Hamburg. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit dem ehemaligen Uni-Präsidenten Dieter Lenzen über die Energiekrise.

In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, wie wir uns angesichts einer drohenden Gasmangellage und steigender Energiepreise auf den Winter vorbereiten.

Lars Haider: Was uns alle im Moment verbindet, ist die Sorge vor dem kommenden Winter und die Frage, wie wir uns angesichts drohender Engpässe beim Gas und schon feststehender gewaltiger Preissteigerungen auf die nächsten Monate vorbereiten. Was machen wir, um alle gemeinsam gut durch diese Zeit zu kommen?

Man hat ja schon angefangen, weniger zu duschen, man vergleicht mit Freunden, Bekannten und Kollegen den jeweiligen Kilowattstunden-Verbrauch, und ich habe in vielen Gesprächen mit Erstaunen festgestellt, dass viele bisher gar nicht wussten, womit sie eigentlich heizen. Man möchte auf jeden Fall etwas tun.

Dieter Lenzen: Erst einmal finde ich es gut, dass man das Gefühl hat, etwas tun zu sollen und zu können. Wir sind in diesem Land beim Auftauchen eines Problems normalerweise gewöhnt, nach der Politik oder den Behörden zu rufen, damit die das bitte schön lösen. Das, was im Winter jetzt auf uns zukommt, werden sie aber nicht lösen können.

Deshalb müssen wir als Bürgerinnen und Bürger trainieren, mit Entbehrungen und Einschränkungen umzugehen und nicht immer nur Forderungen zu stellen. Es geht darum, Grundbedürfnisse zu korrigieren, und da gibt es eigentlich nur zwei elementare: das Bedürfnis nicht zu frieren und nicht zu hungern. Wobei ich bei diesem Thema auch eine Gefahr sehe. Die Nazis hatten den Spruch, dass niemand hungern und frieren soll, und das Risiko, dass heute Politiker diese Tonalität aufnehmen, ist vorhanden.

Ich halte es mindestens für populistisch, wenn Politikerinnen und Politiker davor warnen, dass Menschen in Deutschland frieren werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass den Haushalten das Gas abgestellt wird, ist so gering, dass es sich eigentlich verbietet, darüber zu spekulieren und den Leuten Angst zu machen.

Wer das tut, macht es, weil er eigene Interessen verfolgt. Das finde ich gefährlich und auch nicht ehrlich. Denn der Winter muss schon sehr, sehr kalt werden, damit wir wirklich Schwierigkeiten bekommen, und das muss man auch so deutlich sagen. Mit der Furcht der Leute, insbesondere der älteren Leute zu spielen, und sie im Zweifel dazu zu treiben, Heizstrahler zu kaufen, finde ich verantwortungslos.

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Lenzen: Man muss nach den Motiven der Politiker fragen. Jemand wie Wirtschaftsminister Robert Habeck könnte die Sorge haben, dass man ihm vorwirft, nicht rechtzeitig genug auf den Ernst der Lage hingewiesen zu haben, und deshalb spricht er jetzt so, wie er spricht.

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Das kann ich verstehen. Man kann aber auch eine Krise herbeireden, weil dann die Überschlagseffekte eintreten, die wir zum Beispiel beim massenhaften Kauf von Heizstrahlern sehen, die am Ende eine Belastung für unsere Stromnetze werden könnten – und genau die wollen wir unter anderem vermeiden. Man muss aber auch sagen, dass es Medien gibt, die mit den Katastrophen-Meldungen jeden Tag aufmachen. Das können die Menschen auf die Dauer nicht aushalten, und auch das kann zu unerwünschtem Verhalten führen, etwa zu Überreaktionen.

Man muss so oder so aufpassen, dass man nicht fatalistisch wird und die richtigen Signale sendet. Einerseits ist die Anzahl an Krisen, denen wir uns gerade gegenübersehen, wirklich bemerkenswert. Andererseits war und ist das Leben immer eine Ansammlung von Herausforderungen, denen man sich stellen muss, oder?

Lenzen: Wenn das nicht so wäre, würden wir das Leben von Pflanzen führen. Zum menschlichen Dasein gehört das Unvorhersehbare, aber auch die Fähigkeit, die damit verbundenen Probleme zu lösen. Das sollten wir schon in der Schule gelernt haben, und das macht uns als Bürgerinnen und Bürger aus.

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  • Ich stelle in vielen Gesprächen, die ich mit Menschen über die kalte Jahreszeit führe, fest, dass es vielleicht nicht schwer wird, insbesondere Gas zu sparen. Denn viele von uns haben sich bisher keine Gedanken über das Heizen oder darüber gemacht, ob es wirklich 22 oder 23 Grad im Wohnzimmer sein müssen, weil Gas, gerade im Vergleich zu Strom, unfassbar günstig war. Das ändert sich jetzt notgedrungen, die Einsparmöglichkeiten sind aber offensichtlich nicht gering.

    Eintöpfe sind nahrhaft und leicht zuzubereiten
    Eintöpfe sind nahrhaft und leicht zuzubereiten © Getty Images/iStockphoto | kemirada

    Lenzen: Ich habe mich in meiner Berliner Zeit einmal mit Richard von Weizsäcker darüber unterhalten, fragen Sie mich jetzt nicht warum. Er sagte, dass es bei ihm zu Hause im Winter maximal 17 Grad warm sei, für den Rest gebe es Pullover. Vielleicht brauchen wir einen Zehn-Punkte-Katalog für alle, aus dem eindeutig hervorgeht, was man tun kann und tun sollte. Für mich wäre der erste Punkt, die Homeoffice-Regelungen, die wir aus der Corona-Zeit kennen, in diesem Winter fortzusetzen, dann muss man nicht zu Hause und im Büro tagsüber heizen.

    Richard von Weizsäcker, CDU-Politiker, Altbundespräsident
    Richard von Weizsäcker, CDU-Politiker, Altbundespräsident © picture-alliance / dpa | Erwin Elsner

    Vor allem kann das dort, wo Homeoffice möglich ist, auch erneut Pendlerströme reduzieren, was wiederum helfen kann, Benzin zu sparen, Zeit sowieso. Was kann man noch tun? Wir haben gelernt, dass jedes Grad, das man weniger heizt, sechs Prozent der Energiekosten spart, da kommt angesichts der hohen Preise einiges zusammen.

    Lenzen: Ein anderes Thema wäre Warmwasser. Wir haben uns daran gewöhnt, jeden Tag zu duschen. Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie versuchen, das zu reduzieren ...

    Ich versuche es nicht nur, ich tue es. Ich habe früher wie selbstverständlich jeden Tag geduscht und mir darüber keine großen Gedanken gemacht.

    Prof. Dieter Lenzen
    Prof. Dieter Lenzen © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

    Lenzen: Und für die Zonen des Körpers, die man vielleicht jeden Tag reinigen sollte, braucht man nicht unbedingt eine Dusche. Wir hatten bisher Luxusvorstellungen, unter denen es angeblich nicht ging, davon müssen wir uns verabschieden, und ich finde das gar nicht so schlimm. Das gilt auch für das Kochen: Vielleicht müssen wir einfach wieder mehr Eintöpfe zubereiten, die ja so heißen, weil man alle Zutaten in einem Topf erhitzen kann, also nur eine Wärmequelle benötigt. Und was das Waschen von Kleidung betrifft: Ob man jedes Hemd schon waschen muss, wenn man es einen Tag getragen hat, wage ich zu bezweifeln.

    Das klingt wie Großmutters Haushaltstipps. Die Wahrheit ist wahrscheinlich: Wir haben uns von dieser Art zu leben auch deshalb entfernt, weil es so einfach und günstig war.

    Lenzen: Ich denke gern an meine Kindheit zurück, in der wir eine Wärmequelle in der Küche hatten, den Herd, und eine im Wohnzimmer, die angemacht wurde, wenn wir dort saßen. Das war’s. Im Kinder- oder Schlafzimmer gab es keine Heizmöglichkeiten. Und ich habe es überlebt. Wir müssen unsere Ansprüche reduzieren, und ich glaube, dass man aus einer Krise, wie wir sie gerade erleben, auch mit einer neuen Einstellung zur Welt hervorgehen kann.