichen für Verfassungsfeindlichkeit zu werten sei absurd. In dem Masch-Antrag auf Löschung aus dem Bericht an das Landesamt für Verfassungsschutz heißt es: „Nicht nur die Masch-Hamburg beruft sich auch auf Marx, auch das Berliner Grundsatzprogramm der SPD von 1989 nennt explizit ,Marxsche Geschichts- und Gesellschaftslehre‘ als eine geistige Wurzel des von ihr angestrebten demokratischen Sozialismus. Dies wird im aktuellen Hamburger Programm der SPD nochmals bekräftigt. Außerdem wurde ,Das Kapital‘ von Marx von der Bundesrepublik Deutschland als Weltdokumentenerbe bei der Unesco eingereicht, neben der Gutenberg-Bibel und den Märchen der Brüder Grimm.

Verfassungsschutz ist überzeugt, dass die Masch „zu Recht“ beobachtet wird

Das Abendblatt hat natürlich auch den Verfassungsschutz um Stellungnahme gebeten. Das ist für dessen Sprecher Marco Haase eine undankbare Aufgabe. Weil es ein laufendes Verfahren ist, kann er sich lediglich zurückhaltend äußern. Zu Quellen und der Art der Beobachtung sagt die Behörde schon gar nichts öffentlich, um die Beobachtung von Extremisten nicht zu gefährden. „Selbstverständlich sind wir überzeugt, dass die Masch zu Recht ein Beobachtungsobjekt ist, sonst würden wir sie nicht im Verfassungsschutzbericht erwähnen. Und wir sind optimistisch, dass unsere Rechtsposition aufgrund der zahlreichen Erkenntnisse Bestand haben wird. Nach unseren Erkenntnissen liegen tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen vor – und diese kann man zum Teil ganz offen recherchieren“, sagt Haase.

Und ganz grundsätzlich: „Unsere Aufgabe ist es, frühzeitig auf Gefahren für unsere Demokratie aufmerksam zu machen. Unsere Arbeit als Nachrichtendienst beginnt nach Recht und Gesetz gewollt weit im Vorfeld von Straftaten – so auch weit im Vorfeld eines revolutionären Umsturzes. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Verfassungsschutz 1949 mit Absicht als Frühwarnsystem der Demokratie eingerichtet – nach den Erfahrungen mit der gescheiterten Weimarer Republik.“ Es genüge der begründete Verdacht einer Gefahr, um die weit im Vorfeld angesiedelte Schutzmaßnahme in Form einer Berichterstattung zu rechtfertigen, heiße es dazu beispielsweise in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2004 sowie in zahlreichen weiteren gerichtlichen Entscheidungen.

Teilt die Masch die inhaltliche Ausrichtung der DKP?

In den Verfassungsschutzberichten wird immer wieder auf die Verflechtung mit der linksextremistischen DKP verwiesen – „in materieller, finanzieller und personeller Hinsicht“, wie es in dem Bescheid der Innenbehörde heißt, in dem der Antrag auf Streichung aus dem Verfassungsschutzbericht abgelehnt wird. Es sei davon auszugehen, dass die Masch die inhaltliche Ausrichtung der DKP teile.

In der Satzung des Vereins steht in der Tat, dass das Vereinsvermögen bei Auflösung der Masch der Gedenkstätte Ernst Thälmann zufallen solle. Der Hamburger Thälmann war bis 1933 KPD-Vorsitzender – ein Revolutionär, der in Deutschland ein System nach Vorbild der Sowjetunion schaffen wollte. Er wurde von den Nazis im KZ ermordet. Die Gedenkstätte ist eng mit der DKP verwoben. „Das steht seit der Gründung in der Satzung, was wir in der Tat nie geändert haben. Bei der nächsten Mitgliederversammlung werden wir über eine Änderung beraten“, sagt Grambart-Mertens.

Die unterstellte Nähe zur DKP verärgert Wolfgang Kunkel

Wolfgang Kunkel sorgt sich indes um den Ruf. Nicht um seinen, sondern den der Masch-Hamburg. „Wir haben sehr gute Referentinnen und Referenten aus der Wissenschaft – und die wollen natürlich nichts mit dem Verfassungsschutz zu tun haben. Die fragen schon nach, was denn da los sei.“ Die unterstellte Nähe zur DKP verärgert ihn. „Jeder darf zu uns kommen“, sagt er. „Aber wir dulden keine parteipolitische Propaganda.“

Bis der Rechtsstreit geklärt ist, könnte es lange dauern. Der Verein will die Sache aber ausfechten. Kunkel: „Letztlich wird durch den Entzug der Gemeinnützigkeit die Meinungsvielfalt behindert. Kritische Debatten zu gesellschaftlichen Fragen dürfen aber nicht infrage gestellt werden.“